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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Am Stammtisch

scheinen könnte, haben wir es ganz sicher mit einer durchaus neuen Erschei¬
nung zu thun, wenn seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts Französeleien
in der Studentensprache aufkommen. Wo alles der französischen Mode zu
huldigen anfing, da hat sich auch der Student seinen Wichsier und Kneipier
und nach Renommage und Blamage die Spendage, Schifsage, Kleidage ge¬
leistet, ziemlich jung scheinen Bildungen wie pechös und schauderös zu sein.

Damit schließt die Reihe der aufnehmenden Perioden, die das deutsche
Studententum bis jetzt erlebt hat, und zum erstenmale tritt nun eine Zeit
ein, wo die Studentensprache an die Gemeinsprache mitzuteilen beginnt. Da
wären Namen wie Bürger, Schubart, Lenz, dazu Lessing und vor allen auch
Goethe zu nennen, der nicht nur später mit seinen geselligen Lieder" an stu¬
dentisches angeknüpft, sondern auch schon in der Götz- und Wertherzeit als
einer der ersten z. B. das Wort Philister in dem allgemeinen Sinne gebraucht
hat, den wir jetzt damit verbinden; und manche Leipziger Studentenerinnerung
wird in der Szene in Auerbachs Keller stecken. Renommist und Mucker,
Skandal und Lappalien, Gassenhauer, burschikos, slorireu und
prellen sind, um nur einige Beispiele zu nennen, Eigentum der Schriftsprache
geworden, andre, wie Kneipe, fidel und ledern, foppen und mogeln,
picheln und verjubeln, auch Jux und stibitzen gehören heute der all¬
gemeinen burschikosen Umgangssprache an. Von Leipzig und Göttingen, Halle
und Jena, wo die Studentensprache im achtzehnten Jahrhundert namentlich
geblüht hat, ist dieser Einfluß in der Hauptsache ausgegangen, und im Laufe
unsers Jahrhunderts ist er immer größer geworden, je mehr die Universität
die bildungsfähige und bildungsdurstige Jugend in ihren Bann gezogen hat.


Rudolf !vusimann


Am Stammtisch

a zum Donnerwetter, Kellner, ist denn Ihre Uhr ebenso schlaf¬
mützig wie --

Wie Sie -- wollte er sagen; er hatte aber gerade in der
letzten Zeit mit dem Zivil so manche unerfreuliche Wahrnehmung
gemacht und "Mißverständnisse" erlebt, und so trat er einen
Rückzug an mit einem knurrenden: Wie -- es scheint. Ja, wie es scheint,
geht sie nach, aber umso wunderbarer, daß noch immer keiner von den Herren
da ist!

Der "Oberkellner" zuckte vorschriftsmäßig entschuldigend die Achseln und


Am Stammtisch

scheinen könnte, haben wir es ganz sicher mit einer durchaus neuen Erschei¬
nung zu thun, wenn seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts Französeleien
in der Studentensprache aufkommen. Wo alles der französischen Mode zu
huldigen anfing, da hat sich auch der Student seinen Wichsier und Kneipier
und nach Renommage und Blamage die Spendage, Schifsage, Kleidage ge¬
leistet, ziemlich jung scheinen Bildungen wie pechös und schauderös zu sein.

Damit schließt die Reihe der aufnehmenden Perioden, die das deutsche
Studententum bis jetzt erlebt hat, und zum erstenmale tritt nun eine Zeit
ein, wo die Studentensprache an die Gemeinsprache mitzuteilen beginnt. Da
wären Namen wie Bürger, Schubart, Lenz, dazu Lessing und vor allen auch
Goethe zu nennen, der nicht nur später mit seinen geselligen Lieder» an stu¬
dentisches angeknüpft, sondern auch schon in der Götz- und Wertherzeit als
einer der ersten z. B. das Wort Philister in dem allgemeinen Sinne gebraucht
hat, den wir jetzt damit verbinden; und manche Leipziger Studentenerinnerung
wird in der Szene in Auerbachs Keller stecken. Renommist und Mucker,
Skandal und Lappalien, Gassenhauer, burschikos, slorireu und
prellen sind, um nur einige Beispiele zu nennen, Eigentum der Schriftsprache
geworden, andre, wie Kneipe, fidel und ledern, foppen und mogeln,
picheln und verjubeln, auch Jux und stibitzen gehören heute der all¬
gemeinen burschikosen Umgangssprache an. Von Leipzig und Göttingen, Halle
und Jena, wo die Studentensprache im achtzehnten Jahrhundert namentlich
geblüht hat, ist dieser Einfluß in der Hauptsache ausgegangen, und im Laufe
unsers Jahrhunderts ist er immer größer geworden, je mehr die Universität
die bildungsfähige und bildungsdurstige Jugend in ihren Bann gezogen hat.


