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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Streif- und Federzüge aus vergangnen Tagen
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necs, altväterisches Berlin von dazumal, wer vermag sich dich
noch ganz deutlich vorzustellen, mit den schnurgeraden, breiten
Straßen, in deren Mitte man ungefährdet spazieren konnte, mit
Häusern vou wenigen Geschossen, zu deren unterstellt oft eine
Freitreppe mit Sitzplätzen führte, wo der Hausherr am "er¬
quickenden, labenden Abend" seine Pfeife schmauchen durfte, mit den Droschken,
deren armselige Gäule uuter dem russischen Bügel so nachdenklich einhertrot¬
teten, daß ein fremder Kutscherkollege gesagt haben soll: Wir stehen rascher,
als ihr fahrt! -- mit den Bäuerinnen, die unter unglaublichen Strohhüten
hervor "Eeerdbeceren!" und andre Leckereien aufboten u. s. w.

Ja, die Ausländer, die Berlin seiner Ausdehnung ungeachtet kleinstädtisch
fanden, hatten wohl Recht. Es machte den Eindruck eines ehrsamen Philisters,
der seine Geschäfte ordentlich, ohne Überstürzung besorgt, einfach und bescheiden
lebt und dabei sein Schäfchen ins Trockne bringt, aber der "Provinz" gegen¬
über gern die Überlegenheit des Hauptstädters fühlen läßt. Auch das Ver¬
hältnis zum königlichen Hofe hatte in der Zeit Friedrich Wilhelms des Dritten
einen patriarchalischen Charakter. Der fortgeschrittne Berliner mag mitleidig
über die Zustände von einst lächeln, dennoch kann auch er nicht leugnen, daß
seine Stadt, "so sehr sie auch pochet und prachert," oder vielmehr eben des¬
wegen, immer nur an den über Nacht reichgcwordnen erinnert, der meint,
fortwährend mit seinem Gelde klappern und die Manieren großer Herren nach¬
äffen zu müssen. Die bürgerliche Baukunst verdiente den Namen kaum; dessen
wurde man vor dreißig Jahren inne und schuf einen der Lage und dem
Klima angemessenen Villenstil. Den scheint aber die Gegenwart zu anspruchslos
zu finden, denn von den abgeschmackten Bierpalästen angefangen, begegnet uns
fast ans Schritt und Tritt ein Protzenwesen, das mit aller Farben- und Gold¬
verschwendung doch so oft das unechte Material nicht verbergen kann. Ge¬
fahren wird jetzt schneller, aber durchaus nicht gut, und merkwürdig: die
sonst so achtsame und strenge Berliner Polizei hat keine Augen für das wirre
Jagen von Fuhrwerken auf Kreuzuugspnnkten, das wohl in Neapel, aber




Streif- und Federzüge aus vergangnen Tagen
i

necs, altväterisches Berlin von dazumal, wer vermag sich dich
noch ganz deutlich vorzustellen, mit den schnurgeraden, breiten
Straßen, in deren Mitte man ungefährdet spazieren konnte, mit
Häusern vou wenigen Geschossen, zu deren unterstellt oft eine
Freitreppe mit Sitzplätzen führte, wo der Hausherr am „er¬
quickenden, labenden Abend" seine Pfeife schmauchen durfte, mit den Droschken,
deren armselige Gäule uuter dem russischen Bügel so nachdenklich einhertrot¬
teten, daß ein fremder Kutscherkollege gesagt haben soll: Wir stehen rascher,
als ihr fahrt! — mit den Bäuerinnen, die unter unglaublichen Strohhüten
hervor „Eeerdbeceren!" und andre Leckereien aufboten u. s. w.

