Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der erste Beste

in die Mache, für alles und jedes. Eine regelrechte Gymnasialausbildung
gabs da freilich nicht. Ich mußte mich mit dem Freiwilligenzeuguis begnügen;
und auch das bekam ich nur mit knapper Not. Ich hatte ja keine Zeit, mehr
für mich zu thun in diesem Sinne. Auf den künftigen Gelehrten konnte ich
nicht lossteuern. Aber gesund hab ich gelernt bei ihm, und gern. Er gab
nichts Überflüssiges, keinen Ballast, keinen Rauch. Alles leuchtete in Kopf
und Herz hinein, was er sagte. O ja, ich verdanke ihm viel!

Er hatte aber wohl auch Freude an dir, sagte Margarete, indem sie mit
frohem Lächeln an ihrem Mann hinaufsah. Zu einem so besondern Lehrer
gehört auch ein besondrer Schüler, denk ich mir.

Gar nicht. Der zieht jeden. Wäre nicht sein Unglück über ihn ge¬
kommen, so Hütte ich mirs stark überlegt, ob es nicht gut gewesen wäre, den
Hans auch aus dem Treibhaus ins sreie Land zu verpflanzen. Das hat nun
nicht sein sollen.

Aber man braucht ja kein Schnljunge zu sein, um von ihm zu lernen,
wandte Hans ein. Denkst du wohl an unsre Winterabende mit ihm-?

Und ob ich daran denke! Du wirst es thun, Gretchen, nicht wahr, und
ihm vorsingen?

Alles, alles, so gut ichs kann, Fritz.

Er spielt die Lieder auf dem Cello, auf dem er Meister ist; aber es
fehlen ihm die Worte. Selber hat er keinen Ton in der Kehle. Was wird
er für ein Gesicht machen, wenn er den Bach wieder hört! Den hat ihm
seine Frau vorgesungen. Sie starb früh; er hats nie verwunden, hat sie
sehr geliebt.

Sie fuhren eine Weile schweigend weiter, jeder mit seinen Gedanken be¬
schäftigt. Endlich richtete sich Fritz gerade auf und sah sich um.

Da ist ja schon der Park und das Türmchen! In fünf Minuten sind
wir da.


16

Die Herrschaften wären im Terrassenzimmer nach dem Garten zu, wurde
ihnen von dem Diener gesagt, der eine der auf das weitläufige Treppenhaus
mündenden Thüren öffnete.

Wir wissen Bescheid, sagte Fritz, bleiben Sie nur. Komm, Gretchen! --
Er gab seiner Frau den Arm.

Elegante Leute, die Sternseldts, hin? meinte Hans, indem er sich in dem
großen schönen Saal umsah, durch den sie eben gingen. Wie gefällt dir unsre
Bauernhütte daneben, Gretel?

Sehr! antwortete sie ernsthaft lächelnd.

In diesem Augenblick sah sie dnrch die offne Thür ins nächste Zimmer
und blieb stehen. Fritz fühlte, wie ihr Arm in dem seinen zuckte, und sah sie
verwundert an. Sie war bis in die Lippen blaß. Er folgte ihrem ängst¬
lichen geradeaus gerichteten starren Blick. Drinnen stand Wcildemar Scholz
mit einer Dame im Gespräch.

Aufgepaßt! Feind in Sicht! fuhr es Fritz durch den Kopf. Er drückte
Margaretens Arm fest an sich.

Nimm dich zusammen, Gretel, murmelte er schnell.

Schon sah sich Hans, der achtlos weiter gegangen war, verwundert nach
ihnen um. Aber der kurze, fast herrische Ton in der Anrede ihres Mannes


Der erste Beste

in die Mache, für alles und jedes. Eine regelrechte Gymnasialausbildung
gabs da freilich nicht. Ich mußte mich mit dem Freiwilligenzeuguis begnügen;
und auch das bekam ich nur mit knapper Not. Ich hatte ja keine Zeit, mehr
für mich zu thun in diesem Sinne. Auf den künftigen Gelehrten konnte ich
nicht lossteuern. Aber gesund hab ich gelernt bei ihm, und gern. Er gab
nichts Überflüssiges, keinen Ballast, keinen Rauch. Alles leuchtete in Kopf
und Herz hinein, was er sagte. O ja, ich verdanke ihm viel!

Er hatte aber wohl auch Freude an dir, sagte Margarete, indem sie mit
frohem Lächeln an ihrem Mann hinaufsah. Zu einem so besondern Lehrer
gehört auch ein besondrer Schüler, denk ich mir.

Gar nicht. Der zieht jeden. Wäre nicht sein Unglück über ihn ge¬
kommen, so Hütte ich mirs stark überlegt, ob es nicht gut gewesen wäre, den
Hans auch aus dem Treibhaus ins sreie Land zu verpflanzen. Das hat nun
nicht sein sollen.

Aber man braucht ja kein Schnljunge zu sein, um von ihm zu lernen,
wandte Hans ein. Denkst du wohl an unsre Winterabende mit ihm-?

