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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Neue historische Romane

erbstet es, oder ists noch Sommerwind? fragt wohl der Bauer
im deutschen Gebirge, sobald ihm ein stärkerer Luftzug im August
die ersten roten Blätter von seinem Hvfbaum vor die Füße
wirft, Wenn wir der zahlreichen kritischen Todesurteile ge¬
denken, die über das historische Drama und über den historischen
Roman ergangen siud, möchten wir angesichts neuer Dichtungen mit histo¬
rischem Hintergrund auch fragen: sind es die letzten ihrer Art, oder ist noch
reicher Nachwuchs zu erwarten? Jedenfalls haben sich zu der überreichen
Zahl historischer Romane aus der verflossenen Periode der Litteratur auch zu
Eingang des neuen Jahres wieder einige Werke gesellt, die ernstere Teilnahme
beanspruchen und die insgesamt den bei der historischen Erzählung nicht un¬
wesentlichen Vorzug haben, ans deutschem Boden zu spielen und eine genauere
Scheidung ihres rein stofflichen und ihres poetischen Verdienstes zu ermög¬
lichen. Für jeden dieser Romane wird ein bestimmter Leserkreis von vorn¬
herein vorhanden sein, und jedem, namentlich aber dem dritten, darf man
mit gutem Gewissen eine wesentliche Erweiterung dieses Leserkreises wün¬
schen. Die Bücher, die wir im Auge haben, sind ein zweibändiger Roman aus
dem Anfang des zwölften Jahrhunderts: Die Martinsklause von Ludwig
Gang böser (Stuttgart, Adolf Bonz Ä Comp., 1895), ein einbändiger aus
der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, der Zeit des schmalkaldischen Kriegs:
Die Hauptmannsfrau von Josef Laufs (Köln und Leipzig, Albert Ahn,
1895), endlich eine dreibündige Geschichte aus dem letzten Drittel des sieb¬
zehnten Jahrhunderts: Wider den Kurfürsten von Hans Hoffmann (Berlin,
Gebrüder Paetel, 1895).

Ludwig Ganghofer begegnet uns zum erstenmale als historischer Roman-
dichter. Ohne das Gebiet zu verlassen, in dem er heimisch und mit dem er
vertraut ist wie kein andrer, schildert er in dem Roman "Die Martinsklause"
die Besitznahme des Ländchens Berchtesgaden durch die Augustiner und die
Begründung einer gefürsteten Reichspropstei. Wir können im Augenblick Gang-
hofers Erfindung und den geschichtlichen und sagenhaften Hintergrund dieser
Erfindung nicht mit Koch-Sternfelds ausführlicher Geschichte der Propstei
Verchtesgaden vergleichen, die uns vor Jahren einmal durch die Hände ge-




Neue historische Romane

erbstet es, oder ists noch Sommerwind? fragt wohl der Bauer
im deutschen Gebirge, sobald ihm ein stärkerer Luftzug im August
die ersten roten Blätter von seinem Hvfbaum vor die Füße
wirft, Wenn wir der zahlreichen kritischen Todesurteile ge¬
denken, die über das historische Drama und über den historischen
Roman ergangen siud, möchten wir angesichts neuer Dichtungen mit histo¬
rischem Hintergrund auch fragen: sind es die letzten ihrer Art, oder ist noch
reicher Nachwuchs zu erwarten? Jedenfalls haben sich zu der überreichen
Zahl historischer Romane aus der verflossenen Periode der Litteratur auch zu
Eingang des neuen Jahres wieder einige Werke gesellt, die ernstere Teilnahme
beanspruchen und die insgesamt den bei der historischen Erzählung nicht un¬
wesentlichen Vorzug haben, ans deutschem Boden zu spielen und eine genauere
Scheidung ihres rein stofflichen und ihres poetischen Verdienstes zu ermög¬
lichen. Für jeden dieser Romane wird ein bestimmter Leserkreis von vorn¬
herein vorhanden sein, und jedem, namentlich aber dem dritten, darf man
mit gutem Gewissen eine wesentliche Erweiterung dieses Leserkreises wün¬
schen. Die Bücher, die wir im Auge haben, sind ein zweibändiger Roman aus
dem Anfang des zwölften Jahrhunderts: Die Martinsklause von Ludwig
Gang böser (Stuttgart, Adolf Bonz Ä Comp., 1895), ein einbändiger aus
der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, der Zeit des schmalkaldischen Kriegs:
Die Hauptmannsfrau von Josef Laufs (Köln und Leipzig, Albert Ahn,
1895), endlich eine dreibündige Geschichte aus dem letzten Drittel des sieb¬
zehnten Jahrhunderts: Wider den Kurfürsten von Hans Hoffmann (Berlin,
Gebrüder Paetel, 1895).

