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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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einiger liberalen Minister im Juni stimmte er lebhaft zu: "Lassen Sie sie
laufen -- sagte er zum König --, der eine ist ein Verräter, der andre voll¬
ständig unfähig"; er warnte namentlich vor jeder Nachgiebigkeit gegen die
Berliner Nationalversammlung und beklagte aufs tiefste den wunderlichen
Verzicht des Königs auf jedes thatkräftige Handeln, der sich freilich weniger
aus Charakterschwäche erklärt, als vielmehr ans seiner ganzen politisch-geschicht¬
lichen Doktrin mit einer gewissen Notwendigkeit folgte, "Jetzt machen die
Minister alles," sagte der Monarch am 13. Juni, und später, am 12. August,
äußerte er sich noch viel bezeichnender zu Gerlach: "Ich regiere jetzt gar nicht
und kauu auch nicht eher wieder regieren, bevor die Revolution nicht be¬
wältigt ist." Kein Gedanke daran, daß es seines königlichen Amtes war, sie
zu bewältigen! Gerlach sah in diesem Verhalten weniger eine Folgerung aus
seiner eignen Theorie, als einen Mangel an Mut, wobei dem König freilich
nichts anders übrig bleibe, als sich seinen liberalen Ministern blind zu fügen
und auf einen ä<zus ex inaoluim zu hoffen.

(Fortsehnng folgt)




Zwei erfolglose Dichter

l e herrschenden Götter des Tags dulden keine andern Götter
neben sich, sie sind strenger und unbarmherziger als der Gott
des alten Bundes, sie wollen weder in verborgnen Tempeln noch
von wenigen Gläubigen angebetet sein, sie thronen auf Markt
und Gassen und fordern ihre Opfer von allen, die in dem Be¬
reich ihrer Macht sind. Unter sämtlichen Göttern oder Götzen unsrer Zeit
aber- ist keiner anspruchsvoller als der, der "Erfolg" heißt, und dessen Gott¬
heit in hundert verschiednen Bilder" -- von der Kolossalstatue bis zum Hampel¬
mann ^ verkörpert, aber in jedem Bilde knechtisch angebetet wird. Für den
echt modernen Menschen unterliegt es gar keinem Zweifel, daß der Erfolg
schlechthin Zwecke wie Mittel heilige, daß er unentbehrlich sei, daß er auf
jedem Wege erstrebt werden müsse, daß Erfolglosigkeit nicht etwa ein Mi߬
geschick, sondern geradezu Gottlosigkeit und Unsittlichkeit sei. Hunderttausenden
ist der Erfolg so sehr zum Maßstab alles Thuns und Lassens geworden, daß
sie zu der einfachen Wahrheit, der Erfolg könne auch zu teuer erkauft werden,
ungläubig den Kopf schütteln.

Es liegt auf der Hand, daß diese Anschauung, diese bis zum Wahnsinn


einiger liberalen Minister im Juni stimmte er lebhaft zu: „Lassen Sie sie
laufen — sagte er zum König —, der eine ist ein Verräter, der andre voll¬
ständig unfähig"; er warnte namentlich vor jeder Nachgiebigkeit gegen die
Berliner Nationalversammlung und beklagte aufs tiefste den wunderlichen
Verzicht des Königs auf jedes thatkräftige Handeln, der sich freilich weniger
aus Charakterschwäche erklärt, als vielmehr ans seiner ganzen politisch-geschicht¬
lichen Doktrin mit einer gewissen Notwendigkeit folgte, „Jetzt machen die
Minister alles," sagte der Monarch am 13. Juni, und später, am 12. August,
äußerte er sich noch viel bezeichnender zu Gerlach: „Ich regiere jetzt gar nicht
und kauu auch nicht eher wieder regieren, bevor die Revolution nicht be¬
wältigt ist." Kein Gedanke daran, daß es seines königlichen Amtes war, sie
zu bewältigen! Gerlach sah in diesem Verhalten weniger eine Folgerung aus
seiner eignen Theorie, als einen Mangel an Mut, wobei dem König freilich
nichts anders übrig bleibe, als sich seinen liberalen Ministern blind zu fügen
und auf einen ä<zus ex inaoluim zu hoffen.

