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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Am Stammtisch

bemerkte mit halb unterwürfiger, halb verständnisinniger Miene: Der Herr
Major haben ja selbst befohlen, daß die Uhr über dein Stammtisch zehn
Minuten nachgestellt werde, damit die Herren nicht zu frühzeitig aufbrechen.

Da hatte ers. Er mußte geduldig warten, bis der nächste Durstige ankam.

Schockschwerenot! natürlich kommt nnn dieses Prachtexemplar zuerst!
murmelte er ingrimmig, als er den jungen Rechtsanwalt eintreten und mit
"halb links" auf den Stammtisch anrücken sah. Gegen den hatte er eine ganz
besondre Zuneigung, seitdem ihn, den alten Major, der junge Herr als Reserve¬
offizier in einer seligen Liebesmahlstimmung nach Kaisers Geburtstag mit
"Herr Kamerad" angeredet hatte. Das war ein körperlicher Schmerz gewesen,
fast schlimmer als der Streifschuß bei sedem; und doch durfte man es mit
dem jungen Manne nicht ganz verderben, zumal da er eben noch mit knapper
Not die drohende Beleidigungsklage eines "frechen Patrons" abgewendet hatte,
der sich erdreistet hatte, dem Major klar zu machen, daß in der Kirche und
im Wirtshaus alle gleich seien, und sich die darauffolgende kräftige soziale
Auseinandersetzung des alten Soldaten nicht hatte gefallen lassen wollen.

Sehr erfreut, liebster Herr Rechtsanwalt, warte schon schmerzlich aus Sie;
denn wenn die übrigen kommen, ist ein gemütliches Plaudern ja doch nicht
mehr möglich. Jeder will reden, erzählen, predigen, doziren -- keiner will
zuhören. Und ich habe außerdem uoch deu besondern nachbarlichen Genuß,
dem Doktor seinen Karbolgeruch aufzuriechen oder ihn mit meiner Cigarre zu
einem halbwegs riechbaren Menschen anzublasen. Immerhin sind mir diese
Medicyniker noch lieber als der Schulmeister, der mir mit seinen ewigen
Jeremiaden über gesellschaftliche Stellung und Lehrergehalt bald zum Überdruß
ist. Hätte er sich doch das Lineal nicht ausgesucht, wenn ihm das Fuchteln
damit nicht vornehm genug oder zu billig ist!

Ganz Ihrer Ansicht, Herr Major. Übrigens weiß ich nicht, ob mir der
Geruch von Karbol oder von dem Menschenfleisch der Schulstube unangenehmer
ist; der vom Dütenleim ist auch ein zweifelhafter Genuß. Indes als Rechts¬
anwalt: non vie-t.

Na, da Sie einmal beim Lateinischen sind, verehrter Herr Rechtsverdreher:
1uxu8 in tabula! Wenn man vom -- Schön guten Abend, Herr Professor!
Wir sprachen eben von Ihnen.

Das wird was schönes gewesen sein.

Im Gegenteil, erwiderte Platz machend der Rechtsanwalt, wir waren eben
beim Lateinischen, meinem Jungen gehts doch recht schwer ein.

Wie meinem Jungen das Griechische, seufzte der Major. Hätten wir
nicht Ihre freundliche Unterstützung und liebenswürdige Nachsicht, Herr Pro¬
fessor, ich glaube, ich müßte das Schulgeld der Untersekunda zweimal bezahlen.
Prosit, Herr Professor!

Prosit, Herr Major! Na, es wird schon gehen, aber freilich anstrengen


Am Stammtisch

bemerkte mit halb unterwürfiger, halb verständnisinniger Miene: Der Herr
Major haben ja selbst befohlen, daß die Uhr über dein Stammtisch zehn
Minuten nachgestellt werde, damit die Herren nicht zu frühzeitig aufbrechen.

Da hatte ers. Er mußte geduldig warten, bis der nächste Durstige ankam.

Schockschwerenot! natürlich kommt nnn dieses Prachtexemplar zuerst!
murmelte er ingrimmig, als er den jungen Rechtsanwalt eintreten und mit
„halb links" auf den Stammtisch anrücken sah. Gegen den hatte er eine ganz
besondre Zuneigung, seitdem ihn, den alten Major, der junge Herr als Reserve¬
offizier in einer seligen Liebesmahlstimmung nach Kaisers Geburtstag mit
„Herr Kamerad" angeredet hatte. Das war ein körperlicher Schmerz gewesen,
fast schlimmer als der Streifschuß bei sedem; und doch durfte man es mit
dem jungen Manne nicht ganz verderben, zumal da er eben noch mit knapper
Not die drohende Beleidigungsklage eines „frechen Patrons" abgewendet hatte,
der sich erdreistet hatte, dem Major klar zu machen, daß in der Kirche und
im Wirtshaus alle gleich seien, und sich die darauffolgende kräftige soziale
Auseinandersetzung des alten Soldaten nicht hatte gefallen lassen wollen.

