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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der Aufstand der Bergarbeiter

Den äußern Anlaß gab eine neue oder vielmehr die Erneuerung einer
alten Arbeitsordnung, die am 1. Januar ins Leben treten sollte. In dieser
Arbeitsordnung waren es besonders zwei Punkte, die den Unwillen hervor¬
riefen. Erstens die Einrichtung der Lehrhäuer. Es ist in der Ordnung, daß
junge Burschen, die eben erst Häuer geworden sind, nicht denselben Lohn er¬
halten als verheiratete und erfahrne Leute. Der Fehler war nur, daß die
Behörden so spät zu dieser Erkenntnis gekommen sind. Diese jungen, durch
einen zu hohen Lohn verwöhnten Burschen, die nichts zu verlieren haben,
bilden überall das unruhige Element, den eigentlichen Nährboden für sozial-
demokratische Einflüsse. Daß diese Leute mit der Einrichtung der Lehrhäuer
unzufrieden waren, ist begreiflich. Ein andrer Punkt beruht offenbar auf
Mißverständnissen. Es war bestimmt worden, daß der Häuer den Steiger
als "Arbeitgeber" anzusehn und als solchem Gehorsam zu leisten habe. Das
ist Juristendeutsch, das der einfache Mann falsch verstehen muß. Daß der
Steiger, der gestern noch sein Kamerad gewesen ist, heute sein Brodherr sein
solle, begreift der Bergmann nicht. Daß er sein nächster Vorgesetzter sei, würde
er sehr leicht begreifen. Was geht den Bergmann der Formalismus der Ge¬
werbeordnung an?

Aber diese oder andre Bestimmungen hatten nnr den äußern Anlaß ge¬
geben. Zu Grunde liegt ein allgemeiner Unwille, eine allgemeine Unzufrieden¬
heit der Arbeiterschaft. Der Lohn ist uicht hoch genug, das Leben ist nicht
lustig genug. Der Druck des Dienstes, der notwendige und heilsame Zwang
der Disziplin wird als bittres Unrecht empfunden. Sichern und hohen Lohn
für unsichre Arbeit und im übrigen thun und lassen können, was man will,
das ist das erstrebte "unveräußerliche Menschenrecht," das ist der Zug, der
sich überall in der Arbeiterschaft, besonders auch in der ländlichen Arbeiter¬
schaft findet.

Mögen sich aber auch einige Tausende der Bergarbeiter nicht darüber
klar sein, was sie eigentlich mit ihrem Aufstande bezwecken, mag auch der
gegenwärtige Streik aus dem leicht erregbaren Gemüt des Bergmanns her¬
vorgegangen sein, ohne daß er feste Ziele im Auge gehabt hat, der "zielbewußte"
Führer und Hetzer weiß genau, was er will. Er benutzt den vorhandnen
Unmut, drängt zum Aufstande und giebt dem Allsstande das Gepräge, das
er will. Nachdem der Streik begonnen hatte, wurde der Inhalt der so¬
genannten Völklinger Beschlüsse zum Kampfpreis erklärt. In diesen Beschlüssen
wird verlangt: Achtstündige Schichtdauer unter Einschluß der Ein" und Aus¬
fahrtszeit. Festes Gedinge, das nicht verkürzt werden darf. 4 Mark 50 Pf.
für den Häuer "unter Tage," 3 Mark 50 Pf. für deu Hüner "über Tage."
Schlepper, Pferdeknechte, Bremser u. f. w. sollen je nach dem Dienstalter
2 Mark 20 Pf. bis 2 Mark 70 Pf. erhalten. Auch für alle auf den Gruben
arbeitenden Handwerker oder Hilfsarbeiter werden die Löhne festgesetzt. Alle


Der Aufstand der Bergarbeiter

Den äußern Anlaß gab eine neue oder vielmehr die Erneuerung einer
alten Arbeitsordnung, die am 1. Januar ins Leben treten sollte. In dieser
Arbeitsordnung waren es besonders zwei Punkte, die den Unwillen hervor¬
riefen. Erstens die Einrichtung der Lehrhäuer. Es ist in der Ordnung, daß
junge Burschen, die eben erst Häuer geworden sind, nicht denselben Lohn er¬
halten als verheiratete und erfahrne Leute. Der Fehler war nur, daß die
Behörden so spät zu dieser Erkenntnis gekommen sind. Diese jungen, durch
einen zu hohen Lohn verwöhnten Burschen, die nichts zu verlieren haben,
bilden überall das unruhige Element, den eigentlichen Nährboden für sozial-
demokratische Einflüsse. Daß diese Leute mit der Einrichtung der Lehrhäuer
unzufrieden waren, ist begreiflich. Ein andrer Punkt beruht offenbar auf
Mißverständnissen. Es war bestimmt worden, daß der Häuer den Steiger
als „Arbeitgeber" anzusehn und als solchem Gehorsam zu leisten habe. Das
ist Juristendeutsch, das der einfache Mann falsch verstehen muß. Daß der
Steiger, der gestern noch sein Kamerad gewesen ist, heute sein Brodherr sein
solle, begreift der Bergmann nicht. Daß er sein nächster Vorgesetzter sei, würde
er sehr leicht begreifen. Was geht den Bergmann der Formalismus der Ge¬
werbeordnung an?