Und ob ich daran denke! Du wirst es thun, Gretchen, nicht wahr, und
ihm vorsingen?

Alles, alles, so gut ichs kann, Fritz.

Er spielt die Lieder auf dem Cello, auf dem er Meister ist; aber es
fehlen ihm die Worte. Selber hat er keinen Ton in der Kehle. Was wird
er für ein Gesicht machen, wenn er den Bach wieder hört! Den hat ihm
seine Frau vorgesungen. Sie starb früh; er hats nie verwunden, hat sie
sehr geliebt.

Sie fuhren eine Weile schweigend weiter, jeder mit seinen Gedanken be¬
schäftigt. Endlich richtete sich Fritz gerade auf und sah sich um.

Da ist ja schon der Park und das Türmchen! In fünf Minuten sind
wir da.


16

Die Herrschaften wären im Terrassenzimmer nach dem Garten zu, wurde
ihnen von dem Diener gesagt, der eine der auf das weitläufige Treppenhaus
mündenden Thüren öffnete.

Wir wissen Bescheid, sagte Fritz, bleiben Sie nur. Komm, Gretchen! —
Er gab seiner Frau den Arm.

Elegante Leute, die Sternseldts, hin? meinte Hans, indem er sich in dem
großen schönen Saal umsah, durch den sie eben gingen. Wie gefällt dir unsre
Bauernhütte daneben, Gretel?

Sehr! antwortete sie ernsthaft lächelnd.

In diesem Augenblick sah sie dnrch die offne Thür ins nächste Zimmer
und blieb stehen. Fritz fühlte, wie ihr Arm in dem seinen zuckte, und sah sie
verwundert an. Sie war bis in die Lippen blaß. Er folgte ihrem ängst¬
lichen geradeaus gerichteten starren Blick. Drinnen stand Wcildemar Scholz
mit einer Dame im Gespräch.

Aufgepaßt! Feind in Sicht! fuhr es Fritz durch den Kopf. Er drückte
Margaretens Arm fest an sich.

Nimm dich zusammen, Gretel, murmelte er schnell.

Schon sah sich Hans, der achtlos weiter gegangen war, verwundert nach
ihnen um. Aber der kurze, fast herrische Ton in der Anrede ihres Mannes


