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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Victor Aiwll Huber

Der Verfasser der oben erwähnten Kritik spricht seine Verwunderung da¬
rüber aus, daß zur Rechtfertigung der Stölzelschen Methode Männer wie
Leibniz, Koch u. a. angeführt worden sind. Nun, es sind das eben Juristen ge¬
wesen, die ihre Ausbildung mit der Praxis begonnen haben. Wenn mich einer
fragte, wie er am raschesten und besten in das Studium der Jurisprudenz ein¬
geführt werden könne, ob dadurch, daß er eins der hergebrachten systematischen
Kollegien über Institutionen höre und nachschreibe, oder dadurch, daß er bei
einem tüchtigen Advokaten ausgesuchte Prozeßschriften abschreibe und allmählich
anzufertigen versuche, so würde ich ihm ohne Bedenken das zweite empfehlen.

Dennoch bin ich für die Ausbildung durch die Praxis keineswegs ein¬
genommen. Die Praxis kann darin immer nur unvollkommnes leisten.
Sie bringt die Rechtsfälle dem jungen Juristen zerstreut, wie es der Zufall
will, bald aus diesem, bald aus jenem Gebiet, und aus manchem gar nicht,
vor die Augen; auch haben die Praktiker meist weder Lust, noch Geschick, noch
Zeit, sich mit den im Vorbereitungsdienste stehenden zu beschäftigen. Diese
sind ein Ballast für die richterliche Thätigkeit. Wie viel mehr konnte geleistet
werden, wenn Männer, die sich diese pädagogische Thätigkeit zu ihrer Lebens¬
aufgabe gemacht haben, dem jungen Juristen schon auf der Universität eine
künstliche Praxis vorführten, eine mit kluger Berechnung für die einzelnen
Teile des Rechtsstosfs zusammengestellte Praxis, wenn sie ihn die Erfahrungen
machen ließen, die er auf dem mühsamen und unvollkommnen Wege der wirk¬
lichen Praxis kaum in zehn oder zwanzig Jahren erwirbt. Dann käme der
Jurist aus der Universität heraus wie der Mediziner, fertig für seinen Beruf,
er hätte dann in dem ein-, höchstens zweijährigen Neferendariat nur noch zu
lernen, an welche Behörden man "ergebenst" und an welche man "gehorsamst"
zu schreiben hat.




Victor Aime Huber
(Schluß)

enden wir uns nun zu Hubers Sozialpolitik. Seine Menschen¬
liebe hatte nichts sentimentales. Er war von Jugend auf an
leibliche Entbehrungen und Strapazen aller Art gewöhnt, hatte
als Student in Paris kaum satt zu essen und bewohnte ein er¬
bärmliches Dachstübchen, was ihn aber nicht hinderte, in der
besten und vornehmsten Gesellschaft zu verkehren, und rühmte in Spanien,
wie gut die Mäuseschinken schmeckten, auf die er manchmal augewiesen war;


Victor Aiwll Huber

Der Verfasser der oben erwähnten Kritik spricht seine Verwunderung da¬
rüber aus, daß zur Rechtfertigung der Stölzelschen Methode Männer wie
Leibniz, Koch u. a. angeführt worden sind. Nun, es sind das eben Juristen ge¬
wesen, die ihre Ausbildung mit der Praxis begonnen haben. Wenn mich einer
fragte, wie er am raschesten und besten in das Studium der Jurisprudenz ein¬
geführt werden könne, ob dadurch, daß er eins der hergebrachten systematischen
Kollegien über Institutionen höre und nachschreibe, oder dadurch, daß er bei
einem tüchtigen Advokaten ausgesuchte Prozeßschriften abschreibe und allmählich
anzufertigen versuche, so würde ich ihm ohne Bedenken das zweite empfehlen.

