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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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es ausgezeichnet, wenn die Regierung, die für notleidende Lehrer eintritt, durch
die Selbstverwaltung gehemmt wird, bestreitet die Bedürfnisfrage und schlägt
die Aufbesserung der Gehalte der Lcmdräte vor. Das hat natürlich ein Land¬
rat geschrieben.''. Und was für einer! Es wird schwer sein, den Freunden der
Selbstverwaltung gegenüber -- das sind die, die den Vorteil von der Sache
haben -- die Zurücknahme verliehener Rechte durchzusetzen.

Aber wenn es auch geschähe, so bliebe immer noch die Schwierigkeit: in
welche Hände sollen die neuerdings überwiesenen Summen gelegt werden?
Wieder in die der Selbstverwaltung? Selbstverwnltuug kann doch nichts
andres bedeuten, als die Verwaltung der eignen Angelegenheiten, der eignen
Einnahmen und Ausgaben. Es ist falsch, daß der Staat staatliche Mittel zu
staatlichen Zwecken der Selbstverwaltung überläßt; mindestens muß hierbei die
Selbstverwaltung so weit beschränkt werden, daß der Staat eine wirksame
Aussicht über die richtige Verwendung der Mittel ausüben tan". Etwas
andres war es, wenn der preußische Staat der Prvviuzialverwaltung den
Ban der Heerstraßen abtrat und den Provinzen Kapital zahlte, aus dessen
Zinsen der Staatsbeitrag zur Baulast genommen werden sollte. Hier übertrug
der Staat die Arbeit und die Mittel und zog sich von der Sache zurück.
Wenn aber Staatsmittel an Kreise verteilt werden zur Ausführung staatlicher
Ausgaben, so darf der Staat nicht in der Weise abdanken, wie es in dem
Gesetze vom 2l>. Mai 1887 geschehen ist.

Der Staat sollte überhaupt keine Gelder "überweisen," er sollte das Geld,
das er nicht braucht, in deu Taschen der Steuerzahler lassen; er sollte, wenn
er im Sinne einer gerechteren Verteilung der Lasten Gelder zuschießt, mit
eigner Hand eingreifen. Er sollte aber durch seine Gesetzgebung vor allen
Dingen dahin wirken, daß die Laste" möglichst gleich verteilt werden.




Der gegenwärtige Htand der Arbeiterwohnungsfrage

je Arbeiterwohnungsfrage, auf welchem Wege sie immer nach
den Verhältnissen zu lösen ist, ist eine der wichtigsten sozialen
Fragen, und es muß an der Wvhnungsreform in der mannig¬
faltigsten Weise und von weiten Kreisen gearbeitet werden. Bei
schlechten Wohnungsverhältnissen ist ein geordnetes Familie"- und
Hauswesen undenkbar; in dem Sinne für Häuslichkeit, für die Familie, in der
satten-, Eltern- und Kinderliebe wurzelt aber die Liebe zur Arbeit, zur Ort-


es ausgezeichnet, wenn die Regierung, die für notleidende Lehrer eintritt, durch
die Selbstverwaltung gehemmt wird, bestreitet die Bedürfnisfrage und schlägt
die Aufbesserung der Gehalte der Lcmdräte vor. Das hat natürlich ein Land¬
rat geschrieben.''. Und was für einer! Es wird schwer sein, den Freunden der
Selbstverwaltung gegenüber — das sind die, die den Vorteil von der Sache
haben — die Zurücknahme verliehener Rechte durchzusetzen.

Aber wenn es auch geschähe, so bliebe immer noch die Schwierigkeit: in
welche Hände sollen die neuerdings überwiesenen Summen gelegt werden?
Wieder in die der Selbstverwaltung? Selbstverwnltuug kann doch nichts
andres bedeuten, als die Verwaltung der eignen Angelegenheiten, der eignen
Einnahmen und Ausgaben. Es ist falsch, daß der Staat staatliche Mittel zu
staatlichen Zwecken der Selbstverwaltung überläßt; mindestens muß hierbei die
Selbstverwaltung so weit beschränkt werden, daß der Staat eine wirksame
Aussicht über die richtige Verwendung der Mittel ausüben tan». Etwas
andres war es, wenn der preußische Staat der Prvviuzialverwaltung den
Ban der Heerstraßen abtrat und den Provinzen Kapital zahlte, aus dessen
Zinsen der Staatsbeitrag zur Baulast genommen werden sollte. Hier übertrug
der Staat die Arbeit und die Mittel und zog sich von der Sache zurück.
Wenn aber Staatsmittel an Kreise verteilt werden zur Ausführung staatlicher
Ausgaben, so darf der Staat nicht in der Weise abdanken, wie es in dem
Gesetze vom 2l>. Mai 1887 geschehen ist.

Der Staat sollte überhaupt keine Gelder „überweisen," er sollte das Geld,
das er nicht braucht, in deu Taschen der Steuerzahler lassen; er sollte, wenn
er im Sinne einer gerechteren Verteilung der Lasten Gelder zuschießt, mit
eigner Hand eingreifen. Er sollte aber durch seine Gesetzgebung vor allen
Dingen dahin wirken, daß die Laste» möglichst gleich verteilt werden.




Der gegenwärtige Htand der Arbeiterwohnungsfrage

je Arbeiterwohnungsfrage, auf welchem Wege sie immer nach
den Verhältnissen zu lösen ist, ist eine der wichtigsten sozialen
Fragen, und es muß an der Wvhnungsreform in der mannig¬
faltigsten Weise und von weiten Kreisen gearbeitet werden. Bei
schlechten Wohnungsverhältnissen ist ein geordnetes Familie»- und
Hauswesen undenkbar; in dem Sinne für Häuslichkeit, für die Familie, in der
satten-, Eltern- und Kinderliebe wurzelt aber die Liebe zur Arbeit, zur Ort-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/120>, abgerufen am 28.04.2024.