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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der Aufstand der Bergarbeiter

l
e Bergleute des rheinischen und westfälischen Kohlengebiets
haben unerwartet die Arbeit niedergelegt und dadurch wieder
einmal die wirtschaftliche Existenz des Landes bedroht. Und ehe
man es dachte, ist das Land wieder vor die Frage gestellt worden,
ob es nicht Mittel gebe, sich gegen solche Gefahren zu schützen.
Als im Jahre 1889 der westfälische Aufstand ausbrach, fanden die Beschwerden
der Bergleute an höchster Stelle wie im ganzen Lande wohlwollendes Gehör.
Man nahm von vornherein an, daß den Leuten schweres Unrecht geschehen
sei, man betrachtete den Aufstand als eine That der Verzweiflung und war
bereit, alle erfüllbaren Forderungen zu erfüllen. Nur das wurde verlangt,
daß sich die Bergleute innerhalb der gesetzlichen Schranken halten, den Kontrakt-
brnch meiden und vernünftig mit sich reden lassen sollten. Ihre Haupt¬
forderung, die Erhöhung des Lohnes und die Abstellung mancher Härten und
Willkürlichkeiten im Betriebe, haben sie damals erreicht. Damit glaubte man
die Bergarbeiterfrage für längere Zeit zur Zufriedenheit der Bergleute ge¬
regelt zu haben. Daß aber alles damals bewiesene Entgegenkommen nichts
geholfen hat, beweist der gegenwärtige Aufstand im Sanrgebiet. Wir sind
jetzt genau wieder so weit wie damals. Ja die Lage hat sich gegen damals
verschlechtert, die Parteien stehn sich schroffer gegenüber, der Nest von gegen¬
seitigem Vertrauen scheint geschwunden zu sein.

Ein erkennbarer hinreichender Grund sür den Aufstand ist nicht vor¬
handen. Er ist ein Rätsel. Er begann trotz aller Abmahnung mit all¬
gemeinem Kvntraktbruch, wodurch eine Ausgleichung in Güte von vornherein
unmöglich wurde, und verbreitete sich wie ein Brand, in den der Wind hinein-
l'läst/ Nicht die Not, nicht der Verstand, nicht das Gefühl verletzten Rechts
haben diesen Brand entzündet und genährt, sondern die Leidenschaft.


Grenzboten 1 1893 A>


Der Aufstand der Bergarbeiter

l
e Bergleute des rheinischen und westfälischen Kohlengebiets
haben unerwartet die Arbeit niedergelegt und dadurch wieder
einmal die wirtschaftliche Existenz des Landes bedroht. Und ehe
man es dachte, ist das Land wieder vor die Frage gestellt worden,
ob es nicht Mittel gebe, sich gegen solche Gefahren zu schützen.
Als im Jahre 1889 der westfälische Aufstand ausbrach, fanden die Beschwerden
der Bergleute an höchster Stelle wie im ganzen Lande wohlwollendes Gehör.
Man nahm von vornherein an, daß den Leuten schweres Unrecht geschehen
sei, man betrachtete den Aufstand als eine That der Verzweiflung und war
bereit, alle erfüllbaren Forderungen zu erfüllen. Nur das wurde verlangt,
daß sich die Bergleute innerhalb der gesetzlichen Schranken halten, den Kontrakt-
brnch meiden und vernünftig mit sich reden lassen sollten. Ihre Haupt¬
forderung, die Erhöhung des Lohnes und die Abstellung mancher Härten und
Willkürlichkeiten im Betriebe, haben sie damals erreicht. Damit glaubte man
die Bergarbeiterfrage für längere Zeit zur Zufriedenheit der Bergleute ge¬
regelt zu haben. Daß aber alles damals bewiesene Entgegenkommen nichts
geholfen hat, beweist der gegenwärtige Aufstand im Sanrgebiet. Wir sind
jetzt genau wieder so weit wie damals. Ja die Lage hat sich gegen damals
verschlechtert, die Parteien stehn sich schroffer gegenüber, der Nest von gegen¬
seitigem Vertrauen scheint geschwunden zu sein.

Ein erkennbarer hinreichender Grund sür den Aufstand ist nicht vor¬
handen. Er ist ein Rätsel. Er begann trotz aller Abmahnung mit all¬
gemeinem Kvntraktbruch, wodurch eine Ausgleichung in Güte von vornherein
unmöglich wurde, und verbreitete sich wie ein Brand, in den der Wind hinein-
l'läst/ Nicht die Not, nicht der Verstand, nicht das Gefühl verletzten Rechts
haben diesen Brand entzündet und genährt, sondern die Leidenschaft.


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[0211] [Abbildung] Der Aufstand der Bergarbeiter l e Bergleute des rheinischen und westfälischen Kohlengebiets haben unerwartet die Arbeit niedergelegt und dadurch wieder einmal die wirtschaftliche Existenz des Landes bedroht. Und ehe man es dachte, ist das Land wieder vor die Frage gestellt worden, ob es nicht Mittel gebe, sich gegen solche Gefahren zu schützen. Als im Jahre 1889 der westfälische Aufstand ausbrach, fanden die Beschwerden der Bergleute an höchster Stelle wie im ganzen Lande wohlwollendes Gehör. Man nahm von vornherein an, daß den Leuten schweres Unrecht geschehen sei, man betrachtete den Aufstand als eine That der Verzweiflung und war bereit, alle erfüllbaren Forderungen zu erfüllen. Nur das wurde verlangt, daß sich die Bergleute innerhalb der gesetzlichen Schranken halten, den Kontrakt- brnch meiden und vernünftig mit sich reden lassen sollten. Ihre Haupt¬ forderung, die Erhöhung des Lohnes und die Abstellung mancher Härten und Willkürlichkeiten im Betriebe, haben sie damals erreicht. Damit glaubte man die Bergarbeiterfrage für längere Zeit zur Zufriedenheit der Bergleute ge¬ regelt zu haben. Daß aber alles damals bewiesene Entgegenkommen nichts geholfen hat, beweist der gegenwärtige Aufstand im Sanrgebiet. Wir sind jetzt genau wieder so weit wie damals. Ja die Lage hat sich gegen damals verschlechtert, die Parteien stehn sich schroffer gegenüber, der Nest von gegen¬ seitigem Vertrauen scheint geschwunden zu sein. Ein erkennbarer hinreichender Grund sür den Aufstand ist nicht vor¬ handen. Er ist ein Rätsel. Er begann trotz aller Abmahnung mit all¬ gemeinem Kvntraktbruch, wodurch eine Ausgleichung in Güte von vornherein unmöglich wurde, und verbreitete sich wie ein Brand, in den der Wind hinein- l'läst/ Nicht die Not, nicht der Verstand, nicht das Gefühl verletzten Rechts haben diesen Brand entzündet und genährt, sondern die Leidenschaft. Grenzboten 1 1893 A>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/211>, abgerufen am 28.04.2024.