Ja, die Ausländer, die Berlin seiner Ausdehnung ungeachtet kleinstädtisch
fanden, hatten wohl Recht. Es machte den Eindruck eines ehrsamen Philisters,
der seine Geschäfte ordentlich, ohne Überstürzung besorgt, einfach und bescheiden
lebt und dabei sein Schäfchen ins Trockne bringt, aber der „Provinz" gegen¬
über gern die Überlegenheit des Hauptstädters fühlen läßt. Auch das Ver¬
hältnis zum königlichen Hofe hatte in der Zeit Friedrich Wilhelms des Dritten
einen patriarchalischen Charakter. Der fortgeschrittne Berliner mag mitleidig
über die Zustände von einst lächeln, dennoch kann auch er nicht leugnen, daß
seine Stadt, „so sehr sie auch pochet und prachert," oder vielmehr eben des¬
wegen, immer nur an den über Nacht reichgcwordnen erinnert, der meint,
fortwährend mit seinem Gelde klappern und die Manieren großer Herren nach¬
äffen zu müssen. Die bürgerliche Baukunst verdiente den Namen kaum; dessen
wurde man vor dreißig Jahren inne und schuf einen der Lage und dem
Klima angemessenen Villenstil. Den scheint aber die Gegenwart zu anspruchslos
zu finden, denn von den abgeschmackten Bierpalästen angefangen, begegnet uns
fast ans Schritt und Tritt ein Protzenwesen, das mit aller Farben- und Gold¬
verschwendung doch so oft das unechte Material nicht verbergen kann. Ge¬
fahren wird jetzt schneller, aber durchaus nicht gut, und merkwürdig: die
sonst so achtsame und strenge Berliner Polizei hat keine Augen für das wirre
Jagen von Fuhrwerken auf Kreuzuugspnnkten, das wohl in Neapel, aber


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[0496] [Abbildung] Streif- und Federzüge aus vergangnen Tagen i necs, altväterisches Berlin von dazumal, wer vermag sich dich noch ganz deutlich vorzustellen, mit den schnurgeraden, breiten Straßen, in deren Mitte man ungefährdet spazieren konnte, mit Häusern vou wenigen Geschossen, zu deren unterstellt oft eine Freitreppe mit Sitzplätzen führte, wo der Hausherr am „er¬ quickenden, labenden Abend" seine Pfeife schmauchen durfte, mit den Droschken, deren armselige Gäule uuter dem russischen Bügel so nachdenklich einhertrot¬ teten, daß ein fremder Kutscherkollege gesagt haben soll: Wir stehen rascher, als ihr fahrt! — mit den Bäuerinnen, die unter unglaublichen Strohhüten hervor „Eeerdbeceren!" und andre Leckereien aufboten u. s. w. Ja, die Ausländer, die Berlin seiner Ausdehnung ungeachtet kleinstädtisch fanden, hatten wohl Recht. Es machte den Eindruck eines ehrsamen Philisters, der seine Geschäfte ordentlich, ohne Überstürzung besorgt, einfach und bescheiden lebt und dabei sein Schäfchen ins Trockne bringt, aber der „Provinz" gegen¬ über gern die Überlegenheit des Hauptstädters fühlen läßt. Auch das Ver¬ hältnis zum königlichen Hofe hatte in der Zeit Friedrich Wilhelms des Dritten einen patriarchalischen Charakter. Der fortgeschrittne Berliner mag mitleidig über die Zustände von einst lächeln, dennoch kann auch er nicht leugnen, daß seine Stadt, „so sehr sie auch pochet und prachert," oder vielmehr eben des¬ wegen, immer nur an den über Nacht reichgcwordnen erinnert, der meint, fortwährend mit seinem Gelde klappern und die Manieren großer Herren nach¬ äffen zu müssen. Die bürgerliche Baukunst verdiente den Namen kaum; dessen wurde man vor dreißig Jahren inne und schuf einen der Lage und dem Klima angemessenen Villenstil. Den scheint aber die Gegenwart zu anspruchslos zu finden, denn von den abgeschmackten Bierpalästen angefangen, begegnet uns fast ans Schritt und Tritt ein Protzenwesen, das mit aller Farben- und Gold¬ verschwendung doch so oft das unechte Material nicht verbergen kann. Ge¬ fahren wird jetzt schneller, aber durchaus nicht gut, und merkwürdig: die sonst so achtsame und strenge Berliner Polizei hat keine Augen für das wirre Jagen von Fuhrwerken auf Kreuzuugspnnkten, das wohl in Neapel, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/496>, abgerufen am 28.04.2024.