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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Das Dogma vom klassischen Altertum

zum Seevolke. Trotz elender politischer Verhältnisse und der für den Welt¬
verkehr ungünstigen Lage unsrer Häfen hat sich unsre Handelsflotte zur zweit¬
größten Europas entwickelt; unsre Stammverwandten, die Engländer und Hol¬
länder, haben in zahllosen Seeschlachten gezeigt, daß die germanische Nasse den
romanischen Völkern auf dem Meere überlegen ist. Auch in der Kunst des
Schiffbaus stehen wir hinter keinem Volke zurück; das beweisen der "Fürst
Bismnrck," die neue Jacht "Hohenzollern" und unsre neuen Hochseepauzer-
sch'sse.

Möge sich die Marineverwaltung entschließen, auf dem Wege weiter¬
zugehen, den sie mit der Veröffentlichung der Probefahrtscrgebnisse der Schiffe
"Wörth" und "Kurfürst Friedrich Wilhelm" betreten hat, dann wird auch
allmählich in unserm Volte Verständnis und Interesse für die Flotte erweckt
werden, und die Volksvertreter, deren große Mehrheit sich bisher, gewiß nicht
aus Bosheit, sondern aus Unkenntnis, was bis zu einem gewissen Grade entschuld¬
bar war, den Marineforderungeu gegenüber so spröde gezeigt hat, werden in
Zukunft bewilligen, was zur Erhaltung und Steigerung unsrer Wehrkraft zur
See, was zur Behauptung der Machtstellung des Vaterlands vvnnöten ist.




Das Dogma vom klassischen Altertum

le Gelehrten sind bis auf diese Stunde nicht einig und die Um-
gekehrten nicht klar darüber, ob die Revolution am Ende des
achtzehnten oder die "Evolution" am Ende des neunzehnten
Jahrhunderts tiefgehender, umwälzender und nach allen Seiten
bedrohlicher gewesen sei. Gewiß ist, daß die letzten Jahrzehnte
unendlich mehr von allen Lebensgewohnheiten, Bildungsüberlieferungen, Er¬
kenntnissen und Überzeugungen in Frage gestellt haben, als die wilden Jahre
der französischen Umwälzung, der Schreckensherrschaft und der kriegerischen
Okkupation von halb Europa. Wenn das Leben nach allem, was neuerdings
in Träumen und wilden Wünschen, in Theorien und kritischen Erörterungen
dem Untergang geweiht worden ist, noch so ziemlich und leidlich seinen alten
Gang geht, so ist das wahrlich nicht das Verdienst unsrer gefestigten Welt¬
anschauung, sondern die Folge davon, daß der heutigen Gesellschaft von rechts
und links so wild ins Ohr geschrieen wird, daß sie schließlich auf beiden
Ohren taub erscheint. Dn es nirgends einen Glaubenssatz, eine Erfahrung,
ein Gefühl mehr giebt, die nicht von einer Seite her für verderblich, ver¬
altet, verlogen erklärt würden, so scheint wohl das tausendjährige Reich für


Das Dogma vom klassischen Altertum

zum Seevolke. Trotz elender politischer Verhältnisse und der für den Welt¬
verkehr ungünstigen Lage unsrer Häfen hat sich unsre Handelsflotte zur zweit¬
größten Europas entwickelt; unsre Stammverwandten, die Engländer und Hol¬
länder, haben in zahllosen Seeschlachten gezeigt, daß die germanische Nasse den
romanischen Völkern auf dem Meere überlegen ist. Auch in der Kunst des
Schiffbaus stehen wir hinter keinem Volke zurück; das beweisen der „Fürst
Bismnrck," die neue Jacht „Hohenzollern" und unsre neuen Hochseepauzer-
sch'sse.

Möge sich die Marineverwaltung entschließen, auf dem Wege weiter¬
zugehen, den sie mit der Veröffentlichung der Probefahrtscrgebnisse der Schiffe
„Wörth" und „Kurfürst Friedrich Wilhelm" betreten hat, dann wird auch
allmählich in unserm Volte Verständnis und Interesse für die Flotte erweckt
werden, und die Volksvertreter, deren große Mehrheit sich bisher, gewiß nicht
aus Bosheit, sondern aus Unkenntnis, was bis zu einem gewissen Grade entschuld¬
bar war, den Marineforderungeu gegenüber so spröde gezeigt hat, werden in
Zukunft bewilligen, was zur Erhaltung und Steigerung unsrer Wehrkraft zur
See, was zur Behauptung der Machtstellung des Vaterlands vvnnöten ist.




