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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Streif- und Feder->lige ans vergangnen Tagen

Weder in London, noch in Paris, noch in Wien geduldet werden würde. Die
dereinst verrufne Berliner Küche hat sich merklich gebessert, man scheint sich
im allgemeinen kräftiger zu nähren, doch wird man hierzu kaum das unmäßige
Viertrinken, noch den Aufwand und die Üppigkeit bei "Diners" -- wie der ge¬
bildete Deutsche natürlich sagen muß! -- rechnen dürfen. Einst setzten die
Gelehrten ihren Stolz nicht darein, es im Verbrauch von Champagner und
Austern den Börsenleuten gleichzuthun.

Doch wohin gerate ich? Von der Hauptstadt des neuen deutschen Reichs
wollte ich gar nicht sprechen, sondern von der preußischen, und zwar aus einer
Zeit, in der diese wohlgezählt zwei politische Zeitungen besaß. Dieser Unter¬
schied zwischen damals und jetzt ist vielleicht der nllerauffallendste. Doch konnte
sich Verliu gegen Dresden immer noch in die Brust werfen, denn das hatte
gar keine. Zwar gab es überall eine Menge vou Blättern, die eigentlich keine
Zeitungen oder doch keine politischen waren, aber nebenher, sozusagen inkognito
Politik trieben. Das Bedürfnis der Leser und der Schreiber machte sich über
die Grenzen der Privilegien hinaus Luft, und die Behörden drückten ein Auge
zu, wenn nur keine staatsgefährlichen Tendenzen verfolgt wurden. Nur einmal
nahmen sie die Sache übel. Monatsschriften bedurften in den vierziger Jahren
keiner Konzession. Nun verbündeten sich vier Verleger, jeder eine Monats¬
schrift herauszugeben, die jede unter eigner Redaktion und anderen Titel sich
in den Stoff nach Disziplinen und auch in den Monat derart teilen sollten,
daß der Abonnent aller vier Monatsschriften thatsächlich eine Wochenschrift
erhielte. Die Redakteure gehörten dem Kreise an, ans dem später die National¬
zeitung hervorging, mehr links stand Karl Nauwerck, der 1848 in das deutsche
Parlament gewählt wurde und schließlich in Zürich mit Cigarren handelte.
Aber so offenkundig wollte sich die hohe Obrigkeit doch nicht eine Nase drehen
wissen, und die vierfache Monatsschrift kam nicht über die Probenummern hin¬
aus. Desto größeres Aussehn machte es, als 184" Gustav Julius, der u> der
damals die Gemüter erregenden Bankfrage für die Regierung das Wort er¬
griffen hatte, mit Geldern der Seehandlung ein neues Tageblatt herausgeben
durfte. Es war die mit einem gleichnamigen Leseinstitut verbundne Zeitungs¬
halle, die im März 1848 mit vollen Segeln in das äußerste Fahrwasser
steuerte und dann im Belagerungszustände scheiterte. Die beide" Alten, Tante
Voß und Onkel Spener, waren natürlich vorsichtiger gewesen. Wer ihnen
zuerst diese Spitznamen angehängt haben mag, das wird wohl nicht festzu¬
stellen sein; so gute Witze werden in der Regel dem Herrn Volkswitz zu¬
geschrieben. Beide haben sich bis in ihr hohes Alter jener Bezeichnungen
würdig erhalten. Der Onkel, 1740 geboren, immer etwas pedantisch, steif,
wuner für die Legitimität, wo sie auch in Frage kommen mochte, an jedem
allerhöchsten Geburtstage ein wohlgereimtes Gedicht vortragend, geriet leider
vor zwanzig Jahren auf den sonderbaren Einfall, liberale Sprünge zu ver-


Streif- und Feder->lige ans vergangnen Tagen

Weder in London, noch in Paris, noch in Wien geduldet werden würde. Die
dereinst verrufne Berliner Küche hat sich merklich gebessert, man scheint sich
im allgemeinen kräftiger zu nähren, doch wird man hierzu kaum das unmäßige
Viertrinken, noch den Aufwand und die Üppigkeit bei „Diners" — wie der ge¬
bildete Deutsche natürlich sagen muß! — rechnen dürfen. Einst setzten die
Gelehrten ihren Stolz nicht darein, es im Verbrauch von Champagner und
Austern den Börsenleuten gleichzuthun.

Doch wohin gerate ich? Von der Hauptstadt des neuen deutschen Reichs
wollte ich gar nicht sprechen, sondern von der preußischen, und zwar aus einer
Zeit, in der diese wohlgezählt zwei politische Zeitungen besaß. Dieser Unter¬
schied zwischen damals und jetzt ist vielleicht der nllerauffallendste. Doch konnte
sich Verliu gegen Dresden immer noch in die Brust werfen, denn das hatte
gar keine. Zwar gab es überall eine Menge vou Blättern, die eigentlich keine
Zeitungen oder doch keine politischen waren, aber nebenher, sozusagen inkognito
Politik trieben. Das Bedürfnis der Leser und der Schreiber machte sich über
die Grenzen der Privilegien hinaus Luft, und die Behörden drückten ein Auge
zu, wenn nur keine staatsgefährlichen Tendenzen verfolgt wurden. Nur einmal
nahmen sie die Sache übel. Monatsschriften bedurften in den vierziger Jahren
keiner Konzession. Nun verbündeten sich vier Verleger, jeder eine Monats¬
schrift herauszugeben, die jede unter eigner Redaktion und anderen Titel sich
in den Stoff nach Disziplinen und auch in den Monat derart teilen sollten,
daß der Abonnent aller vier Monatsschriften thatsächlich eine Wochenschrift
erhielte. Die Redakteure gehörten dem Kreise an, ans dem später die National¬
zeitung hervorging, mehr links stand Karl Nauwerck, der 1848 in das deutsche
Parlament gewählt wurde und schließlich in Zürich mit Cigarren handelte.
Aber so offenkundig wollte sich die hohe Obrigkeit doch nicht eine Nase drehen
wissen, und die vierfache Monatsschrift kam nicht über die Probenummern hin¬
aus. Desto größeres Aussehn machte es, als 184« Gustav Julius, der u> der
damals die Gemüter erregenden Bankfrage für die Regierung das Wort er¬
griffen hatte, mit Geldern der Seehandlung ein neues Tageblatt herausgeben
durfte. Es war die mit einem gleichnamigen Leseinstitut verbundne Zeitungs¬
halle, die im März 1848 mit vollen Segeln in das äußerste Fahrwasser
steuerte und dann im Belagerungszustände scheiterte. Die beide» Alten, Tante
Voß und Onkel Spener, waren natürlich vorsichtiger gewesen. Wer ihnen
zuerst diese Spitznamen angehängt haben mag, das wird wohl nicht festzu¬
stellen sein; so gute Witze werden in der Regel dem Herrn Volkswitz zu¬
geschrieben. Beide haben sich bis in ihr hohes Alter jener Bezeichnungen
würdig erhalten. Der Onkel, 1740 geboren, immer etwas pedantisch, steif,
wuner für die Legitimität, wo sie auch in Frage kommen mochte, an jedem
allerhöchsten Geburtstage ein wohlgereimtes Gedicht vortragend, geriet leider
vor zwanzig Jahren auf den sonderbaren Einfall, liberale Sprünge zu ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/497>, abgerufen am 14.05.2024.