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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Römer in der Dobrudscha
und das Denkmal von Adamklisfi

le Altertumswissenschaft arbeitet in unsrer Zeit unter einem glück¬
lichen Stern. Wer ihr den Vorwurf machen wollte, daß sie ihre
wichtigste Aufgabe in der immer erneuten Durchsiebung längst
bekannten und verarbeiteten Stoffes suche, den müßten die Ent¬
deckungen, die in den letzten Jahren die stille Welt der Altertums-
sreunde bewegt haben, eines bessern belehren. Denn abgesehen von der Zeit
der Renaissance im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert würde sich wohl
kaum ein Zeitalter finden, das der Erkenntnis des Lebens der Griechen und
Römer so reichen neuen Stoff zugeführt hätte, wie das unsrige. Der Wieder¬
auffindung der Schrift des Aristoteles vom "Staate der Athener" sind die
Mimiamben des Herondas gefolgt, und fast täglich erweitert die Veröffentlichung
ägyptischer Paphrusrollen aus den Schätzen der Londoner, Wiener, Berliner
Sammlungen oder neugefundner Inschriften unser Wissen über das Leben und
Treiben in den griechischen Städten und über Einzelheiten der römischen Staats¬
verwaltung. Den epochemachenden Ausgrabungen Schliemanns auf der Stätte
des alten Troja, in Tiryns und Mhkenä folgten großartige Entdeckungen auf
den Ruinenfeldern der kleinasiatischen Landschaften und Afrikas; und ganz
neuerdings wird auch auf deutschem Boden die ehemalige Grenzregulirung und
Grenzbefestigung zwischen Römern und freien Germanen, der sogenannte ober-
germanisch-rhätische Limes vom Rhein zur Donau mit seinen Erdwällen, Grenz-
martirungen und Kastellen einer genauen Untersuchung unterzogen, die, wie
der neueste von Hettner in Trier im Jahrbuch der deutschen archäologischen
Gesellschaft erstattete Jahresbericht zeigt, in das Verfahren der Römer, Grenzen
abzustecken, zu kennzeichnen und zu befestigen, sicherlich mit der Zeit klaren
Einblick verschaffen wird.

Es ist erfreulich, zu sehen, wie alle diese Entdeckungen und Wiederherstellungs¬
versuche einer schönen Verbindung der Wissenschaften verdankt werden; hier stehen
der Philologe, der Historiker und der Archäologe den Vertretern der sogenannten
exakten Wissenschaften nicht feindlich gegenüber, sie haben längst mit dem Geo¬
graphen, dem Naturforscher, dem Architekten, dem Ingenieur und dem Kenner




Die Römer in der Dobrudscha
und das Denkmal von Adamklisfi

le Altertumswissenschaft arbeitet in unsrer Zeit unter einem glück¬
lichen Stern. Wer ihr den Vorwurf machen wollte, daß sie ihre
wichtigste Aufgabe in der immer erneuten Durchsiebung längst
bekannten und verarbeiteten Stoffes suche, den müßten die Ent¬
deckungen, die in den letzten Jahren die stille Welt der Altertums-
sreunde bewegt haben, eines bessern belehren. Denn abgesehen von der Zeit
der Renaissance im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert würde sich wohl
kaum ein Zeitalter finden, das der Erkenntnis des Lebens der Griechen und
Römer so reichen neuen Stoff zugeführt hätte, wie das unsrige. Der Wieder¬
auffindung der Schrift des Aristoteles vom „Staate der Athener" sind die
Mimiamben des Herondas gefolgt, und fast täglich erweitert die Veröffentlichung
ägyptischer Paphrusrollen aus den Schätzen der Londoner, Wiener, Berliner
Sammlungen oder neugefundner Inschriften unser Wissen über das Leben und
Treiben in den griechischen Städten und über Einzelheiten der römischen Staats¬
verwaltung. Den epochemachenden Ausgrabungen Schliemanns auf der Stätte
des alten Troja, in Tiryns und Mhkenä folgten großartige Entdeckungen auf
den Ruinenfeldern der kleinasiatischen Landschaften und Afrikas; und ganz
neuerdings wird auch auf deutschem Boden die ehemalige Grenzregulirung und
Grenzbefestigung zwischen Römern und freien Germanen, der sogenannte ober-
germanisch-rhätische Limes vom Rhein zur Donau mit seinen Erdwällen, Grenz-
martirungen und Kastellen einer genauen Untersuchung unterzogen, die, wie
der neueste von Hettner in Trier im Jahrbuch der deutschen archäologischen
Gesellschaft erstattete Jahresbericht zeigt, in das Verfahren der Römer, Grenzen
abzustecken, zu kennzeichnen und zu befestigen, sicherlich mit der Zeit klaren
Einblick verschaffen wird.

