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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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können uns schon die von Zeit zu Zeit eintretenden Schwankungen in den
Geschäften belehren. Denn diese sind nichts andres, als die natürliche Folge
der mannichfachen unsichern Verhältnisse, ans denen überhaupt unser Wohl¬
stand beruht. Nichts sichert uns aber davor, daß sich diese Verhältnisse
im Laufe der Zeiten einmal dauernd zu unsern Ungunsten ändern können.
Gleiche Wirkung würde es auch haben, wenn -- was Gott verhüten möge --
Deutschland ein großes, schweres Mißgeschick, namentlich ein unglücklich ver¬
laufender Krieg träfe. Dann würden wir gewahren, daß man auch mit weit
geringern Mitteln, als mit dem, was wir jetzt haben, leben kam:, wenn man
eben damit leben muß.

Die ungesunde Anschauung, als ob an dem Maße unsers Wohllebens
unmöglich etwas abgehen könne, hat sich in jüngster Zeit in einer seltsamen
Erscheinung geltend gemacht. Wir meinen die Gründe, mit denen die neue
Militärvorlage bekämpft wird. Wer der Ansicht ist, daß, trotzdem daß die
Franzosen uns in der Zahl ihrer wehrfähigen Mannschaft bereits überflügelt
haben, Deutschland doch keine Steigerung seiner Wehrkraft bedürfe, vielmehr
auch ohne eine solche des Sieges sicher sei, der mag mit Zuversicht erklären,
daß es eine Thorheit Ware, wenn das deutsche Volk für seine Wehrkraft auch
nnr einen Pfennig mehr ausgeben wollte. Statt dessen hört man vielfach die
Ansicht aussprechen, daß, wenn auch eine Vermehrung unsers Heeres an sich
wünschenswert sei, doch Deutschland wirtschaftlich die dadurch herbeigeführte
Mehrbelastung nicht ertragen könne. Es handelt sich in der Geldfrage um eine
jährliche Mehrbelastung von ungefähr 60 Millionen. Das ist freilich, wen" man
sie so für sich betrachtet, eine gewaltige Summe, und niemand wird sie un¬
nötig ausgeben wollen. Was ist denn aber diese Summe, bei einer Frage,
die unsre ganze nationale Existenz betrifft, im Vergleich mit dem gesamten
Wohlstande unsrer Nation? Sie ist eine Bagatelle! Werden in Deutschland
Spirituosen für 2^/g Milliarden vertrunken, so brauchte jeder Trucker nur dem
vierzigsten Teile seines Genusses zu entsagen, und die 60 Millionen wären
damit gedeckt. Sagten wir aber: "Nein! auch bei einer Frage unsrer natio¬
nalen Existenz können wir nicht ein Vierzigste! von dem, was wir vertrinken,
entbehren" -- wäre das nicht eine ewige Schmach für Deutschland?

Allerdings würde eine weitere Folge der geplanten Veränderung die sein,
daß alljährlich etwa 60000 Maun mehr als bisher den Waffenrock anziehen
müßten. Es ist nicht zu verkennen, daß darin eine schwere persönliche Be¬
lastung liegt. Sie wird aber gemildert, wenn dagegen alle nnr zwei Jahre
zu dienen brauchen. Auch eine schwere Last trügt sich leichter, wenn sie mit
gleichen Schultern getragen wird. Deutschland fehlt es auch nicht an Menschen.
Im gegenwärtigen Augenblick würden, wenn jene Änderung bereits eingetreten
wäre, 60000 beschäftigungslose Arbeiter weniger vorhanden sein, was wohl
kein Unglück wäre.


können uns schon die von Zeit zu Zeit eintretenden Schwankungen in den
Geschäften belehren. Denn diese sind nichts andres, als die natürliche Folge
der mannichfachen unsichern Verhältnisse, ans denen überhaupt unser Wohl¬
stand beruht. Nichts sichert uns aber davor, daß sich diese Verhältnisse
im Laufe der Zeiten einmal dauernd zu unsern Ungunsten ändern können.
Gleiche Wirkung würde es auch haben, wenn — was Gott verhüten möge —
Deutschland ein großes, schweres Mißgeschick, namentlich ein unglücklich ver¬
laufender Krieg träfe. Dann würden wir gewahren, daß man auch mit weit
geringern Mitteln, als mit dem, was wir jetzt haben, leben kam:, wenn man
eben damit leben muß.

Die ungesunde Anschauung, als ob an dem Maße unsers Wohllebens
unmöglich etwas abgehen könne, hat sich in jüngster Zeit in einer seltsamen
Erscheinung geltend gemacht. Wir meinen die Gründe, mit denen die neue
Militärvorlage bekämpft wird. Wer der Ansicht ist, daß, trotzdem daß die
Franzosen uns in der Zahl ihrer wehrfähigen Mannschaft bereits überflügelt
haben, Deutschland doch keine Steigerung seiner Wehrkraft bedürfe, vielmehr
auch ohne eine solche des Sieges sicher sei, der mag mit Zuversicht erklären,
daß es eine Thorheit Ware, wenn das deutsche Volk für seine Wehrkraft auch
nnr einen Pfennig mehr ausgeben wollte. Statt dessen hört man vielfach die
Ansicht aussprechen, daß, wenn auch eine Vermehrung unsers Heeres an sich
wünschenswert sei, doch Deutschland wirtschaftlich die dadurch herbeigeführte
Mehrbelastung nicht ertragen könne. Es handelt sich in der Geldfrage um eine
jährliche Mehrbelastung von ungefähr 60 Millionen. Das ist freilich, wen» man
sie so für sich betrachtet, eine gewaltige Summe, und niemand wird sie un¬
nötig ausgeben wollen. Was ist denn aber diese Summe, bei einer Frage,
die unsre ganze nationale Existenz betrifft, im Vergleich mit dem gesamten
Wohlstande unsrer Nation? Sie ist eine Bagatelle! Werden in Deutschland
Spirituosen für 2^/g Milliarden vertrunken, so brauchte jeder Trucker nur dem
vierzigsten Teile seines Genusses zu entsagen, und die 60 Millionen wären
damit gedeckt. Sagten wir aber: „Nein! auch bei einer Frage unsrer natio¬
nalen Existenz können wir nicht ein Vierzigste! von dem, was wir vertrinken,
entbehren" — wäre das nicht eine ewige Schmach für Deutschland?

Allerdings würde eine weitere Folge der geplanten Veränderung die sein,
daß alljährlich etwa 60000 Maun mehr als bisher den Waffenrock anziehen
müßten. Es ist nicht zu verkennen, daß darin eine schwere persönliche Be¬
lastung liegt. Sie wird aber gemildert, wenn dagegen alle nnr zwei Jahre
zu dienen brauchen. Auch eine schwere Last trügt sich leichter, wenn sie mit
gleichen Schultern getragen wird. Deutschland fehlt es auch nicht an Menschen.
Im gegenwärtigen Augenblick würden, wenn jene Änderung bereits eingetreten
wäre, 60000 beschäftigungslose Arbeiter weniger vorhanden sein, was wohl
kein Unglück wäre.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/281>, abgerufen am 13.05.2024.