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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Neues von Mitbeten Raabe

Kenntnis seiner Muttersprache und ihrer Entwicklungsgeschichte nicht entbehren.
Er muß vor allein selbst das gelernt haben, woran er seine Zöglinge besonders
gewöhnen soll: den eignen Sprachbesitz als ein geschichtlich gewordenes auf¬
zufassen und zu betrachten. Wer das versteht, der findet überall Anregung
"zu fruchtbarem geschichtlichen Denken, das unser Geschlecht so nötig braucht,
um sich in seiner Vergangenheit und -- Gegenwart zurecht zu finden." Die
einzelnen Aufsätze Hildebrands enthalten eine Fülle von Beispielen in diesem
Sinne; alle sind unmittelbar ans dem Leben gegriffen, einige aus dem engern
Leben der Schule selbst. Ein allbekannter einfacher Kinderreim giebt Anlaß zu
einem weiten kulturgeschichtlichen Rückblick, an demselben Liedchen entwickelt
uns Hildebrand die Grundgesetze des deutschen Versbaues. Dein Sprichwort
in der Schule ist eine lehrreiche und anregende Betrachtung gewidmet. Be¬
sonders hinweisen mochten wir auch uoch auf die beiden Aufsätze über gehäufte
Verneinung und über den vorsichtigen Konjunktiv. Die Überschriften deuten
auf strenge -- der Laie sagt so gern "trockene" -- Grammatik, und doch
wird gerade beim Lesen dieser Untersuchungen jedem klar werden, wie vor¬
trefflich es Hildebrand versteht, uns zu eifriger Mitarbeit zu zwingen.

Wenn der Verfasser "für solche, denen ein Buch wesentlich unter den
bibliographische-? Gesichtspunkt fällt," bemerkt, daß die Sammlung keineswegs
eine vollständige sei, so drängt sich uns dabei die vielleicht unbescheidene Frage
auf, ob er uns doch nicht manches vorenthalten habe, für dessen Mitteilung
Nur ihm von Herzen dankbar sein würden. Jedenfalls berechtigt uns das
Erscheinen einer Reihe von neuen Aufsätzen in deu letzten Heften der Zeit¬
schrift für den deutscheu Unterricht zu der Hoffnung, daß dieser Sammlung
in nicht allzu lauger Zeit ein zweiter Band folgen werde.




Neues von Wilhelm Raabe

is einer der letzten Romantiker ragt Wilhelm Raabe, von
den Erzählern seines Alters und seiner Fruchtbarkeit vielleicht
der einzige, der sich auf der Höhe seiner Kraft erhalten hat,
noch immer achtunggebietend in unser Zeitalter des Wirklichkeits¬
kultus herein. Seine geistige Kraft scheint unverwüstlich zu
sein, seine innere Fortbildung scheint gar nicht abschließen zu wollen, mit
jedem neuen Buche, das er in die Welt schickt, ist er immer derselbe alte


Neues von Mitbeten Raabe

Kenntnis seiner Muttersprache und ihrer Entwicklungsgeschichte nicht entbehren.
Er muß vor allein selbst das gelernt haben, woran er seine Zöglinge besonders
gewöhnen soll: den eignen Sprachbesitz als ein geschichtlich gewordenes auf¬
zufassen und zu betrachten. Wer das versteht, der findet überall Anregung
„zu fruchtbarem geschichtlichen Denken, das unser Geschlecht so nötig braucht,
um sich in seiner Vergangenheit und — Gegenwart zurecht zu finden." Die
einzelnen Aufsätze Hildebrands enthalten eine Fülle von Beispielen in diesem
Sinne; alle sind unmittelbar ans dem Leben gegriffen, einige aus dem engern
Leben der Schule selbst. Ein allbekannter einfacher Kinderreim giebt Anlaß zu
einem weiten kulturgeschichtlichen Rückblick, an demselben Liedchen entwickelt
uns Hildebrand die Grundgesetze des deutschen Versbaues. Dein Sprichwort
in der Schule ist eine lehrreiche und anregende Betrachtung gewidmet. Be¬
sonders hinweisen mochten wir auch uoch auf die beiden Aufsätze über gehäufte
Verneinung und über den vorsichtigen Konjunktiv. Die Überschriften deuten
auf strenge — der Laie sagt so gern „trockene" — Grammatik, und doch
wird gerade beim Lesen dieser Untersuchungen jedem klar werden, wie vor¬
trefflich es Hildebrand versteht, uns zu eifriger Mitarbeit zu zwingen.

Wenn der Verfasser „für solche, denen ein Buch wesentlich unter den
bibliographische-? Gesichtspunkt fällt," bemerkt, daß die Sammlung keineswegs
eine vollständige sei, so drängt sich uns dabei die vielleicht unbescheidene Frage
auf, ob er uns doch nicht manches vorenthalten habe, für dessen Mitteilung
Nur ihm von Herzen dankbar sein würden. Jedenfalls berechtigt uns das
Erscheinen einer Reihe von neuen Aufsätzen in deu letzten Heften der Zeit¬
schrift für den deutscheu Unterricht zu der Hoffnung, daß dieser Sammlung
in nicht allzu lauger Zeit ein zweiter Band folgen werde.




Neues von Wilhelm Raabe

is einer der letzten Romantiker ragt Wilhelm Raabe, von
den Erzählern seines Alters und seiner Fruchtbarkeit vielleicht
der einzige, der sich auf der Höhe seiner Kraft erhalten hat,
noch immer achtunggebietend in unser Zeitalter des Wirklichkeits¬
kultus herein. Seine geistige Kraft scheint unverwüstlich zu
sein, seine innere Fortbildung scheint gar nicht abschließen zu wollen, mit
jedem neuen Buche, das er in die Welt schickt, ist er immer derselbe alte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/152>, abgerufen am 03.05.2024.