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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Weitere Randbemerkungen zur Dezemberkonferenz

as diese Beratungen auszeichnen soll -- so sprach am 4. Dezember
bei Eröffnung der Schulkouferenz der Minister von Goßler --,
ist die volle Freiheit der Diskussion. Durch die unverkürzte
Herausgabe der stenographischen Protokolle^) hat er zur Freiheit
die Öffentlichkeit gefügt. Eine wertvolle Urkunde hat er uns
in die Hand gegeben und damit allen, die es angeht, eine Waffe, sich an dem
edeln Streit der Meinungen zu beteiligen.

Sollte man es mit zwei Worten sagen, was denn eigentlich in den letzten
Jahren immer weitere Kreise des Volkes in den Schulstreit hineinzog, so war
es: die Überbürdung der Jugend und die Vorrechte des Gymnasiums. Und:
Entlastung der Jugend, Ermäßigung der Lehrziele, Vereinfachung des Schlu߬
examens, Verminderung der Stundenzahl! so tönt es aus der dritten, vierten,
achten, zehnten Frage des Ministers und fast aus allen sieben Fragen des
Kaisers heraus; und die Konferenz ist die Antwort nicht schuldig geblieben.
"Es handelt sich um eine Entlastung der Jngend teils um ihrer allgemeinen
leiblichen, intellektuellen, sittlichen Gesundheit willen, teils auch um ihrer selb¬
ständigen Arbeit mehr Raum zuzuweisen," so sprach das verehrtcste Haupt
der Versammlung, der vertrauteste Ratgeber des geschiednen Ministers, Wilhelm
Schrndcr (S. 215). Doch die Forderung hat auch ihre bedenkliche Seite: früher
klagten nur die unfleißigem, jetzt verlangt man allgemein, auch für unsre
Jugend, weniger Arbeit, mehr Lohn, so äußerte sich Fürstbischof Kopp (S. 272).
Ob Verweichlichung in Erziehung und Ernährung die Hauptschuld tragen, wie
der Fürstbischof anzunehmen geneigt ist, ob es noch tiefer liegt, wer will es
sagen? Vielleicht kommen die meisten unsrer Kinder schon belastet zur Welt?
dann wäre die Entlastung doppelt geboten, um der werdenden Väter willen.
Aber was soll geschehen? Bloße Beschränkung der Arbeitszeit? Was wird
die Jugend mit ihrer Muße anfangen? wird mau sie ohne Zwang zu Be¬
wegung und gedeihlichem Spiele bringen? Und wichtiger als die quantitative



*) Verhandlungen über Fragen des höheren Unterrichts. Berlin, 4,bis 7.De¬
zember 1890. Im Auftrage des Ministers der geistlichen. Unterrichts- und Medizinalangelegen-
heiten. Berlin, Wilhelm Hertz, 1891. 800 Seiten Lexikonoktav.


Weitere Randbemerkungen zur Dezemberkonferenz

as diese Beratungen auszeichnen soll — so sprach am 4. Dezember
bei Eröffnung der Schulkouferenz der Minister von Goßler —,
ist die volle Freiheit der Diskussion. Durch die unverkürzte
Herausgabe der stenographischen Protokolle^) hat er zur Freiheit
die Öffentlichkeit gefügt. Eine wertvolle Urkunde hat er uns
in die Hand gegeben und damit allen, die es angeht, eine Waffe, sich an dem
edeln Streit der Meinungen zu beteiligen.