Rudolf !vusimann


Am Stammtisch

a zum Donnerwetter, Kellner, ist denn Ihre Uhr ebenso schlaf¬
mützig wie —

Wie Sie — wollte er sagen; er hatte aber gerade in der
letzten Zeit mit dem Zivil so manche unerfreuliche Wahrnehmung
gemacht und „Mißverständnisse" erlebt, und so trat er einen
Rückzug an mit einem knurrenden: Wie — es scheint. Ja, wie es scheint,
geht sie nach, aber umso wunderbarer, daß noch immer keiner von den Herren
da ist!

Der „Oberkellner" zuckte vorschriftsmäßig entschuldigend die Achseln und


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[0595] Am Stammtisch scheinen könnte, haben wir es ganz sicher mit einer durchaus neuen Erschei¬ nung zu thun, wenn seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts Französeleien in der Studentensprache aufkommen. Wo alles der französischen Mode zu huldigen anfing, da hat sich auch der Student seinen Wichsier und Kneipier und nach Renommage und Blamage die Spendage, Schifsage, Kleidage ge¬ leistet, ziemlich jung scheinen Bildungen wie pechös und schauderös zu sein. Damit schließt die Reihe der aufnehmenden Perioden, die das deutsche Studententum bis jetzt erlebt hat, und zum erstenmale tritt nun eine Zeit ein, wo die Studentensprache an die Gemeinsprache mitzuteilen beginnt. Da wären Namen wie Bürger, Schubart, Lenz, dazu Lessing und vor allen auch Goethe zu nennen, der nicht nur später mit seinen geselligen Lieder» an stu¬ dentisches angeknüpft, sondern auch schon in der Götz- und Wertherzeit als einer der ersten z. B. das Wort Philister in dem allgemeinen Sinne gebraucht hat, den wir jetzt damit verbinden; und manche Leipziger Studentenerinnerung wird in der Szene in Auerbachs Keller stecken. Renommist und Mucker, Skandal und Lappalien, Gassenhauer, burschikos, slorireu und prellen sind, um nur einige Beispiele zu nennen, Eigentum der Schriftsprache geworden, andre, wie Kneipe, fidel und ledern, foppen und mogeln, picheln und verjubeln, auch Jux und stibitzen gehören heute der all¬ gemeinen burschikosen Umgangssprache an. Von Leipzig und Göttingen, Halle und Jena, wo die Studentensprache im achtzehnten Jahrhundert namentlich geblüht hat, ist dieser Einfluß in der Hauptsache ausgegangen, und im Laufe unsers Jahrhunderts ist er immer größer geworden, je mehr die Universität die bildungsfähige und bildungsdurstige Jugend in ihren Bann gezogen hat. Rudolf !vusimann Am Stammtisch a zum Donnerwetter, Kellner, ist denn Ihre Uhr ebenso schlaf¬ mützig wie — Wie Sie — wollte er sagen; er hatte aber gerade in der letzten Zeit mit dem Zivil so manche unerfreuliche Wahrnehmung gemacht und „Mißverständnisse" erlebt, und so trat er einen Rückzug an mit einem knurrenden: Wie — es scheint. Ja, wie es scheint, geht sie nach, aber umso wunderbarer, daß noch immer keiner von den Herren da ist! Der „Oberkellner" zuckte vorschriftsmäßig entschuldigend die Achseln und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/595>, abgerufen am 28.04.2024.