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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Ehre und der Zweikampf

machen konnten, dazu verstehen, sich den panslawistischen oder richtiger alt¬
russischen Ansprüchen zuliebe den rohen, gleichmacherischen Bestrebungen des
in der Bildung zurückstehender russischen Reiches preiszugeben, nachdem sie
die Wohlthaten des deutschen Kulturlebens erfahren haben!

Beachtet man endlich, daß Rumänien die russische Wirtschaft, die zur
Zeit des letzten russisch-türkischen Krieges die unangenehmsten Eindrücke hinter¬
lassen hat, nicht leicht vergessen wird und unter einem Hohenzollern zu einem
selbständigen Staat erwachsen ist, daß das orthodoxe Serbien, dessen Königtum
von russischen Zeitungsschreibern als ein Königtum "Z, 1" Offenbach" bezeichnet
wird, ebensowenig einen Anhaltegrund für die Balkangelüste Rußlands bietet,
so darf man wohl annehmen, daß für die nächste Zeit einer deutschen Aus¬
wanderung in die Valkanhalbinsel keine unüberwindlichen Hindernisse ent¬
gegenstehen.

Es handelt sich hier nicht um sogenannte Konjekturalpvlitik. Wir haben
die in Betracht kommenden Fragen gegenüber der für Deutschland unabweis¬
baren Notwendigkeit einer Auswanderung erörtert. Ob sich die "führenden
Geister" finden werden, die der büreaukratischen Schablonenwirtschaft ein Ende
machen, müssen wir abwarten. So gewaltige Umgestaltungen werden nicht
gemacht, sie entstehen mit innerer Notwendigkeit, zumal da Machtverschiebungen
im europäischen Konzert nicht ausbleiben werden. "Sie rufen Friede, Friede!
und ist doch kein Friede." Kommen die schwebenden Fragen zu einer Ent¬
scheidung, so wird auch der Weg gebahnt sein für den Zug nach dem Osten.




Die Ehre und der Zweikampf

eher das Leben geht noch die Ehre! -- Was mag wohl der, der
diesen ritterlichen Glaubenssatz zuerst verkündigt hat, unter Ehre
verstanden haben? Jedenfalls etwas andres als Sir John
Falstaff, wenn er vor der Schlacht von Shrewsbury philosophirt:
Was ist Ehre? Ein Wort.' Was steckt in dem Wort Ehre?
Was ist diese Ehre? Luft. Eine feine Rechnung! -- Wer hat sie? Er. der
vergangne Mittwoch starb: sühlt er sie? Nein. Hört er sie? Nein. Ist sie
also nicht fühlbar? Für die Toten nicht. Aber lebt sie nicht etwa mit den
Lebenden? Nein. Warum nicht? Die Verleumdung giebt es nicht zu. Ich


Die Ehre und der Zweikampf

machen konnten, dazu verstehen, sich den panslawistischen oder richtiger alt¬
russischen Ansprüchen zuliebe den rohen, gleichmacherischen Bestrebungen des
in der Bildung zurückstehender russischen Reiches preiszugeben, nachdem sie
die Wohlthaten des deutschen Kulturlebens erfahren haben!

Beachtet man endlich, daß Rumänien die russische Wirtschaft, die zur
Zeit des letzten russisch-türkischen Krieges die unangenehmsten Eindrücke hinter¬
lassen hat, nicht leicht vergessen wird und unter einem Hohenzollern zu einem
selbständigen Staat erwachsen ist, daß das orthodoxe Serbien, dessen Königtum
von russischen Zeitungsschreibern als ein Königtum „Z, 1» Offenbach" bezeichnet
wird, ebensowenig einen Anhaltegrund für die Balkangelüste Rußlands bietet,
so darf man wohl annehmen, daß für die nächste Zeit einer deutschen Aus¬
wanderung in die Valkanhalbinsel keine unüberwindlichen Hindernisse ent¬
gegenstehen.

