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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Römische Frühlingsbilder

der Hauvtboden des römischen Karnevals gewesen ist. Die schönen Straßen¬
windungen, die von dem alten Endpunkt des Korso, der Piazza del Popolo,
zu der großen Terrasse des Monte Pincio hinaufführen, können demnach als
Verkörperung der großen Erweiterung Roms gelten, und auch hier ist wieder
einer der Punkte, wo sich die alte päpstliche und die neue königliche Stadt
vortrefflich und glücklich zusammenschließen. Alle Anlagen der schönen Höhe
werden mit großer Sorgfalt erhalten, und man sucht ihnen namentlich dnrch
die Anpflanzung von Palmen und Rhododendren ein besonders exotisches
Aussehen zu geben, was nicht hindert, daß die Schatten der immer grünen
Eichen und andrer breitkronigen Bänme doch am erquicklichsten gefunden werden.
Die köstlichen Spaziergnnge mit ihren wunderbaren Aussichten sind jeden Tag
belebt, kein Fremder versäumt, sich von der Balustrade der Terrasse aus den
herrlichsten Blick nicht über Rom (denn dieser gehört nun einmal der Passegiata
Margherita), wohl aber auf die Riesenkuppel von Se. Peter zu verschaffen.
Das eigentliche Gewühl und Gewoge der Spaziergänger und die endlose Folge
eleganter Wagen, die der Lieblingsluxns der Italiener und namentlich der
Römer bleiben, findet sich an den Tagen, wo auf Monte Pincio die Militär¬
kapellen spielen. Aber es giebt Unterschiede: die Kapellen der Bersaglieri und
der städtischen Polizeisoldaten scheinen bevorzugt zu werden und sind in der
That so leidliche Orchester, als man in Italien irgend antrifft. Freilich
ist es nicht die Musik, die uns Deutsche zum Monte Pincio oder irgendwohin
locken könnte, denn -- von einzelnen wunderbaren Gesangsleistungen in Kirche
und Oper abgesehen -- hat die italienische Musik ihre alte Führerschaft voll¬
ständig verloren, die Orchestermusik ist in einer Weise unzulänglich und roh,
daß sich ein verwöhntes deutsches Ohr meist abgeschreckt findet. Was über
Marsch, Tanz und irgend ein rauschendes Opernfinale hinausgeht, kommt nicht
zu seinem Rechte, wenn auch viel Neigung vorhanden ist, die Programme mit
ansprnchsvolleren Werken zu zieren. Man soll zwar nach gelegentlichen Ein¬
drücken weniger Wochen nicht urteilen, aber so oft ans dem Monte Pincio eine
Folge neuester nordischer Musikwerke abgespielt ward (Wagnersche Klänge kehren
auch hier zur Zeit am häufigsten wieder), empfand man, daß der Beifall ein
gemachter, künstlicher Nespektsbeifall war. Und das wieder ist nicht bloß auf
die Orchesterausführung zu schieben, die weit unter den gewohnten Leistungen
mittelmäßiger deutscher Kapellen bleibt. Das nationale Blut der Italiener
kommt bei den neuern germanischen Werken so wenig wie bei den klassischen
in Wallung, das Vorspiel zu Wagners "Meistersingern" und Stücke von Gabe
und Grieg, die in den Konzerten auf Monte Pincio gespielt wurden, hörte
das größere Publikum achtungsvoll neugierig an, ein paar Dutzend enthusiastische
Klatscher verrieten, daß die genannten und mit ihnen zahlreiche andre Kom¬
ponisten in Rom eine Gemeinde haben. Aber sobald hinterher Verdi und
Mercatante erklangen, sobald eine süßliche Kantilene vernehmbar ward, jauchzte"


