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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Ein Humorist als Politiker

hindern, wie einen blödsinnigen Tanzlehrer, einen wahnsinnigen Droschken¬
kutscher und einen rasenden Schenkwirt, die ebenfalls der Gewerbefreiheit teil¬
haftig sind und im Zustande des Irrsinns sicherlich auch ganz beträchtliche"
Schaden anrichten können. Bilden aber einmal die Ärzte, etwa nach dem
Vorbilde der Anwälte, einen geschlossenen Stand neben den Gewerbtreibenden,
der seine Würde selbst wahrt und für die Gewissenhaftigkeit seiner Glieder
eigne Sorge trägt, so wird es kaum lange andauern, bis die Mediziner in
amtlichen und militärischen Stellungen, einschließlich der Universitätslehrer, ihren
Anschluß von sich aus betreiben, wenn sie überhaupt außerhalb ihrer Amts¬
thätigkeit uoch in beruflichen Mitbewerb treten und nicht Gefahr laufen wollen,
von den Kollegen und den Kranken für geringwertig angesehen zu werden.
Sodann wird sich aber weiter ans dem Gefühl der Zusammengehörigkeit und
dem Bewußtsein sittlicher Tadellosigkeit der einzelnen ein neuer Idealismus
von selbst entwickeln, der sich nicht erschöpft, weil er nicht ein Erzeugnis längst
verflossener Zeiten und ein Überbleibsel früher genossenen Ansehens ist, sondern
dem allgemeinen Vertrauen und der Achtung entspringt, die einem Stande
gezollt wird, der sich selbst hoch hält und die UnWürdigkeit eines Mitglieds
als eine der Gemeinschaft zugefügte Beleidigung empfindet und zur Rechen¬
schaft zieht.




Gin Humorist als Politiker

WMcum ein Dichter auf den Markt in die Volksversammlung träte,
seine Kunst als Agitationsmittel nutzte und mit dem Farben¬
glanz und Wohllaut seiner Rede die urteilslose Menge an sich
lockte, so würden wir mit ihm als Künstler nicht rechnen.
Wollte man aber andrerseits in dem Porträt eines Aristophanes
oder Jean Paul deu politischen Zug verwischen, so wäre es mit der Ähn¬
lichkeit vorbei. Und bei Homer und Schiller lüge die Sache nicht anders.

Dieser scheinbare Widerspruch löst sich sogleich, wenn man sich das Wesen
des künstlerischen Schaffens vergegenwärtigt Der Künstler ist der Drillings¬
bruder des Philosophen und des Historikers. Alle drei sind Weltbetrachter,
und die Ziele ihres Ausschauens sind die Ideen, die die Zeit bewegen, die
treibenden Kräfte, die das Wachstum des Organismus Menschheit auf einer
bestimmten Stufe und in einem bestimmten Umfange ausmachen. Die Ziele
ihrer Thätigkeit find demnach nicht, etwas neues zu schaffen, sondern einem
Gegebnen, Vorhandnen, Gewordnen im Selbstbewußtsein eine neue Daseins-


Ein Humorist als Politiker

hindern, wie einen blödsinnigen Tanzlehrer, einen wahnsinnigen Droschken¬
kutscher und einen rasenden Schenkwirt, die ebenfalls der Gewerbefreiheit teil¬
haftig sind und im Zustande des Irrsinns sicherlich auch ganz beträchtliche»
Schaden anrichten können. Bilden aber einmal die Ärzte, etwa nach dem
Vorbilde der Anwälte, einen geschlossenen Stand neben den Gewerbtreibenden,
der seine Würde selbst wahrt und für die Gewissenhaftigkeit seiner Glieder
eigne Sorge trägt, so wird es kaum lange andauern, bis die Mediziner in
amtlichen und militärischen Stellungen, einschließlich der Universitätslehrer, ihren
Anschluß von sich aus betreiben, wenn sie überhaupt außerhalb ihrer Amts¬
thätigkeit uoch in beruflichen Mitbewerb treten und nicht Gefahr laufen wollen,
von den Kollegen und den Kranken für geringwertig angesehen zu werden.
Sodann wird sich aber weiter ans dem Gefühl der Zusammengehörigkeit und
dem Bewußtsein sittlicher Tadellosigkeit der einzelnen ein neuer Idealismus
von selbst entwickeln, der sich nicht erschöpft, weil er nicht ein Erzeugnis längst
verflossener Zeiten und ein Überbleibsel früher genossenen Ansehens ist, sondern
dem allgemeinen Vertrauen und der Achtung entspringt, die einem Stande
gezollt wird, der sich selbst hoch hält und die UnWürdigkeit eines Mitglieds
als eine der Gemeinschaft zugefügte Beleidigung empfindet und zur Rechen¬
schaft zieht.




