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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die rechtliche Stellung des Arztes

(vielleicht im Bewußtsein des schwankenden Wesens ihrer Wissenschaft) Bedenken
tragen, sich dem Urteil der eignen Fachgenossen zu unterwerfen, ohne jedoch
sachliche Schwierigkeiten vorbringen zu können. Denn der Erläuterungen der
Pflichten eines Arztes, über deren Fassung zahlreiche Vereine langwierige Be¬
ratungen gepflogen haben, bedarf es doch kaum, da die Rechtsanwälte mit
dem §28 des eben angezognen Gesetzes auskommen, durch den schlechthin
die Verpflichtung aufgestellt ist, die Berufsthätigkeit gewissenhaft auszuüben
und durch das Verhalten in und außerhalb des Berufs sich der Achtung, die
er erfordert, würdig zu zeigen, und da die Versprechung der Anklagen durch
die Ehrengerichte bei den Oberlandesgerichten, sowie durch den an das Reichs¬
gericht angeschlossenen letztinstanzlichen Ehrengerichtshof für die Bedeutung
dieses § 28 schon in den fünfzehn Jahren seiner Geltung die Auslegung ge¬
klärt hat. Wenn freilich ein Berliner Professor neuerdings vor den Ehren¬
gerichten gewarnt hat, weil der Verkauf der Praxis, wie unter den Anwälten
geschieht, dann sür strafbar erachtet werden würde, und preußische Vereine und
Kammern die Erlangung dieses Ziels dadurch erschweren, daß sie die Dis-
ziplinarbefugnis bis zur Zuständigkeit über beamtete und Militärärzte aus¬
gedehnt wissen wollen, so muß eben auf jenen Gewinn künftig verzichtet und
dieser Anspruch, dessen Erfüllung der Kriegsminister und der der Medizinal¬
angelegenheiten ablehnen, bis auf weiteres fallen gelassen werden.

Allerdings würde es, um die Stellung der Ärzte in der geschilderte"
Weise oder irgendwie zu heben, erforderlich sein, in erster Linie die Unter¬
stellung unter die Gewerbeordnung rückgängig zu machen. Virchow allzusehr
zu tadeln, daß er sie seinerzeit unter Bestimmung seiner Fachgenossen erstrebt,
ist zwar nicht gerecht. Man darf nicht vergessen, daß es sich hierbei um ein
zweiseitiges Abkommen gehandelt hat und die Ärzte auf diesem Wege die Auf¬
hebung des gesetzlichen Zwangs zur ärztlichen Hilfeleistung (durch § 144 der
Gewerbeordnung) erlangt haben, die ihnen früher in einzelnen Staaten auf¬
erlegt worden war, als ihre Zünfte und Verbände das Recht zum ausschlie߬
lichen Betriebe der ärztlichen Kunst und das Verbot des Kurpfuschertums
bewilligt erhielten. Andrerseits ist es mit der Beseitigung der Giltigkeit der
Gewerbeordnung, die für alle Inhaber der mehr oder weniger gasthofsähnlichen
Kranken-, Entbindungs- und Irrenanstalten doch fortdauern müßten, allein
nicht gethan. Denn irgendwie müssen sich selbst die Ärzte in das bürgerliche
Leben, wie es einmal gestaltet ist, einfügen, und mit ihrer Ernennung zu
Beamten und ihrer festen Besoldung wäre doch wohl ihnen so wenig gedient,
als den Leidenden, die aus dem gegenseitigen Wetteifer den Vorteil ziehen.
Es bleibt daher nur eine annähernde Nachahmung der Einrichtungen des
Anwaltstandes; ehe in dieser Richtung kein Fortschritt errungen ist, wird sich
ebensowenig eine Möglichkeit zeigen, geisteskranke Ärzte, deren es übrigens
in Preußen bekanntermaßen mehrere giebt, an ihrer Berufsthätigkeit zu