Das Dogma vom klassischen Altertum

le Gelehrten sind bis auf diese Stunde nicht einig und die Um-
gekehrten nicht klar darüber, ob die Revolution am Ende des
achtzehnten oder die „Evolution" am Ende des neunzehnten
Jahrhunderts tiefgehender, umwälzender und nach allen Seiten
bedrohlicher gewesen sei. Gewiß ist, daß die letzten Jahrzehnte
unendlich mehr von allen Lebensgewohnheiten, Bildungsüberlieferungen, Er¬
kenntnissen und Überzeugungen in Frage gestellt haben, als die wilden Jahre
der französischen Umwälzung, der Schreckensherrschaft und der kriegerischen
Okkupation von halb Europa. Wenn das Leben nach allem, was neuerdings
in Träumen und wilden Wünschen, in Theorien und kritischen Erörterungen
dem Untergang geweiht worden ist, noch so ziemlich und leidlich seinen alten
Gang geht, so ist das wahrlich nicht das Verdienst unsrer gefestigten Welt¬
anschauung, sondern die Folge davon, daß der heutigen Gesellschaft von rechts
und links so wild ins Ohr geschrieen wird, daß sie schließlich auf beiden
Ohren taub erscheint. Dn es nirgends einen Glaubenssatz, eine Erfahrung,
ein Gefühl mehr giebt, die nicht von einer Seite her für verderblich, ver¬
altet, verlogen erklärt würden, so scheint wohl das tausendjährige Reich für


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[0079] Das Dogma vom klassischen Altertum zum Seevolke. Trotz elender politischer Verhältnisse und der für den Welt¬ verkehr ungünstigen Lage unsrer Häfen hat sich unsre Handelsflotte zur zweit¬ größten Europas entwickelt; unsre Stammverwandten, die Engländer und Hol¬ länder, haben in zahllosen Seeschlachten gezeigt, daß die germanische Nasse den romanischen Völkern auf dem Meere überlegen ist. Auch in der Kunst des Schiffbaus stehen wir hinter keinem Volke zurück; das beweisen der „Fürst Bismnrck," die neue Jacht „Hohenzollern" und unsre neuen Hochseepauzer- sch'sse. Möge sich die Marineverwaltung entschließen, auf dem Wege weiter¬ zugehen, den sie mit der Veröffentlichung der Probefahrtscrgebnisse der Schiffe „Wörth" und „Kurfürst Friedrich Wilhelm" betreten hat, dann wird auch allmählich in unserm Volte Verständnis und Interesse für die Flotte erweckt werden, und die Volksvertreter, deren große Mehrheit sich bisher, gewiß nicht aus Bosheit, sondern aus Unkenntnis, was bis zu einem gewissen Grade entschuld¬ bar war, den Marineforderungeu gegenüber so spröde gezeigt hat, werden in Zukunft bewilligen, was zur Erhaltung und Steigerung unsrer Wehrkraft zur See, was zur Behauptung der Machtstellung des Vaterlands vvnnöten ist. Das Dogma vom klassischen Altertum le Gelehrten sind bis auf diese Stunde nicht einig und die Um- gekehrten nicht klar darüber, ob die Revolution am Ende des achtzehnten oder die „Evolution" am Ende des neunzehnten Jahrhunderts tiefgehender, umwälzender und nach allen Seiten bedrohlicher gewesen sei. Gewiß ist, daß die letzten Jahrzehnte unendlich mehr von allen Lebensgewohnheiten, Bildungsüberlieferungen, Er¬ kenntnissen und Überzeugungen in Frage gestellt haben, als die wilden Jahre der französischen Umwälzung, der Schreckensherrschaft und der kriegerischen Okkupation von halb Europa. Wenn das Leben nach allem, was neuerdings in Träumen und wilden Wünschen, in Theorien und kritischen Erörterungen dem Untergang geweiht worden ist, noch so ziemlich und leidlich seinen alten Gang geht, so ist das wahrlich nicht das Verdienst unsrer gefestigten Welt¬ anschauung, sondern die Folge davon, daß der heutigen Gesellschaft von rechts und links so wild ins Ohr geschrieen wird, daß sie schließlich auf beiden Ohren taub erscheint. Dn es nirgends einen Glaubenssatz, eine Erfahrung, ein Gefühl mehr giebt, die nicht von einer Seite her für verderblich, ver¬ altet, verlogen erklärt würden, so scheint wohl das tausendjährige Reich für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/79>, abgerufen am 28.04.2024.