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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Stölzels juristische Lehrmethode

Wie es leider in den Motiven zum ersten Entwurf geschieht, bei denen man
das Gefühl hat, als ob der Verfasser, wenn er einmal ein dürftiges praktisches
Beispiel angeführt hat, sich schämte, daß er so verständlich und anschaulich
geredet hat.

Und man verschone wenigstens bei der ersten Einführung in das Privat¬
recht den jungen Juristen mit der unseligen Systematik. Ich will nur ein
Beispiel anführen. Die Lehre von der Gewährleistung für Mängel der
veräußerten Sache (Rotz am Pferde, Schwamm im Hause) kommt meist
beim Kauf vor. Vielleicht erlebt mancher praktische Jurist während seiner
ganzen Amtszeit kaum einen Fall, wo sie ihm bei einem andern Rechts¬
geschäft entgegentritt. Sie kommt aber auch vor beim Tausch, bei der Hin¬
gabe an Zahlungsstatt, bei der Teilung des Miteigentums u. a. in. Der erste
Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs in seiner lehrbuchmäßigen Weise brachte
deshalb diese Lehre unter die allgemeinen Vorschriften der Schuldverhältnisse
aus Rechtsgeschäften unter Lebenden. Bei der zweiten Lesung ist diese Materie
zweckmäßig beim Kauf geregelt und gesagt worden: Bei andern Geschäften ist
es ebenso. Der richtige Shstematiker wird aber gewiß beim Vortrage des
Privatrechts diese Lehre wieder sorgsam in den allgemeinen Teil des Obli¬
gationenrechts zurücktragen! Pädagogisch richtig wird diese Lehre nicht im
allgemeinen Teil vorgetragen, mich nicht beim Kauf, auch nicht bei einem Kanf-
geschäft, das ^ mit L über die Sache x abgeschlossen hat, sondern -- um in
Stölzels Manier zu reden -- an einer weißbunten Kuh, die im Dorfe Langen-
bielan am 6. September 1892 der Eigenkätner Krot an den Müller Brete für
80 Thaler verkauft hat.

Ehe ich schließe, möchte ich noch zwei Vorzüge des Stölzelschen Kollegs
erwähnen, die von seinen Kritikern ebenfalls übersehen worden sind. Ich meine
das erfolgreiche Bestreben, die Hörer zur Mitthätigkeit anzuregen, und die
eigentümliche Art, die Zuhörer zur schriftlichen Äußerung ihrer Zweifel und
Fragen zu veranlassen und eingehend darauf zu antworten. Stölzel beab¬
sichtigte anfänglich -- wie er sagt --, einen mündlichen Gedankenaustausch
mit den Studenten einzurichten, auch vielleicht die Aufführung von Prozessen
mit verteilten Rollen zu veranstalten. Das war wegen der großen Zahl der
Hörer unmöglich. Aber indem praktische Aufgaben gestellt, schriftliche Arbeiten
angenommen und besprochen wurden, konnte ähnliches erreicht werden. Als
besonders fruchtbar für die gründliche Erörterung des Rcchtsstoffs erwies sich
das Eingehen auf die mannichfachen aus dem Hörerkreise geäußerten Fragen
und Bedenken. Einen Fragekasten sollte jeder Universitätslehrer sür seine Vor¬
lesung einrichten und nicht darauf warten, daß einer seiner Hörer persönlich
an ihn mit einer Frage herantrete. Dazu ist der Student in diesem Alter meist
zu schüchtern. Ich wenigstens hätte mir damals nicht getraut, mündlich zu
fragen, und ich hätte doch manchmal so gern gefragt.


Grenzboten I 1395 58
Stölzels juristische Lehrmethode

Wie es leider in den Motiven zum ersten Entwurf geschieht, bei denen man
das Gefühl hat, als ob der Verfasser, wenn er einmal ein dürftiges praktisches
Beispiel angeführt hat, sich schämte, daß er so verständlich und anschaulich
geredet hat.

Und man verschone wenigstens bei der ersten Einführung in das Privat¬
recht den jungen Juristen mit der unseligen Systematik. Ich will nur ein
Beispiel anführen. Die Lehre von der Gewährleistung für Mängel der
veräußerten Sache (Rotz am Pferde, Schwamm im Hause) kommt meist
beim Kauf vor. Vielleicht erlebt mancher praktische Jurist während seiner
ganzen Amtszeit kaum einen Fall, wo sie ihm bei einem andern Rechts¬
geschäft entgegentritt. Sie kommt aber auch vor beim Tausch, bei der Hin¬
gabe an Zahlungsstatt, bei der Teilung des Miteigentums u. a. in. Der erste
Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs in seiner lehrbuchmäßigen Weise brachte
deshalb diese Lehre unter die allgemeinen Vorschriften der Schuldverhältnisse
aus Rechtsgeschäften unter Lebenden. Bei der zweiten Lesung ist diese Materie
zweckmäßig beim Kauf geregelt und gesagt worden: Bei andern Geschäften ist
es ebenso. Der richtige Shstematiker wird aber gewiß beim Vortrage des
Privatrechts diese Lehre wieder sorgsam in den allgemeinen Teil des Obli¬
gationenrechts zurücktragen! Pädagogisch richtig wird diese Lehre nicht im
allgemeinen Teil vorgetragen, mich nicht beim Kauf, auch nicht bei einem Kanf-
geschäft, das ^ mit L über die Sache x abgeschlossen hat, sondern — um in
Stölzels Manier zu reden — an einer weißbunten Kuh, die im Dorfe Langen-
bielan am 6. September 1892 der Eigenkätner Krot an den Müller Brete für
80 Thaler verkauft hat.