Sollte man es mit zwei Worten sagen, was denn eigentlich in den letzten
Jahren immer weitere Kreise des Volkes in den Schulstreit hineinzog, so war
es: die Überbürdung der Jugend und die Vorrechte des Gymnasiums. Und:
Entlastung der Jugend, Ermäßigung der Lehrziele, Vereinfachung des Schlu߬
examens, Verminderung der Stundenzahl! so tönt es aus der dritten, vierten,
achten, zehnten Frage des Ministers und fast aus allen sieben Fragen des
Kaisers heraus; und die Konferenz ist die Antwort nicht schuldig geblieben.
„Es handelt sich um eine Entlastung der Jngend teils um ihrer allgemeinen
leiblichen, intellektuellen, sittlichen Gesundheit willen, teils auch um ihrer selb¬
ständigen Arbeit mehr Raum zuzuweisen," so sprach das verehrtcste Haupt
der Versammlung, der vertrauteste Ratgeber des geschiednen Ministers, Wilhelm
Schrndcr (S. 215). Doch die Forderung hat auch ihre bedenkliche Seite: früher
klagten nur die unfleißigem, jetzt verlangt man allgemein, auch für unsre
Jugend, weniger Arbeit, mehr Lohn, so äußerte sich Fürstbischof Kopp (S. 272).
Ob Verweichlichung in Erziehung und Ernährung die Hauptschuld tragen, wie
der Fürstbischof anzunehmen geneigt ist, ob es noch tiefer liegt, wer will es
sagen? Vielleicht kommen die meisten unsrer Kinder schon belastet zur Welt?
dann wäre die Entlastung doppelt geboten, um der werdenden Väter willen.
Aber was soll geschehen? Bloße Beschränkung der Arbeitszeit? Was wird
die Jugend mit ihrer Muße anfangen? wird mau sie ohne Zwang zu Be¬
wegung und gedeihlichem Spiele bringen? Und wichtiger als die quantitative



*) Verhandlungen über Fragen des höheren Unterrichts. Berlin, 4,bis 7.De¬
zember 1890. Im Auftrage des Ministers der geistlichen. Unterrichts- und Medizinalangelegen-
heiten. Berlin, Wilhelm Hertz, 1891. 800 Seiten Lexikonoktav.
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[0129] [Abbildung] Weitere Randbemerkungen zur Dezemberkonferenz as diese Beratungen auszeichnen soll — so sprach am 4. Dezember bei Eröffnung der Schulkouferenz der Minister von Goßler —, ist die volle Freiheit der Diskussion. Durch die unverkürzte Herausgabe der stenographischen Protokolle^) hat er zur Freiheit die Öffentlichkeit gefügt. Eine wertvolle Urkunde hat er uns in die Hand gegeben und damit allen, die es angeht, eine Waffe, sich an dem edeln Streit der Meinungen zu beteiligen. Sollte man es mit zwei Worten sagen, was denn eigentlich in den letzten Jahren immer weitere Kreise des Volkes in den Schulstreit hineinzog, so war es: die Überbürdung der Jugend und die Vorrechte des Gymnasiums. Und: Entlastung der Jugend, Ermäßigung der Lehrziele, Vereinfachung des Schlu߬ examens, Verminderung der Stundenzahl! so tönt es aus der dritten, vierten, achten, zehnten Frage des Ministers und fast aus allen sieben Fragen des Kaisers heraus; und die Konferenz ist die Antwort nicht schuldig geblieben. „Es handelt sich um eine Entlastung der Jngend teils um ihrer allgemeinen leiblichen, intellektuellen, sittlichen Gesundheit willen, teils auch um ihrer selb¬ ständigen Arbeit mehr Raum zuzuweisen," so sprach das verehrtcste Haupt der Versammlung, der vertrauteste Ratgeber des geschiednen Ministers, Wilhelm Schrndcr (S. 215). Doch die Forderung hat auch ihre bedenkliche Seite: früher klagten nur die unfleißigem, jetzt verlangt man allgemein, auch für unsre Jugend, weniger Arbeit, mehr Lohn, so äußerte sich Fürstbischof Kopp (S. 272). Ob Verweichlichung in Erziehung und Ernährung die Hauptschuld tragen, wie der Fürstbischof anzunehmen geneigt ist, ob es noch tiefer liegt, wer will es sagen? Vielleicht kommen die meisten unsrer Kinder schon belastet zur Welt? dann wäre die Entlastung doppelt geboten, um der werdenden Väter willen. Aber was soll geschehen? Bloße Beschränkung der Arbeitszeit? Was wird die Jugend mit ihrer Muße anfangen? wird mau sie ohne Zwang zu Be¬ wegung und gedeihlichem Spiele bringen? Und wichtiger als die quantitative *) Verhandlungen über Fragen des höheren Unterrichts. Berlin, 4,bis 7.De¬ zember 1890. Im Auftrage des Ministers der geistlichen. Unterrichts- und Medizinalangelegen- heiten. Berlin, Wilhelm Hertz, 1891. 800 Seiten Lexikonoktav.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/129>, abgerufen am 03.05.2024.