Es ist erfreulich, zu sehen, wie alle diese Entdeckungen und Wiederherstellungs¬
versuche einer schönen Verbindung der Wissenschaften verdankt werden; hier stehen
der Philologe, der Historiker und der Archäologe den Vertretern der sogenannten
exakten Wissenschaften nicht feindlich gegenüber, sie haben längst mit dem Geo¬
graphen, dem Naturforscher, dem Architekten, dem Ingenieur und dem Kenner


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[0577] [Abbildung] Die Römer in der Dobrudscha und das Denkmal von Adamklisfi le Altertumswissenschaft arbeitet in unsrer Zeit unter einem glück¬ lichen Stern. Wer ihr den Vorwurf machen wollte, daß sie ihre wichtigste Aufgabe in der immer erneuten Durchsiebung längst bekannten und verarbeiteten Stoffes suche, den müßten die Ent¬ deckungen, die in den letzten Jahren die stille Welt der Altertums- sreunde bewegt haben, eines bessern belehren. Denn abgesehen von der Zeit der Renaissance im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert würde sich wohl kaum ein Zeitalter finden, das der Erkenntnis des Lebens der Griechen und Römer so reichen neuen Stoff zugeführt hätte, wie das unsrige. Der Wieder¬ auffindung der Schrift des Aristoteles vom „Staate der Athener" sind die Mimiamben des Herondas gefolgt, und fast täglich erweitert die Veröffentlichung ägyptischer Paphrusrollen aus den Schätzen der Londoner, Wiener, Berliner Sammlungen oder neugefundner Inschriften unser Wissen über das Leben und Treiben in den griechischen Städten und über Einzelheiten der römischen Staats¬ verwaltung. Den epochemachenden Ausgrabungen Schliemanns auf der Stätte des alten Troja, in Tiryns und Mhkenä folgten großartige Entdeckungen auf den Ruinenfeldern der kleinasiatischen Landschaften und Afrikas; und ganz neuerdings wird auch auf deutschem Boden die ehemalige Grenzregulirung und Grenzbefestigung zwischen Römern und freien Germanen, der sogenannte ober- germanisch-rhätische Limes vom Rhein zur Donau mit seinen Erdwällen, Grenz- martirungen und Kastellen einer genauen Untersuchung unterzogen, die, wie der neueste von Hettner in Trier im Jahrbuch der deutschen archäologischen Gesellschaft erstattete Jahresbericht zeigt, in das Verfahren der Römer, Grenzen abzustecken, zu kennzeichnen und zu befestigen, sicherlich mit der Zeit klaren Einblick verschaffen wird. Es ist erfreulich, zu sehen, wie alle diese Entdeckungen und Wiederherstellungs¬ versuche einer schönen Verbindung der Wissenschaften verdankt werden; hier stehen der Philologe, der Historiker und der Archäologe den Vertretern der sogenannten exakten Wissenschaften nicht feindlich gegenüber, sie haben längst mit dem Geo¬ graphen, dem Naturforscher, dem Architekten, dem Ingenieur und dem Kenner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/577>, abgerufen am 28.04.2024.