Gin Humorist als Politiker

WMcum ein Dichter auf den Markt in die Volksversammlung träte,
seine Kunst als Agitationsmittel nutzte und mit dem Farben¬
glanz und Wohllaut seiner Rede die urteilslose Menge an sich
lockte, so würden wir mit ihm als Künstler nicht rechnen.
Wollte man aber andrerseits in dem Porträt eines Aristophanes
oder Jean Paul deu politischen Zug verwischen, so wäre es mit der Ähn¬
lichkeit vorbei. Und bei Homer und Schiller lüge die Sache nicht anders.

Dieser scheinbare Widerspruch löst sich sogleich, wenn man sich das Wesen
des künstlerischen Schaffens vergegenwärtigt Der Künstler ist der Drillings¬
bruder des Philosophen und des Historikers. Alle drei sind Weltbetrachter,
und die Ziele ihres Ausschauens sind die Ideen, die die Zeit bewegen, die
treibenden Kräfte, die das Wachstum des Organismus Menschheit auf einer
bestimmten Stufe und in einem bestimmten Umfange ausmachen. Die Ziele
ihrer Thätigkeit find demnach nicht, etwas neues zu schaffen, sondern einem
Gegebnen, Vorhandnen, Gewordnen im Selbstbewußtsein eine neue Daseins-


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[0279] Ein Humorist als Politiker hindern, wie einen blödsinnigen Tanzlehrer, einen wahnsinnigen Droschken¬ kutscher und einen rasenden Schenkwirt, die ebenfalls der Gewerbefreiheit teil¬ haftig sind und im Zustande des Irrsinns sicherlich auch ganz beträchtliche» Schaden anrichten können. Bilden aber einmal die Ärzte, etwa nach dem Vorbilde der Anwälte, einen geschlossenen Stand neben den Gewerbtreibenden, der seine Würde selbst wahrt und für die Gewissenhaftigkeit seiner Glieder eigne Sorge trägt, so wird es kaum lange andauern, bis die Mediziner in amtlichen und militärischen Stellungen, einschließlich der Universitätslehrer, ihren Anschluß von sich aus betreiben, wenn sie überhaupt außerhalb ihrer Amts¬ thätigkeit uoch in beruflichen Mitbewerb treten und nicht Gefahr laufen wollen, von den Kollegen und den Kranken für geringwertig angesehen zu werden. Sodann wird sich aber weiter ans dem Gefühl der Zusammengehörigkeit und dem Bewußtsein sittlicher Tadellosigkeit der einzelnen ein neuer Idealismus von selbst entwickeln, der sich nicht erschöpft, weil er nicht ein Erzeugnis längst verflossener Zeiten und ein Überbleibsel früher genossenen Ansehens ist, sondern dem allgemeinen Vertrauen und der Achtung entspringt, die einem Stande gezollt wird, der sich selbst hoch hält und die UnWürdigkeit eines Mitglieds als eine der Gemeinschaft zugefügte Beleidigung empfindet und zur Rechen¬ schaft zieht. Gin Humorist als Politiker WMcum ein Dichter auf den Markt in die Volksversammlung träte, seine Kunst als Agitationsmittel nutzte und mit dem Farben¬ glanz und Wohllaut seiner Rede die urteilslose Menge an sich lockte, so würden wir mit ihm als Künstler nicht rechnen. Wollte man aber andrerseits in dem Porträt eines Aristophanes oder Jean Paul deu politischen Zug verwischen, so wäre es mit der Ähn¬ lichkeit vorbei. Und bei Homer und Schiller lüge die Sache nicht anders. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich sogleich, wenn man sich das Wesen des künstlerischen Schaffens vergegenwärtigt Der Künstler ist der Drillings¬ bruder des Philosophen und des Historikers. Alle drei sind Weltbetrachter, und die Ziele ihres Ausschauens sind die Ideen, die die Zeit bewegen, die treibenden Kräfte, die das Wachstum des Organismus Menschheit auf einer bestimmten Stufe und in einem bestimmten Umfange ausmachen. Die Ziele ihrer Thätigkeit find demnach nicht, etwas neues zu schaffen, sondern einem Gegebnen, Vorhandnen, Gewordnen im Selbstbewußtsein eine neue Daseins-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/279>, abgerufen am 28.04.2024.