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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Zivil- und Strafrichte^

Wer also die Acilitärvvrlage bekämpft, weil er der Allsicht ist, daß Deutsch'
laut zu seiner Sicherheit einer Vermehrung seiner Wehrkraft nicht bedürfe, der
mag es auch fernerhin ans seine Verantwortung thun. Aber man bleibe mit
der Behauptung zu Hause, das; diese Vermehrung eine "unerschwingliche Last"
für Deutschland sei. Für jeden, der rechnen kann, erscheint das als eine grobe
Unwahrheit.




Zivil- und ^trafrichter

er in Heft 42 des vorigen Jahrgangs der Grenzboten enthaltne
Aufsatz über unsre Strafrechtspflege erörtert einen Übelstand, der
sich auch außerhalb Preußens zeigt. Die Ansicht, daß der Straf¬
richter im Verhältnis zum Zivilrichter eine untergeordnete Stel¬
lung einnehme, ist auch im Richterstande andrer Bundesstaaten
verbreitet, ein Beweis mehr dafür, daß ihr Ursprung nicht in besondern preu¬
ßischen Verhältnissen, sondern in unsrer reichsgesetzlichen Gerichtsorgnnisation
zu suchen ist. Wenn aber der Verfasser jenes Aufsatzes den Hauptgrund sür
diese auffällige Erscheinung in der Einführung des Laienelements in die Straf'
rechtspslege sieht, so glaube ich kaum, daß dieser Grund, wenn er much mit¬
gewirkt haben mag, der entscheidende gewesen sei.

Daß der Vorsitzende des Schöffengerichts im Verhältnis zu seinen ohne
Laien entscheidenden Kollegen von deu Zivilabteiluugen eine nach der allge¬
meinen Auffassung des Richterstandes untergeordnete Stellung einnehme, habe
ich noch nie behaupten hören. Dagegen gilt das allerdings von den Amts¬
richtern, die sonst im Amtsgericht, und zwar als Einzelrichter für Requisitionen
in Strafsachen, thätig sind. Hier scheint mir nun der Grund für die be¬
stehende Auffassung in der durchaus zutreffenden Beobachtung zu liegen, daß
im Grunde genommen die Amtsrichter als ersuchte und beauftragte Richter
in Strafsachen überhaupt keine selbständige richterliche Thätigkeit ausübe",
vielmehr nur soweit sich mit den Sachen zu beschäftigen haben, als eine andre
Behörde, ein Gericht oder die Staatsanwaltschaft sie innerhalb genau vor-
geschriebner Grenzen damit zu betrciueu für gut findet. Selbständige, auf Er¬
forschung der Wahrheit gerichtete Ermittelungen vorzunehmen, sind sie nicht
befugt; wenn sie die angeordneten Wahrnehmungen vorgenommen haben, ist
für sie die Sache abgethan, und nur in der gelegentlichen Ablehnung von An¬
trägen ans Erlaß von Haftbefehlen, Beschlagnahme oder dergleichen kann sich
die Selbständigkeit ihrer richterlichen Stellung bethätige".


Zivil- und Strafrichte^

Wer also die Acilitärvvrlage bekämpft, weil er der Allsicht ist, daß Deutsch'
laut zu seiner Sicherheit einer Vermehrung seiner Wehrkraft nicht bedürfe, der
mag es auch fernerhin ans seine Verantwortung thun. Aber man bleibe mit
der Behauptung zu Hause, das; diese Vermehrung eine „unerschwingliche Last"
für Deutschland sei. Für jeden, der rechnen kann, erscheint das als eine grobe
Unwahrheit.




Zivil- und ^trafrichter

er in Heft 42 des vorigen Jahrgangs der Grenzboten enthaltne
Aufsatz über unsre Strafrechtspflege erörtert einen Übelstand, der
sich auch außerhalb Preußens zeigt. Die Ansicht, daß der Straf¬
richter im Verhältnis zum Zivilrichter eine untergeordnete Stel¬
lung einnehme, ist auch im Richterstande andrer Bundesstaaten
verbreitet, ein Beweis mehr dafür, daß ihr Ursprung nicht in besondern preu¬
ßischen Verhältnissen, sondern in unsrer reichsgesetzlichen Gerichtsorgnnisation
zu suchen ist. Wenn aber der Verfasser jenes Aufsatzes den Hauptgrund sür
diese auffällige Erscheinung in der Einführung des Laienelements in die Straf'
rechtspslege sieht, so glaube ich kaum, daß dieser Grund, wenn er much mit¬
gewirkt haben mag, der entscheidende gewesen sei.