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0147" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220473"/>
            <fw type="header" place="top"> Der erste Beste</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_569" prev="#ID_568"> in die Mache, für alles und jedes. Eine regelrechte Gymnasialausbildung<lb/>
gabs da freilich nicht. Ich mußte mich mit dem Freiwilligenzeuguis begnügen;<lb/>
und auch das bekam ich nur mit knapper Not. Ich hatte ja keine Zeit, mehr<lb/>
für mich zu thun in diesem Sinne. Auf den künftigen Gelehrten konnte ich<lb/>
nicht lossteuern. Aber gesund hab ich gelernt bei ihm, und gern. Er gab<lb/>
nichts Überflüssiges, keinen Ballast, keinen Rauch. Alles leuchtete in Kopf<lb/>
und Herz hinein, was er sagte.  O ja, ich verdanke ihm viel!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_570"> Er hatte aber wohl auch Freude an dir, sagte Margarete, indem sie mit<lb/>
frohem Lächeln an ihrem Mann hinaufsah. Zu einem so besondern Lehrer<lb/>
gehört auch ein besondrer Schüler, denk ich mir.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_571"> Gar nicht. Der zieht jeden. Wäre nicht sein Unglück über ihn ge¬<lb/>
kommen, so Hütte ich mirs stark überlegt, ob es nicht gut gewesen wäre, den<lb/>
Hans auch aus dem Treibhaus ins sreie Land zu verpflanzen. Das hat nun<lb/>
nicht sein sollen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_572"> Aber man braucht ja kein Schnljunge zu sein, um von ihm zu lernen,<lb/>
wandte Hans ein.  Denkst du wohl an unsre Winterabende mit ihm-?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_573"> Und ob ich daran denke! Du wirst es thun, Gretchen, nicht wahr, und<lb/>
ihm vorsingen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_574"> Alles, alles, so gut ichs kann, Fritz.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_575"> Er spielt die Lieder auf dem Cello, auf dem er Meister ist; aber es<lb/>
fehlen ihm die Worte. Selber hat er keinen Ton in der Kehle. Was wird<lb/>
er für ein Gesicht machen, wenn er den Bach wieder hört! Den hat ihm<lb/>
seine Frau vorgesungen. Sie starb früh; er hats nie verwunden, hat sie<lb/>
sehr geliebt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_576"> Sie fuhren eine Weile schweigend weiter, jeder mit seinen Gedanken be¬<lb/>
schäftigt.  Endlich richtete sich Fritz gerade auf und sah sich um.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_577"> Da ist ja schon der Park und das Türmchen! In fünf Minuten sind<lb/>
wir da.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 16</head><lb/>
            <p xml:id="ID_578"> Die Herrschaften wären im Terrassenzimmer nach dem Garten zu, wurde<lb/>
ihnen von dem Diener gesagt, der eine der auf das weitläufige Treppenhaus<lb/>
mündenden Thüren öffnete.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_579"> Wir wissen Bescheid, sagte Fritz, bleiben Sie nur. Komm, Gretchen! &#x2014;<lb/>
Er gab seiner Frau den Arm.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_580"> Elegante Leute, die Sternseldts, hin? meinte Hans, indem er sich in dem<lb/>
großen schönen Saal umsah, durch den sie eben gingen. Wie gefällt dir unsre<lb/>
Bauernhütte daneben, Gretel?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_581"> Sehr! antwortete sie ernsthaft lächelnd.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_582"> In diesem Augenblick sah sie dnrch die offne Thür ins nächste Zimmer<lb/>
und blieb stehen. Fritz fühlte, wie ihr Arm in dem seinen zuckte, und sah sie<lb/>
verwundert an. Sie war bis in die Lippen blaß. Er folgte ihrem ängst¬<lb/>
lichen geradeaus gerichteten starren Blick. Drinnen stand Wcildemar Scholz<lb/>
mit einer Dame im Gespräch.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_583"> Aufgepaßt! Feind in Sicht! fuhr es Fritz durch den Kopf. Er drückte<lb/>
Margaretens Arm fest an sich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_584"> Nimm dich zusammen, Gretel, murmelte er schnell.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_585" next="#ID_586"> Schon sah sich Hans, der achtlos weiter gegangen war, verwundert nach<lb/>
ihnen um.  Aber der kurze, fast herrische Ton in der Anrede ihres Mannes</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0147] Der erste Beste in die Mache, für alles und jedes. Eine regelrechte Gymnasialausbildung gabs da freilich nicht. Ich mußte mich mit dem Freiwilligenzeuguis begnügen; und auch das bekam ich nur mit knapper Not. Ich hatte ja keine Zeit, mehr für mich zu thun in diesem Sinne. Auf den künftigen Gelehrten konnte ich nicht lossteuern. Aber gesund hab ich gelernt bei ihm, und gern. Er gab nichts Überflüssiges, keinen Ballast, keinen Rauch. Alles leuchtete in Kopf und Herz hinein, was er sagte. O ja, ich verdanke ihm viel! Er hatte aber wohl auch Freude an dir, sagte Margarete, indem sie mit frohem Lächeln an ihrem Mann hinaufsah. Zu einem so besondern Lehrer gehört auch ein besondrer Schüler, denk ich mir. Gar nicht. Der zieht jeden. Wäre nicht sein Unglück über ihn ge¬ kommen, so Hütte ich mirs stark überlegt, ob es nicht gut gewesen wäre, den Hans auch aus dem Treibhaus ins sreie Land zu verpflanzen. Das hat nun nicht sein sollen. Aber man braucht ja kein Schnljunge zu sein, um von ihm zu lernen, wandte Hans ein. Denkst du wohl an unsre Winterabende mit ihm-? Und ob ich daran denke! Du wirst es thun, Gretchen, nicht wahr, und ihm vorsingen? Alles, alles, so gut ichs kann, Fritz. Er spielt die Lieder auf dem Cello, auf dem er Meister ist; aber es fehlen ihm die Worte. Selber hat er keinen Ton in der Kehle. Was wird er für ein Gesicht machen, wenn er den Bach wieder hört! Den hat ihm seine Frau vorgesungen. Sie starb früh; er hats nie verwunden, hat sie sehr geliebt. Sie fuhren eine Weile schweigend weiter, jeder mit seinen Gedanken be¬ schäftigt. Endlich richtete sich Fritz gerade auf und sah sich um. Da ist ja schon der Park und das Türmchen! In fünf Minuten sind wir da. 16 Die Herrschaften wären im Terrassenzimmer nach dem Garten zu, wurde ihnen von dem Diener gesagt, der eine der auf das weitläufige Treppenhaus mündenden Thüren öffnete. Wir wissen Bescheid, sagte Fritz, bleiben Sie nur. Komm, Gretchen! — Er gab seiner Frau den Arm. Elegante Leute, die Sternseldts, hin? meinte Hans, indem er sich in dem großen schönen Saal umsah, durch den sie eben gingen. Wie gefällt dir unsre Bauernhütte daneben, Gretel? Sehr! antwortete sie ernsthaft lächelnd. In diesem Augenblick sah sie dnrch die offne Thür ins nächste Zimmer und blieb stehen. Fritz fühlte, wie ihr Arm in dem seinen zuckte, und sah sie verwundert an. Sie war bis in die Lippen blaß. Er folgte ihrem ängst¬ lichen geradeaus gerichteten starren Blick. Drinnen stand Wcildemar Scholz mit einer Dame im Gespräch. Aufgepaßt! Feind in Sicht! fuhr es Fritz durch den Kopf. Er drückte Margaretens Arm fest an sich. Nimm dich zusammen, Gretel, murmelte er schnell. Schon sah sich Hans, der achtlos weiter gegangen war, verwundert nach ihnen um. Aber der kurze, fast herrische Ton in der Anrede ihres Mannes

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/147
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/147>, abgerufen am 28.04.2024.