Sehr erfreut, liebster Herr Rechtsanwalt, warte schon schmerzlich aus Sie;
denn wenn die übrigen kommen, ist ein gemütliches Plaudern ja doch nicht
mehr möglich. Jeder will reden, erzählen, predigen, doziren — keiner will
zuhören. Und ich habe außerdem uoch deu besondern nachbarlichen Genuß,
dem Doktor seinen Karbolgeruch aufzuriechen oder ihn mit meiner Cigarre zu
einem halbwegs riechbaren Menschen anzublasen. Immerhin sind mir diese
Medicyniker noch lieber als der Schulmeister, der mir mit seinen ewigen
Jeremiaden über gesellschaftliche Stellung und Lehrergehalt bald zum Überdruß
ist. Hätte er sich doch das Lineal nicht ausgesucht, wenn ihm das Fuchteln
damit nicht vornehm genug oder zu billig ist!

Ganz Ihrer Ansicht, Herr Major. Übrigens weiß ich nicht, ob mir der
Geruch von Karbol oder von dem Menschenfleisch der Schulstube unangenehmer
ist; der vom Dütenleim ist auch ein zweifelhafter Genuß. Indes als Rechts¬
anwalt: non vie-t.

Na, da Sie einmal beim Lateinischen sind, verehrter Herr Rechtsverdreher:
1uxu8 in tabula! Wenn man vom — Schön guten Abend, Herr Professor!
Wir sprachen eben von Ihnen.

Das wird was schönes gewesen sein.

Im Gegenteil, erwiderte Platz machend der Rechtsanwalt, wir waren eben
beim Lateinischen, meinem Jungen gehts doch recht schwer ein.

Wie meinem Jungen das Griechische, seufzte der Major. Hätten wir
nicht Ihre freundliche Unterstützung und liebenswürdige Nachsicht, Herr Pro¬
fessor, ich glaube, ich müßte das Schulgeld der Untersekunda zweimal bezahlen.
Prosit, Herr Professor!

Prosit, Herr Major! Na, es wird schon gehen, aber freilich anstrengen


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[0596] Am Stammtisch bemerkte mit halb unterwürfiger, halb verständnisinniger Miene: Der Herr Major haben ja selbst befohlen, daß die Uhr über dein Stammtisch zehn Minuten nachgestellt werde, damit die Herren nicht zu frühzeitig aufbrechen. Da hatte ers. Er mußte geduldig warten, bis der nächste Durstige ankam. Schockschwerenot! natürlich kommt nnn dieses Prachtexemplar zuerst! murmelte er ingrimmig, als er den jungen Rechtsanwalt eintreten und mit „halb links" auf den Stammtisch anrücken sah. Gegen den hatte er eine ganz besondre Zuneigung, seitdem ihn, den alten Major, der junge Herr als Reserve¬ offizier in einer seligen Liebesmahlstimmung nach Kaisers Geburtstag mit „Herr Kamerad" angeredet hatte. Das war ein körperlicher Schmerz gewesen, fast schlimmer als der Streifschuß bei sedem; und doch durfte man es mit dem jungen Manne nicht ganz verderben, zumal da er eben noch mit knapper Not die drohende Beleidigungsklage eines „frechen Patrons" abgewendet hatte, der sich erdreistet hatte, dem Major klar zu machen, daß in der Kirche und im Wirtshaus alle gleich seien, und sich die darauffolgende kräftige soziale Auseinandersetzung des alten Soldaten nicht hatte gefallen lassen wollen. Sehr erfreut, liebster Herr Rechtsanwalt, warte schon schmerzlich aus Sie; denn wenn die übrigen kommen, ist ein gemütliches Plaudern ja doch nicht mehr möglich. Jeder will reden, erzählen, predigen, doziren — keiner will zuhören. Und ich habe außerdem uoch deu besondern nachbarlichen Genuß, dem Doktor seinen Karbolgeruch aufzuriechen oder ihn mit meiner Cigarre zu einem halbwegs riechbaren Menschen anzublasen. Immerhin sind mir diese Medicyniker noch lieber als der Schulmeister, der mir mit seinen ewigen Jeremiaden über gesellschaftliche Stellung und Lehrergehalt bald zum Überdruß ist. Hätte er sich doch das Lineal nicht ausgesucht, wenn ihm das Fuchteln damit nicht vornehm genug oder zu billig ist! Ganz Ihrer Ansicht, Herr Major. Übrigens weiß ich nicht, ob mir der Geruch von Karbol oder von dem Menschenfleisch der Schulstube unangenehmer ist; der vom Dütenleim ist auch ein zweifelhafter Genuß. Indes als Rechts¬ anwalt: non vie-t. Na, da Sie einmal beim Lateinischen sind, verehrter Herr Rechtsverdreher: 1uxu8 in tabula! Wenn man vom — Schön guten Abend, Herr Professor! Wir sprachen eben von Ihnen. Das wird was schönes gewesen sein. Im Gegenteil, erwiderte Platz machend der Rechtsanwalt, wir waren eben beim Lateinischen, meinem Jungen gehts doch recht schwer ein. Wie meinem Jungen das Griechische, seufzte der Major. Hätten wir nicht Ihre freundliche Unterstützung und liebenswürdige Nachsicht, Herr Pro¬ fessor, ich glaube, ich müßte das Schulgeld der Untersekunda zweimal bezahlen. Prosit, Herr Professor! Prosit, Herr Major! Na, es wird schon gehen, aber freilich anstrengen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/596>, abgerufen am 14.05.2024.