Ludwig Ganghofer begegnet uns zum erstenmale als historischer Roman-
dichter. Ohne das Gebiet zu verlassen, in dem er heimisch und mit dem er
vertraut ist wie kein andrer, schildert er in dem Roman „Die Martinsklause"
die Besitznahme des Ländchens Berchtesgaden durch die Augustiner und die
Begründung einer gefürsteten Reichspropstei. Wir können im Augenblick Gang-
hofers Erfindung und den geschichtlichen und sagenhaften Hintergrund dieser
Erfindung nicht mit Koch-Sternfelds ausführlicher Geschichte der Propstei
Verchtesgaden vergleichen, die uns vor Jahren einmal durch die Hände ge-


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[0428] [Abbildung] Neue historische Romane erbstet es, oder ists noch Sommerwind? fragt wohl der Bauer im deutschen Gebirge, sobald ihm ein stärkerer Luftzug im August die ersten roten Blätter von seinem Hvfbaum vor die Füße wirft, Wenn wir der zahlreichen kritischen Todesurteile ge¬ denken, die über das historische Drama und über den historischen Roman ergangen siud, möchten wir angesichts neuer Dichtungen mit histo¬ rischem Hintergrund auch fragen: sind es die letzten ihrer Art, oder ist noch reicher Nachwuchs zu erwarten? Jedenfalls haben sich zu der überreichen Zahl historischer Romane aus der verflossenen Periode der Litteratur auch zu Eingang des neuen Jahres wieder einige Werke gesellt, die ernstere Teilnahme beanspruchen und die insgesamt den bei der historischen Erzählung nicht un¬ wesentlichen Vorzug haben, ans deutschem Boden zu spielen und eine genauere Scheidung ihres rein stofflichen und ihres poetischen Verdienstes zu ermög¬ lichen. Für jeden dieser Romane wird ein bestimmter Leserkreis von vorn¬ herein vorhanden sein, und jedem, namentlich aber dem dritten, darf man mit gutem Gewissen eine wesentliche Erweiterung dieses Leserkreises wün¬ schen. Die Bücher, die wir im Auge haben, sind ein zweibändiger Roman aus dem Anfang des zwölften Jahrhunderts: Die Martinsklause von Ludwig Gang böser (Stuttgart, Adolf Bonz Ä Comp., 1895), ein einbändiger aus der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, der Zeit des schmalkaldischen Kriegs: Die Hauptmannsfrau von Josef Laufs (Köln und Leipzig, Albert Ahn, 1895), endlich eine dreibündige Geschichte aus dem letzten Drittel des sieb¬ zehnten Jahrhunderts: Wider den Kurfürsten von Hans Hoffmann (Berlin, Gebrüder Paetel, 1895). Ludwig Ganghofer begegnet uns zum erstenmale als historischer Roman- dichter. Ohne das Gebiet zu verlassen, in dem er heimisch und mit dem er vertraut ist wie kein andrer, schildert er in dem Roman „Die Martinsklause" die Besitznahme des Ländchens Berchtesgaden durch die Augustiner und die Begründung einer gefürsteten Reichspropstei. Wir können im Augenblick Gang- hofers Erfindung und den geschichtlichen und sagenhaften Hintergrund dieser Erfindung nicht mit Koch-Sternfelds ausführlicher Geschichte der Propstei Verchtesgaden vergleichen, die uns vor Jahren einmal durch die Hände ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/428>, abgerufen am 28.04.2024.