Ehe ich schließe, möchte ich noch zwei Vorzüge des Stölzelschen Kollegs
erwähnen, die von seinen Kritikern ebenfalls übersehen worden sind. Ich meine
das erfolgreiche Bestreben, die Hörer zur Mitthätigkeit anzuregen, und die
eigentümliche Art, die Zuhörer zur schriftlichen Äußerung ihrer Zweifel und
Fragen zu veranlassen und eingehend darauf zu antworten. Stölzel beab¬
sichtigte anfänglich — wie er sagt —, einen mündlichen Gedankenaustausch
mit den Studenten einzurichten, auch vielleicht die Aufführung von Prozessen
mit verteilten Rollen zu veranstalten. Das war wegen der großen Zahl der
Hörer unmöglich. Aber indem praktische Aufgaben gestellt, schriftliche Arbeiten
angenommen und besprochen wurden, konnte ähnliches erreicht werden. Als
besonders fruchtbar für die gründliche Erörterung des Rcchtsstoffs erwies sich
das Eingehen auf die mannichfachen aus dem Hörerkreise geäußerten Fragen
und Bedenken. Einen Fragekasten sollte jeder Universitätslehrer sür seine Vor¬
lesung einrichten und nicht darauf warten, daß einer seiner Hörer persönlich
an ihn mit einer Frage herantrete. Dazu ist der Student in diesem Alter meist
zu schüchtern. Ich wenigstens hätte mir damals nicht getraut, mündlich zu
fragen, und ich hätte doch manchmal so gern gefragt.


Grenzboten I 1395 58
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[0467] Stölzels juristische Lehrmethode Wie es leider in den Motiven zum ersten Entwurf geschieht, bei denen man das Gefühl hat, als ob der Verfasser, wenn er einmal ein dürftiges praktisches Beispiel angeführt hat, sich schämte, daß er so verständlich und anschaulich geredet hat. Und man verschone wenigstens bei der ersten Einführung in das Privat¬ recht den jungen Juristen mit der unseligen Systematik. Ich will nur ein Beispiel anführen. Die Lehre von der Gewährleistung für Mängel der veräußerten Sache (Rotz am Pferde, Schwamm im Hause) kommt meist beim Kauf vor. Vielleicht erlebt mancher praktische Jurist während seiner ganzen Amtszeit kaum einen Fall, wo sie ihm bei einem andern Rechts¬ geschäft entgegentritt. Sie kommt aber auch vor beim Tausch, bei der Hin¬ gabe an Zahlungsstatt, bei der Teilung des Miteigentums u. a. in. Der erste Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs in seiner lehrbuchmäßigen Weise brachte deshalb diese Lehre unter die allgemeinen Vorschriften der Schuldverhältnisse aus Rechtsgeschäften unter Lebenden. Bei der zweiten Lesung ist diese Materie zweckmäßig beim Kauf geregelt und gesagt worden: Bei andern Geschäften ist es ebenso. Der richtige Shstematiker wird aber gewiß beim Vortrage des Privatrechts diese Lehre wieder sorgsam in den allgemeinen Teil des Obli¬ gationenrechts zurücktragen! Pädagogisch richtig wird diese Lehre nicht im allgemeinen Teil vorgetragen, mich nicht beim Kauf, auch nicht bei einem Kanf- geschäft, das ^ mit L über die Sache x abgeschlossen hat, sondern — um in Stölzels Manier zu reden — an einer weißbunten Kuh, die im Dorfe Langen- bielan am 6. September 1892 der Eigenkätner Krot an den Müller Brete für 80 Thaler verkauft hat. Ehe ich schließe, möchte ich noch zwei Vorzüge des Stölzelschen Kollegs erwähnen, die von seinen Kritikern ebenfalls übersehen worden sind. Ich meine das erfolgreiche Bestreben, die Hörer zur Mitthätigkeit anzuregen, und die eigentümliche Art, die Zuhörer zur schriftlichen Äußerung ihrer Zweifel und Fragen zu veranlassen und eingehend darauf zu antworten. Stölzel beab¬ sichtigte anfänglich — wie er sagt —, einen mündlichen Gedankenaustausch mit den Studenten einzurichten, auch vielleicht die Aufführung von Prozessen mit verteilten Rollen zu veranstalten. Das war wegen der großen Zahl der Hörer unmöglich. Aber indem praktische Aufgaben gestellt, schriftliche Arbeiten angenommen und besprochen wurden, konnte ähnliches erreicht werden. Als besonders fruchtbar für die gründliche Erörterung des Rcchtsstoffs erwies sich das Eingehen auf die mannichfachen aus dem Hörerkreise geäußerten Fragen und Bedenken. Einen Fragekasten sollte jeder Universitätslehrer sür seine Vor¬ lesung einrichten und nicht darauf warten, daß einer seiner Hörer persönlich an ihn mit einer Frage herantrete. Dazu ist der Student in diesem Alter meist zu schüchtern. Ich wenigstens hätte mir damals nicht getraut, mündlich zu fragen, und ich hätte doch manchmal so gern gefragt. Grenzboten I 1395 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/467>, abgerufen am 13.05.2024.