Aber diese oder andre Bestimmungen hatten nnr den äußern Anlaß ge¬
geben. Zu Grunde liegt ein allgemeiner Unwille, eine allgemeine Unzufrieden¬
heit der Arbeiterschaft. Der Lohn ist uicht hoch genug, das Leben ist nicht
lustig genug. Der Druck des Dienstes, der notwendige und heilsame Zwang
der Disziplin wird als bittres Unrecht empfunden. Sichern und hohen Lohn
für unsichre Arbeit und im übrigen thun und lassen können, was man will,
das ist das erstrebte „unveräußerliche Menschenrecht," das ist der Zug, der
sich überall in der Arbeiterschaft, besonders auch in der ländlichen Arbeiter¬
schaft findet.

Mögen sich aber auch einige Tausende der Bergarbeiter nicht darüber
klar sein, was sie eigentlich mit ihrem Aufstande bezwecken, mag auch der
gegenwärtige Streik aus dem leicht erregbaren Gemüt des Bergmanns her¬
vorgegangen sein, ohne daß er feste Ziele im Auge gehabt hat, der „zielbewußte"
Führer und Hetzer weiß genau, was er will. Er benutzt den vorhandnen
Unmut, drängt zum Aufstande und giebt dem Allsstande das Gepräge, das
er will. Nachdem der Streik begonnen hatte, wurde der Inhalt der so¬
genannten Völklinger Beschlüsse zum Kampfpreis erklärt. In diesen Beschlüssen
wird verlangt: Achtstündige Schichtdauer unter Einschluß der Ein« und Aus¬
fahrtszeit. Festes Gedinge, das nicht verkürzt werden darf. 4 Mark 50 Pf.
für den Häuer „unter Tage," 3 Mark 50 Pf. für deu Hüner „über Tage."
Schlepper, Pferdeknechte, Bremser u. f. w. sollen je nach dem Dienstalter
2 Mark 20 Pf. bis 2 Mark 70 Pf. erhalten. Auch für alle auf den Gruben
arbeitenden Handwerker oder Hilfsarbeiter werden die Löhne festgesetzt. Alle


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[0212] Der Aufstand der Bergarbeiter Den äußern Anlaß gab eine neue oder vielmehr die Erneuerung einer alten Arbeitsordnung, die am 1. Januar ins Leben treten sollte. In dieser Arbeitsordnung waren es besonders zwei Punkte, die den Unwillen hervor¬ riefen. Erstens die Einrichtung der Lehrhäuer. Es ist in der Ordnung, daß junge Burschen, die eben erst Häuer geworden sind, nicht denselben Lohn er¬ halten als verheiratete und erfahrne Leute. Der Fehler war nur, daß die Behörden so spät zu dieser Erkenntnis gekommen sind. Diese jungen, durch einen zu hohen Lohn verwöhnten Burschen, die nichts zu verlieren haben, bilden überall das unruhige Element, den eigentlichen Nährboden für sozial- demokratische Einflüsse. Daß diese Leute mit der Einrichtung der Lehrhäuer unzufrieden waren, ist begreiflich. Ein andrer Punkt beruht offenbar auf Mißverständnissen. Es war bestimmt worden, daß der Häuer den Steiger als „Arbeitgeber" anzusehn und als solchem Gehorsam zu leisten habe. Das ist Juristendeutsch, das der einfache Mann falsch verstehen muß. Daß der Steiger, der gestern noch sein Kamerad gewesen ist, heute sein Brodherr sein solle, begreift der Bergmann nicht. Daß er sein nächster Vorgesetzter sei, würde er sehr leicht begreifen. Was geht den Bergmann der Formalismus der Ge¬ werbeordnung an? Aber diese oder andre Bestimmungen hatten nnr den äußern Anlaß ge¬ geben. Zu Grunde liegt ein allgemeiner Unwille, eine allgemeine Unzufrieden¬ heit der Arbeiterschaft. Der Lohn ist uicht hoch genug, das Leben ist nicht lustig genug. Der Druck des Dienstes, der notwendige und heilsame Zwang der Disziplin wird als bittres Unrecht empfunden. Sichern und hohen Lohn für unsichre Arbeit und im übrigen thun und lassen können, was man will, das ist das erstrebte „unveräußerliche Menschenrecht," das ist der Zug, der sich überall in der Arbeiterschaft, besonders auch in der ländlichen Arbeiter¬ schaft findet. Mögen sich aber auch einige Tausende der Bergarbeiter nicht darüber klar sein, was sie eigentlich mit ihrem Aufstande bezwecken, mag auch der gegenwärtige Streik aus dem leicht erregbaren Gemüt des Bergmanns her¬ vorgegangen sein, ohne daß er feste Ziele im Auge gehabt hat, der „zielbewußte" Führer und Hetzer weiß genau, was er will. Er benutzt den vorhandnen Unmut, drängt zum Aufstande und giebt dem Allsstande das Gepräge, das er will. Nachdem der Streik begonnen hatte, wurde der Inhalt der so¬ genannten Völklinger Beschlüsse zum Kampfpreis erklärt. In diesen Beschlüssen wird verlangt: Achtstündige Schichtdauer unter Einschluß der Ein« und Aus¬ fahrtszeit. Festes Gedinge, das nicht verkürzt werden darf. 4 Mark 50 Pf. für den Häuer „unter Tage," 3 Mark 50 Pf. für deu Hüner „über Tage." Schlepper, Pferdeknechte, Bremser u. f. w. sollen je nach dem Dienstalter 2 Mark 20 Pf. bis 2 Mark 70 Pf. erhalten. Auch für alle auf den Gruben arbeitenden Handwerker oder Hilfsarbeiter werden die Löhne festgesetzt. Alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/212>, abgerufen am 13.05.2024.