Daß der Vorsitzende des Schöffengerichts im Verhältnis zu seinen ohne
Laien entscheidenden Kollegen von deu Zivilabteiluugen eine nach der allge¬
meinen Auffassung des Richterstandes untergeordnete Stellung einnehme, habe
ich noch nie behaupten hören. Dagegen gilt das allerdings von den Amts¬
richtern, die sonst im Amtsgericht, und zwar als Einzelrichter für Requisitionen
in Strafsachen, thätig sind. Hier scheint mir nun der Grund für die be¬
stehende Auffassung in der durchaus zutreffenden Beobachtung zu liegen, daß
im Grunde genommen die Amtsrichter als ersuchte und beauftragte Richter
in Strafsachen überhaupt keine selbständige richterliche Thätigkeit ausübe«,
vielmehr nur soweit sich mit den Sachen zu beschäftigen haben, als eine andre
Behörde, ein Gericht oder die Staatsanwaltschaft sie innerhalb genau vor-
geschriebner Grenzen damit zu betrciueu für gut findet. Selbständige, auf Er¬
forschung der Wahrheit gerichtete Ermittelungen vorzunehmen, sind sie nicht
befugt; wenn sie die angeordneten Wahrnehmungen vorgenommen haben, ist
für sie die Sache abgethan, und nur in der gelegentlichen Ablehnung von An¬
trägen ans Erlaß von Haftbefehlen, Beschlagnahme oder dergleichen kann sich
die Selbständigkeit ihrer richterlichen Stellung bethätige».


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[0282] Zivil- und Strafrichte^ Wer also die Acilitärvvrlage bekämpft, weil er der Allsicht ist, daß Deutsch' laut zu seiner Sicherheit einer Vermehrung seiner Wehrkraft nicht bedürfe, der mag es auch fernerhin ans seine Verantwortung thun. Aber man bleibe mit der Behauptung zu Hause, das; diese Vermehrung eine „unerschwingliche Last" für Deutschland sei. Für jeden, der rechnen kann, erscheint das als eine grobe Unwahrheit. Zivil- und ^trafrichter er in Heft 42 des vorigen Jahrgangs der Grenzboten enthaltne Aufsatz über unsre Strafrechtspflege erörtert einen Übelstand, der sich auch außerhalb Preußens zeigt. Die Ansicht, daß der Straf¬ richter im Verhältnis zum Zivilrichter eine untergeordnete Stel¬ lung einnehme, ist auch im Richterstande andrer Bundesstaaten verbreitet, ein Beweis mehr dafür, daß ihr Ursprung nicht in besondern preu¬ ßischen Verhältnissen, sondern in unsrer reichsgesetzlichen Gerichtsorgnnisation zu suchen ist. Wenn aber der Verfasser jenes Aufsatzes den Hauptgrund sür diese auffällige Erscheinung in der Einführung des Laienelements in die Straf' rechtspslege sieht, so glaube ich kaum, daß dieser Grund, wenn er much mit¬ gewirkt haben mag, der entscheidende gewesen sei. Daß der Vorsitzende des Schöffengerichts im Verhältnis zu seinen ohne Laien entscheidenden Kollegen von deu Zivilabteiluugen eine nach der allge¬ meinen Auffassung des Richterstandes untergeordnete Stellung einnehme, habe ich noch nie behaupten hören. Dagegen gilt das allerdings von den Amts¬ richtern, die sonst im Amtsgericht, und zwar als Einzelrichter für Requisitionen in Strafsachen, thätig sind. Hier scheint mir nun der Grund für die be¬ stehende Auffassung in der durchaus zutreffenden Beobachtung zu liegen, daß im Grunde genommen die Amtsrichter als ersuchte und beauftragte Richter in Strafsachen überhaupt keine selbständige richterliche Thätigkeit ausübe«, vielmehr nur soweit sich mit den Sachen zu beschäftigen haben, als eine andre Behörde, ein Gericht oder die Staatsanwaltschaft sie innerhalb genau vor- geschriebner Grenzen damit zu betrciueu für gut findet. Selbständige, auf Er¬ forschung der Wahrheit gerichtete Ermittelungen vorzunehmen, sind sie nicht befugt; wenn sie die angeordneten Wahrnehmungen vorgenommen haben, ist für sie die Sache abgethan, und nur in der gelegentlichen Ablehnung von An¬ trägen ans Erlaß von Haftbefehlen, Beschlagnahme oder dergleichen kann sich die Selbständigkeit ihrer richterlichen Stellung bethätige».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/282>, abgerufen am 28.04.2024.