Es handelt sich hier nicht um sogenannte Konjekturalpvlitik. Wir haben
die in Betracht kommenden Fragen gegenüber der für Deutschland unabweis¬
baren Notwendigkeit einer Auswanderung erörtert. Ob sich die „führenden
Geister" finden werden, die der büreaukratischen Schablonenwirtschaft ein Ende
machen, müssen wir abwarten. So gewaltige Umgestaltungen werden nicht
gemacht, sie entstehen mit innerer Notwendigkeit, zumal da Machtverschiebungen
im europäischen Konzert nicht ausbleiben werden. „Sie rufen Friede, Friede!
und ist doch kein Friede." Kommen die schwebenden Fragen zu einer Ent¬
scheidung, so wird auch der Weg gebahnt sein für den Zug nach dem Osten.




Die Ehre und der Zweikampf

eher das Leben geht noch die Ehre! — Was mag wohl der, der
diesen ritterlichen Glaubenssatz zuerst verkündigt hat, unter Ehre
verstanden haben? Jedenfalls etwas andres als Sir John
Falstaff, wenn er vor der Schlacht von Shrewsbury philosophirt:
Was ist Ehre? Ein Wort.' Was steckt in dem Wort Ehre?
Was ist diese Ehre? Luft. Eine feine Rechnung! — Wer hat sie? Er. der
vergangne Mittwoch starb: sühlt er sie? Nein. Hört er sie? Nein. Ist sie
also nicht fühlbar? Für die Toten nicht. Aber lebt sie nicht etwa mit den
Lebenden? Nein. Warum nicht? Die Verleumdung giebt es nicht zu. Ich


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[0312] Die Ehre und der Zweikampf machen konnten, dazu verstehen, sich den panslawistischen oder richtiger alt¬ russischen Ansprüchen zuliebe den rohen, gleichmacherischen Bestrebungen des in der Bildung zurückstehender russischen Reiches preiszugeben, nachdem sie die Wohlthaten des deutschen Kulturlebens erfahren haben! Beachtet man endlich, daß Rumänien die russische Wirtschaft, die zur Zeit des letzten russisch-türkischen Krieges die unangenehmsten Eindrücke hinter¬ lassen hat, nicht leicht vergessen wird und unter einem Hohenzollern zu einem selbständigen Staat erwachsen ist, daß das orthodoxe Serbien, dessen Königtum von russischen Zeitungsschreibern als ein Königtum „Z, 1» Offenbach" bezeichnet wird, ebensowenig einen Anhaltegrund für die Balkangelüste Rußlands bietet, so darf man wohl annehmen, daß für die nächste Zeit einer deutschen Aus¬ wanderung in die Valkanhalbinsel keine unüberwindlichen Hindernisse ent¬ gegenstehen. Es handelt sich hier nicht um sogenannte Konjekturalpvlitik. Wir haben die in Betracht kommenden Fragen gegenüber der für Deutschland unabweis¬ baren Notwendigkeit einer Auswanderung erörtert. Ob sich die „führenden Geister" finden werden, die der büreaukratischen Schablonenwirtschaft ein Ende machen, müssen wir abwarten. So gewaltige Umgestaltungen werden nicht gemacht, sie entstehen mit innerer Notwendigkeit, zumal da Machtverschiebungen im europäischen Konzert nicht ausbleiben werden. „Sie rufen Friede, Friede! und ist doch kein Friede." Kommen die schwebenden Fragen zu einer Ent¬ scheidung, so wird auch der Weg gebahnt sein für den Zug nach dem Osten. Die Ehre und der Zweikampf eher das Leben geht noch die Ehre! — Was mag wohl der, der diesen ritterlichen Glaubenssatz zuerst verkündigt hat, unter Ehre verstanden haben? Jedenfalls etwas andres als Sir John Falstaff, wenn er vor der Schlacht von Shrewsbury philosophirt: Was ist Ehre? Ein Wort.' Was steckt in dem Wort Ehre? Was ist diese Ehre? Luft. Eine feine Rechnung! — Wer hat sie? Er. der vergangne Mittwoch starb: sühlt er sie? Nein. Hört er sie? Nein. Ist sie also nicht fühlbar? Für die Toten nicht. Aber lebt sie nicht etwa mit den Lebenden? Nein. Warum nicht? Die Verleumdung giebt es nicht zu. Ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/312>, abgerufen am 28.04.2024.