(Fortsehnng folgt)




Zwei erfolglose Dichter

l e herrschenden Götter des Tags dulden keine andern Götter
neben sich, sie sind strenger und unbarmherziger als der Gott
des alten Bundes, sie wollen weder in verborgnen Tempeln noch
von wenigen Gläubigen angebetet sein, sie thronen auf Markt
und Gassen und fordern ihre Opfer von allen, die in dem Be¬
reich ihrer Macht sind. Unter sämtlichen Göttern oder Götzen unsrer Zeit
aber- ist keiner anspruchsvoller als der, der „Erfolg" heißt, und dessen Gott¬
heit in hundert verschiednen Bilder» — von der Kolossalstatue bis zum Hampel¬
mann ^ verkörpert, aber in jedem Bilde knechtisch angebetet wird. Für den
echt modernen Menschen unterliegt es gar keinem Zweifel, daß der Erfolg
schlechthin Zwecke wie Mittel heilige, daß er unentbehrlich sei, daß er auf
jedem Wege erstrebt werden müsse, daß Erfolglosigkeit nicht etwa ein Mi߬
geschick, sondern geradezu Gottlosigkeit und Unsittlichkeit sei. Hunderttausenden
ist der Erfolg so sehr zum Maßstab alles Thuns und Lassens geworden, daß
sie zu der einfachen Wahrheit, der Erfolg könne auch zu teuer erkauft werden,
ungläubig den Kopf schütteln.

Es liegt auf der Hand, daß diese Anschauung, diese bis zum Wahnsinn


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[0588] einiger liberalen Minister im Juni stimmte er lebhaft zu: „Lassen Sie sie laufen — sagte er zum König —, der eine ist ein Verräter, der andre voll¬ ständig unfähig"; er warnte namentlich vor jeder Nachgiebigkeit gegen die Berliner Nationalversammlung und beklagte aufs tiefste den wunderlichen Verzicht des Königs auf jedes thatkräftige Handeln, der sich freilich weniger aus Charakterschwäche erklärt, als vielmehr ans seiner ganzen politisch-geschicht¬ lichen Doktrin mit einer gewissen Notwendigkeit folgte, „Jetzt machen die Minister alles," sagte der Monarch am 13. Juni, und später, am 12. August, äußerte er sich noch viel bezeichnender zu Gerlach: „Ich regiere jetzt gar nicht und kauu auch nicht eher wieder regieren, bevor die Revolution nicht be¬ wältigt ist." Kein Gedanke daran, daß es seines königlichen Amtes war, sie zu bewältigen! Gerlach sah in diesem Verhalten weniger eine Folgerung aus seiner eignen Theorie, als einen Mangel an Mut, wobei dem König freilich nichts anders übrig bleibe, als sich seinen liberalen Ministern blind zu fügen und auf einen ä<zus ex inaoluim zu hoffen. (Fortsehnng folgt) Zwei erfolglose Dichter l e herrschenden Götter des Tags dulden keine andern Götter neben sich, sie sind strenger und unbarmherziger als der Gott des alten Bundes, sie wollen weder in verborgnen Tempeln noch von wenigen Gläubigen angebetet sein, sie thronen auf Markt und Gassen und fordern ihre Opfer von allen, die in dem Be¬ reich ihrer Macht sind. Unter sämtlichen Göttern oder Götzen unsrer Zeit aber- ist keiner anspruchsvoller als der, der „Erfolg" heißt, und dessen Gott¬ heit in hundert verschiednen Bilder» — von der Kolossalstatue bis zum Hampel¬ mann ^ verkörpert, aber in jedem Bilde knechtisch angebetet wird. Für den echt modernen Menschen unterliegt es gar keinem Zweifel, daß der Erfolg schlechthin Zwecke wie Mittel heilige, daß er unentbehrlich sei, daß er auf jedem Wege erstrebt werden müsse, daß Erfolglosigkeit nicht etwa ein Mi߬ geschick, sondern geradezu Gottlosigkeit und Unsittlichkeit sei. Hunderttausenden ist der Erfolg so sehr zum Maßstab alles Thuns und Lassens geworden, daß sie zu der einfachen Wahrheit, der Erfolg könne auch zu teuer erkauft werden, ungläubig den Kopf schütteln. Es liegt auf der Hand, daß diese Anschauung, diese bis zum Wahnsinn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/588>, abgerufen am 28.04.2024.