Dennoch bin ich für die Ausbildung durch die Praxis keineswegs ein¬
genommen. Die Praxis kann darin immer nur unvollkommnes leisten.
Sie bringt die Rechtsfälle dem jungen Juristen zerstreut, wie es der Zufall
will, bald aus diesem, bald aus jenem Gebiet, und aus manchem gar nicht,
vor die Augen; auch haben die Praktiker meist weder Lust, noch Geschick, noch
Zeit, sich mit den im Vorbereitungsdienste stehenden zu beschäftigen. Diese
sind ein Ballast für die richterliche Thätigkeit. Wie viel mehr konnte geleistet
werden, wenn Männer, die sich diese pädagogische Thätigkeit zu ihrer Lebens¬
aufgabe gemacht haben, dem jungen Juristen schon auf der Universität eine
künstliche Praxis vorführten, eine mit kluger Berechnung für die einzelnen
Teile des Rechtsstosfs zusammengestellte Praxis, wenn sie ihn die Erfahrungen
machen ließen, die er auf dem mühsamen und unvollkommnen Wege der wirk¬
lichen Praxis kaum in zehn oder zwanzig Jahren erwirbt. Dann käme der
Jurist aus der Universität heraus wie der Mediziner, fertig für seinen Beruf,
er hätte dann in dem ein-, höchstens zweijährigen Neferendariat nur noch zu
lernen, an welche Behörden man „ergebenst" und an welche man „gehorsamst"
zu schreiben hat.




Victor Aime Huber
(Schluß)

enden wir uns nun zu Hubers Sozialpolitik. Seine Menschen¬
liebe hatte nichts sentimentales. Er war von Jugend auf an
leibliche Entbehrungen und Strapazen aller Art gewöhnt, hatte
als Student in Paris kaum satt zu essen und bewohnte ein er¬
bärmliches Dachstübchen, was ihn aber nicht hinderte, in der
besten und vornehmsten Gesellschaft zu verkehren, und rühmte in Spanien,
wie gut die Mäuseschinken schmeckten, auf die er manchmal augewiesen war;


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[0468] Victor Aiwll Huber Der Verfasser der oben erwähnten Kritik spricht seine Verwunderung da¬ rüber aus, daß zur Rechtfertigung der Stölzelschen Methode Männer wie Leibniz, Koch u. a. angeführt worden sind. Nun, es sind das eben Juristen ge¬ wesen, die ihre Ausbildung mit der Praxis begonnen haben. Wenn mich einer fragte, wie er am raschesten und besten in das Studium der Jurisprudenz ein¬ geführt werden könne, ob dadurch, daß er eins der hergebrachten systematischen Kollegien über Institutionen höre und nachschreibe, oder dadurch, daß er bei einem tüchtigen Advokaten ausgesuchte Prozeßschriften abschreibe und allmählich anzufertigen versuche, so würde ich ihm ohne Bedenken das zweite empfehlen. Dennoch bin ich für die Ausbildung durch die Praxis keineswegs ein¬ genommen. Die Praxis kann darin immer nur unvollkommnes leisten. Sie bringt die Rechtsfälle dem jungen Juristen zerstreut, wie es der Zufall will, bald aus diesem, bald aus jenem Gebiet, und aus manchem gar nicht, vor die Augen; auch haben die Praktiker meist weder Lust, noch Geschick, noch Zeit, sich mit den im Vorbereitungsdienste stehenden zu beschäftigen. Diese sind ein Ballast für die richterliche Thätigkeit. Wie viel mehr konnte geleistet werden, wenn Männer, die sich diese pädagogische Thätigkeit zu ihrer Lebens¬ aufgabe gemacht haben, dem jungen Juristen schon auf der Universität eine künstliche Praxis vorführten, eine mit kluger Berechnung für die einzelnen Teile des Rechtsstosfs zusammengestellte Praxis, wenn sie ihn die Erfahrungen machen ließen, die er auf dem mühsamen und unvollkommnen Wege der wirk¬ lichen Praxis kaum in zehn oder zwanzig Jahren erwirbt. Dann käme der Jurist aus der Universität heraus wie der Mediziner, fertig für seinen Beruf, er hätte dann in dem ein-, höchstens zweijährigen Neferendariat nur noch zu lernen, an welche Behörden man „ergebenst" und an welche man „gehorsamst" zu schreiben hat. Victor Aime Huber (Schluß) enden wir uns nun zu Hubers Sozialpolitik. Seine Menschen¬ liebe hatte nichts sentimentales. Er war von Jugend auf an leibliche Entbehrungen und Strapazen aller Art gewöhnt, hatte als Student in Paris kaum satt zu essen und bewohnte ein er¬ bärmliches Dachstübchen, was ihn aber nicht hinderte, in der besten und vornehmsten Gesellschaft zu verkehren, und rühmte in Spanien, wie gut die Mäuseschinken schmeckten, auf die er manchmal augewiesen war;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/468>, abgerufen am 28.04.2024.