Die rechtliche Stellung des Arztes

(vielleicht im Bewußtsein des schwankenden Wesens ihrer Wissenschaft) Bedenken
tragen, sich dem Urteil der eignen Fachgenossen zu unterwerfen, ohne jedoch
sachliche Schwierigkeiten vorbringen zu können. Denn der Erläuterungen der
Pflichten eines Arztes, über deren Fassung zahlreiche Vereine langwierige Be¬
ratungen gepflogen haben, bedarf es doch kaum, da die Rechtsanwälte mit
dem §28 des eben angezognen Gesetzes auskommen, durch den schlechthin
die Verpflichtung aufgestellt ist, die Berufsthätigkeit gewissenhaft auszuüben
und durch das Verhalten in und außerhalb des Berufs sich der Achtung, die
er erfordert, würdig zu zeigen, und da die Versprechung der Anklagen durch
die Ehrengerichte bei den Oberlandesgerichten, sowie durch den an das Reichs¬
gericht angeschlossenen letztinstanzlichen Ehrengerichtshof für die Bedeutung
dieses § 28 schon in den fünfzehn Jahren seiner Geltung die Auslegung ge¬
klärt hat. Wenn freilich ein Berliner Professor neuerdings vor den Ehren¬
gerichten gewarnt hat, weil der Verkauf der Praxis, wie unter den Anwälten
geschieht, dann sür strafbar erachtet werden würde, und preußische Vereine und
Kammern die Erlangung dieses Ziels dadurch erschweren, daß sie die Dis-
ziplinarbefugnis bis zur Zuständigkeit über beamtete und Militärärzte aus¬
gedehnt wissen wollen, so muß eben auf jenen Gewinn künftig verzichtet und
dieser Anspruch, dessen Erfüllung der Kriegsminister und der der Medizinal¬
angelegenheiten ablehnen, bis auf weiteres fallen gelassen werden.

Allerdings würde es, um die Stellung der Ärzte in der geschilderte»
Weise oder irgendwie zu heben, erforderlich sein, in erster Linie die Unter¬
stellung unter die Gewerbeordnung rückgängig zu machen. Virchow allzusehr
zu tadeln, daß er sie seinerzeit unter Bestimmung seiner Fachgenossen erstrebt,
ist zwar nicht gerecht. Man darf nicht vergessen, daß es sich hierbei um ein
zweiseitiges Abkommen gehandelt hat und die Ärzte auf diesem Wege die Auf¬
hebung des gesetzlichen Zwangs zur ärztlichen Hilfeleistung (durch § 144 der
Gewerbeordnung) erlangt haben, die ihnen früher in einzelnen Staaten auf¬
erlegt worden war, als ihre Zünfte und Verbände das Recht zum ausschlie߬
lichen Betriebe der ärztlichen Kunst und das Verbot des Kurpfuschertums
bewilligt erhielten. Andrerseits ist es mit der Beseitigung der Giltigkeit der
Gewerbeordnung, die für alle Inhaber der mehr oder weniger gasthofsähnlichen
Kranken-, Entbindungs- und Irrenanstalten doch fortdauern müßten, allein
nicht gethan. Denn irgendwie müssen sich selbst die Ärzte in das bürgerliche
Leben, wie es einmal gestaltet ist, einfügen, und mit ihrer Ernennung zu
Beamten und ihrer festen Besoldung wäre doch wohl ihnen so wenig gedient,
als den Leidenden, die aus dem gegenseitigen Wetteifer den Vorteil ziehen.
Es bleibt daher nur eine annähernde Nachahmung der Einrichtungen des
Anwaltstandes; ehe in dieser Richtung kein Fortschritt errungen ist, wird sich
ebensowenig eine Möglichkeit zeigen, geisteskranke Ärzte, deren es übrigens
in Preußen bekanntermaßen mehrere giebt, an ihrer Berufsthätigkeit zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/278>, abgerufen am 13.05.2024.