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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Zeldmarschall Graf Moltke

in 20. Oktober des vorigen Jahres hallte ganz Deutschland wieder
von Festfreude, um den neunzigsten Geburtstag des greisen Helden
zu feiern, der, mit dem Jahrhundert geboren, den größten poli¬
tischen Ereignissen des Jahrhunderts den Stempel seines Geistes
aufgeprägt hatte. Wir hatten uns gewöhnt, ihn als einen von
denen anzusehen, die stärker sind als die Zeit. Denn ungebeugt schritt er einher,
klaren Geistes, ungetrübt in seinem Erkennen, ungeschlacht in seiner Willens¬
kraft, ein Zeuge der Vergangenheit, und doch ein Teil der lebendigen Gegen¬
wart, deren Freud und Leid, deren Sorgen und Rätsel seiner Seele stets
gegenwärtig waren. Mit der ruhigen Weisheit des Alters über den Parteien
stehend, brachte er dem Wirklichen, woher es sich auch immer ans Licht drängte,
Verständnis entgegen, als unvergleichlicher Rechner wußte er alles mit in An¬
schlag zu bringen, wenn es galt, die letzte" Schlüsse zu ziehen, den Blick
stets auf das Ganze gerichtet, lebte er vor allem uns, dem deutschen Volke,
dein Ansehen und der Herrlichkeit des dentschen Reiches und -- ein Royalist
vom Scheitel bis zur Sohle -- dem Ruhme und der Ehre seines Königs.

Und nun klingen die Totenglocken, halbmast flattern die Fahnen, der
große Todesgedanke, der je länger je mehr an ihn herantrat, ist von ihm aus¬
gedacht worden: ohne Kampf, schmerzlos und widerstandslos hat er sich dem
übermächtigen Gegner ergeben, die erste und letzte Kapitulation des nie be¬
siegten Kriegers.

Welch ein Mann, und welch ein Leben! Die ersten starken Eindrücke
drangen auf den sechsjährigen Knaben ein, als sich an jenem 6/November 1806
die letzten.Trümmer des preußischen Heeres in den Straßen vou Lübeck noch
einmal wie angeschossene Eber den Truppen des Soultschen Korps entgegen
warfen; als die Blücher, Aork, Witzleben die um Boden liegende deutsche


Gmizboteu II 1891 ^7


Zeldmarschall Graf Moltke

in 20. Oktober des vorigen Jahres hallte ganz Deutschland wieder
von Festfreude, um den neunzigsten Geburtstag des greisen Helden
zu feiern, der, mit dem Jahrhundert geboren, den größten poli¬
tischen Ereignissen des Jahrhunderts den Stempel seines Geistes
aufgeprägt hatte. Wir hatten uns gewöhnt, ihn als einen von
denen anzusehen, die stärker sind als die Zeit. Denn ungebeugt schritt er einher,
klaren Geistes, ungetrübt in seinem Erkennen, ungeschlacht in seiner Willens¬
kraft, ein Zeuge der Vergangenheit, und doch ein Teil der lebendigen Gegen¬
wart, deren Freud und Leid, deren Sorgen und Rätsel seiner Seele stets
gegenwärtig waren. Mit der ruhigen Weisheit des Alters über den Parteien
stehend, brachte er dem Wirklichen, woher es sich auch immer ans Licht drängte,
Verständnis entgegen, als unvergleichlicher Rechner wußte er alles mit in An¬
schlag zu bringen, wenn es galt, die letzte« Schlüsse zu ziehen, den Blick
stets auf das Ganze gerichtet, lebte er vor allem uns, dem deutschen Volke,
dein Ansehen und der Herrlichkeit des dentschen Reiches und — ein Royalist
vom Scheitel bis zur Sohle — dem Ruhme und der Ehre seines Königs.

Und nun klingen die Totenglocken, halbmast flattern die Fahnen, der
große Todesgedanke, der je länger je mehr an ihn herantrat, ist von ihm aus¬
gedacht worden: ohne Kampf, schmerzlos und widerstandslos hat er sich dem
übermächtigen Gegner ergeben, die erste und letzte Kapitulation des nie be¬
siegten Kriegers.

Welch ein Mann, und welch ein Leben! Die ersten starken Eindrücke
drangen auf den sechsjährigen Knaben ein, als sich an jenem 6/November 1806
die letzten.Trümmer des preußischen Heeres in den Straßen vou Lübeck noch
einmal wie angeschossene Eber den Truppen des Soultschen Korps entgegen
warfen; als die Blücher, Aork, Witzleben die um Boden liegende deutsche


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[0213] [Abbildung] Zeldmarschall Graf Moltke in 20. Oktober des vorigen Jahres hallte ganz Deutschland wieder von Festfreude, um den neunzigsten Geburtstag des greisen Helden zu feiern, der, mit dem Jahrhundert geboren, den größten poli¬ tischen Ereignissen des Jahrhunderts den Stempel seines Geistes aufgeprägt hatte. Wir hatten uns gewöhnt, ihn als einen von denen anzusehen, die stärker sind als die Zeit. Denn ungebeugt schritt er einher, klaren Geistes, ungetrübt in seinem Erkennen, ungeschlacht in seiner Willens¬ kraft, ein Zeuge der Vergangenheit, und doch ein Teil der lebendigen Gegen¬ wart, deren Freud und Leid, deren Sorgen und Rätsel seiner Seele stets gegenwärtig waren. Mit der ruhigen Weisheit des Alters über den Parteien stehend, brachte er dem Wirklichen, woher es sich auch immer ans Licht drängte, Verständnis entgegen, als unvergleichlicher Rechner wußte er alles mit in An¬ schlag zu bringen, wenn es galt, die letzte« Schlüsse zu ziehen, den Blick stets auf das Ganze gerichtet, lebte er vor allem uns, dem deutschen Volke, dein Ansehen und der Herrlichkeit des dentschen Reiches und — ein Royalist vom Scheitel bis zur Sohle — dem Ruhme und der Ehre seines Königs. Und nun klingen die Totenglocken, halbmast flattern die Fahnen, der große Todesgedanke, der je länger je mehr an ihn herantrat, ist von ihm aus¬ gedacht worden: ohne Kampf, schmerzlos und widerstandslos hat er sich dem übermächtigen Gegner ergeben, die erste und letzte Kapitulation des nie be¬ siegten Kriegers. Welch ein Mann, und welch ein Leben! Die ersten starken Eindrücke drangen auf den sechsjährigen Knaben ein, als sich an jenem 6/November 1806 die letzten.Trümmer des preußischen Heeres in den Straßen vou Lübeck noch einmal wie angeschossene Eber den Truppen des Soultschen Korps entgegen warfen; als die Blücher, Aork, Witzleben die um Boden liegende deutsche Gmizboteu II 1891 ^7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/213>, abgerufen am 03.05.2024.