Römische Frühlingsbilder

der Hauvtboden des römischen Karnevals gewesen ist. Die schönen Straßen¬
windungen, die von dem alten Endpunkt des Korso, der Piazza del Popolo,
zu der großen Terrasse des Monte Pincio hinaufführen, können demnach als
Verkörperung der großen Erweiterung Roms gelten, und auch hier ist wieder
einer der Punkte, wo sich die alte päpstliche und die neue königliche Stadt
vortrefflich und glücklich zusammenschließen. Alle Anlagen der schönen Höhe
werden mit großer Sorgfalt erhalten, und man sucht ihnen namentlich dnrch
die Anpflanzung von Palmen und Rhododendren ein besonders exotisches
Aussehen zu geben, was nicht hindert, daß die Schatten der immer grünen
Eichen und andrer breitkronigen Bänme doch am erquicklichsten gefunden werden.
Die köstlichen Spaziergnnge mit ihren wunderbaren Aussichten sind jeden Tag
belebt, kein Fremder versäumt, sich von der Balustrade der Terrasse aus den
herrlichsten Blick nicht über Rom (denn dieser gehört nun einmal der Passegiata
Margherita), wohl aber auf die Riesenkuppel von Se. Peter zu verschaffen.
Das eigentliche Gewühl und Gewoge der Spaziergänger und die endlose Folge
eleganter Wagen, die der Lieblingsluxns der Italiener und namentlich der
Römer bleiben, findet sich an den Tagen, wo auf Monte Pincio die Militär¬
kapellen spielen. Aber es giebt Unterschiede: die Kapellen der Bersaglieri und
der städtischen Polizeisoldaten scheinen bevorzugt zu werden und sind in der
That so leidliche Orchester, als man in Italien irgend antrifft. Freilich
ist es nicht die Musik, die uns Deutsche zum Monte Pincio oder irgendwohin
locken könnte, denn — von einzelnen wunderbaren Gesangsleistungen in Kirche
und Oper abgesehen — hat die italienische Musik ihre alte Führerschaft voll¬
ständig verloren, die Orchestermusik ist in einer Weise unzulänglich und roh,
daß sich ein verwöhntes deutsches Ohr meist abgeschreckt findet. Was über
Marsch, Tanz und irgend ein rauschendes Opernfinale hinausgeht, kommt nicht
zu seinem Rechte, wenn auch viel Neigung vorhanden ist, die Programme mit
ansprnchsvolleren Werken zu zieren. Man soll zwar nach gelegentlichen Ein¬
drücken weniger Wochen nicht urteilen, aber so oft ans dem Monte Pincio eine
Folge neuester nordischer Musikwerke abgespielt ward (Wagnersche Klänge kehren
auch hier zur Zeit am häufigsten wieder), empfand man, daß der Beifall ein
gemachter, künstlicher Nespektsbeifall war. Und das wieder ist nicht bloß auf
die Orchesterausführung zu schieben, die weit unter den gewohnten Leistungen
mittelmäßiger deutscher Kapellen bleibt. Das nationale Blut der Italiener
kommt bei den neuern germanischen Werken so wenig wie bei den klassischen
in Wallung, das Vorspiel zu Wagners „Meistersingern" und Stücke von Gabe
und Grieg, die in den Konzerten auf Monte Pincio gespielt wurden, hörte
das größere Publikum achtungsvoll neugierig an, ein paar Dutzend enthusiastische
Klatscher verrieten, daß die genannten und mit ihnen zahlreiche andre Kom¬
ponisten in Rom eine Gemeinde haben. Aber sobald hinterher Verdi und
Mercatante erklangen, sobald eine süßliche Kantilene vernehmbar ward, jauchzte»


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[0087] Römische Frühlingsbilder der Hauvtboden des römischen Karnevals gewesen ist. Die schönen Straßen¬ windungen, die von dem alten Endpunkt des Korso, der Piazza del Popolo, zu der großen Terrasse des Monte Pincio hinaufführen, können demnach als Verkörperung der großen Erweiterung Roms gelten, und auch hier ist wieder einer der Punkte, wo sich die alte päpstliche und die neue königliche Stadt vortrefflich und glücklich zusammenschließen. Alle Anlagen der schönen Höhe werden mit großer Sorgfalt erhalten, und man sucht ihnen namentlich dnrch die Anpflanzung von Palmen und Rhododendren ein besonders exotisches Aussehen zu geben, was nicht hindert, daß die Schatten der immer grünen Eichen und andrer breitkronigen Bänme doch am erquicklichsten gefunden werden. Die köstlichen Spaziergnnge mit ihren wunderbaren Aussichten sind jeden Tag belebt, kein Fremder versäumt, sich von der Balustrade der Terrasse aus den herrlichsten Blick nicht über Rom (denn dieser gehört nun einmal der Passegiata Margherita), wohl aber auf die Riesenkuppel von Se. Peter zu verschaffen. Das eigentliche Gewühl und Gewoge der Spaziergänger und die endlose Folge eleganter Wagen, die der Lieblingsluxns der Italiener und namentlich der Römer bleiben, findet sich an den Tagen, wo auf Monte Pincio die Militär¬ kapellen spielen. Aber es giebt Unterschiede: die Kapellen der Bersaglieri und der städtischen Polizeisoldaten scheinen bevorzugt zu werden und sind in der That so leidliche Orchester, als man in Italien irgend antrifft. Freilich ist es nicht die Musik, die uns Deutsche zum Monte Pincio oder irgendwohin locken könnte, denn — von einzelnen wunderbaren Gesangsleistungen in Kirche und Oper abgesehen — hat die italienische Musik ihre alte Führerschaft voll¬ ständig verloren, die Orchestermusik ist in einer Weise unzulänglich und roh, daß sich ein verwöhntes deutsches Ohr meist abgeschreckt findet. Was über Marsch, Tanz und irgend ein rauschendes Opernfinale hinausgeht, kommt nicht zu seinem Rechte, wenn auch viel Neigung vorhanden ist, die Programme mit ansprnchsvolleren Werken zu zieren. Man soll zwar nach gelegentlichen Ein¬ drücken weniger Wochen nicht urteilen, aber so oft ans dem Monte Pincio eine Folge neuester nordischer Musikwerke abgespielt ward (Wagnersche Klänge kehren auch hier zur Zeit am häufigsten wieder), empfand man, daß der Beifall ein gemachter, künstlicher Nespektsbeifall war. Und das wieder ist nicht bloß auf die Orchesterausführung zu schieben, die weit unter den gewohnten Leistungen mittelmäßiger deutscher Kapellen bleibt. Das nationale Blut der Italiener kommt bei den neuern germanischen Werken so wenig wie bei den klassischen in Wallung, das Vorspiel zu Wagners „Meistersingern" und Stücke von Gabe und Grieg, die in den Konzerten auf Monte Pincio gespielt wurden, hörte das größere Publikum achtungsvoll neugierig an, ein paar Dutzend enthusiastische Klatscher verrieten, daß die genannten und mit ihnen zahlreiche andre Kom¬ ponisten in Rom eine Gemeinde haben. Aber sobald hinterher Verdi und Mercatante erklangen, sobald eine süßliche Kantilene vernehmbar ward, jauchzte»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/87>, abgerufen am 13.05.2024.