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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Ist die jetzige preußische Regierung national?

in Mai d. I. berichteten die Zeitungen, die Ermittlungen durch
die preußische Regierung hätten ergeben, daß im Interesse der
Landwirtschaft auf die Zulassung von Arbeitern aus Rußland
und Galizien zur Beschäftigung in landwirtschaftlichen und in¬
dustriellen Betrieben des Inlandes noch nicht verzichtet werden
könne. Die Oberpräsidenten seien daher ermächtigt worden, solche Arbeiter zu
vorübergehender oder dauernder Beschäftigung zuzulassen, und zwar nicht bloß
wie bisher als einzelne, sondern auch mit ihren Familien. Von einer zeit¬
lichen Begrenzung der Ermächtigung sei abgesehen worden. Große Nachteile
auf nationalem Gebiete hätte die Regierung in der Zulassung ausländischer
Arbeiter bisher nicht entdecken können.

Diese Erklärung brachten auch halbamtliche und amtliche Blätter. Die
Preußische Regierung hat nicht widersprochen. Also muß die Erklärung von
ihr ausgegangen sein.

Sie wurde gebracht, als handelte es sich um etwas ganz Nebensächliches.
Nicht ein einziges Blatt, auch kein nationales, hat sich irgendwie darüber
ausgelassen. Und doch welche schwerwiegende Folgen muß diese Maßregel
der preußischen Regierung für das Deutschtum, insbesondre für seine räumliche
Ausdehnung haben, wenn sie nicht bald wieder aufgehoben wird!

Als Fürst Bismarck die Gefahren erkannt hatte, die die über die Grenze
flutenden slawischen Arbeiter dem Deutschtum brachten, ließ er diese Arbeiter
rücksichtslos ausweisen und verbot ausnahmslos ihre fernere Einwanderung.
Gegen 30000 Polen mußten damals das deutsche Reich verlassen. Es half
nichts, daß die Großgrundbesitzer nach billigen Arbeitskräften jammerten, daß
die jüdisch-liberalen Zeitungen, die dadurch eine Stärkung des deutschen Be-


Grenzboten III 1895 SO


Ist die jetzige preußische Regierung national?

in Mai d. I. berichteten die Zeitungen, die Ermittlungen durch
die preußische Regierung hätten ergeben, daß im Interesse der
Landwirtschaft auf die Zulassung von Arbeitern aus Rußland
und Galizien zur Beschäftigung in landwirtschaftlichen und in¬
dustriellen Betrieben des Inlandes noch nicht verzichtet werden
könne. Die Oberpräsidenten seien daher ermächtigt worden, solche Arbeiter zu
vorübergehender oder dauernder Beschäftigung zuzulassen, und zwar nicht bloß
wie bisher als einzelne, sondern auch mit ihren Familien. Von einer zeit¬
lichen Begrenzung der Ermächtigung sei abgesehen worden. Große Nachteile
auf nationalem Gebiete hätte die Regierung in der Zulassung ausländischer
Arbeiter bisher nicht entdecken können.

Diese Erklärung brachten auch halbamtliche und amtliche Blätter. Die
Preußische Regierung hat nicht widersprochen. Also muß die Erklärung von
ihr ausgegangen sein.

Sie wurde gebracht, als handelte es sich um etwas ganz Nebensächliches.
Nicht ein einziges Blatt, auch kein nationales, hat sich irgendwie darüber
ausgelassen. Und doch welche schwerwiegende Folgen muß diese Maßregel
der preußischen Regierung für das Deutschtum, insbesondre für seine räumliche
Ausdehnung haben, wenn sie nicht bald wieder aufgehoben wird!

Als Fürst Bismarck die Gefahren erkannt hatte, die die über die Grenze
flutenden slawischen Arbeiter dem Deutschtum brachten, ließ er diese Arbeiter
rücksichtslos ausweisen und verbot ausnahmslos ihre fernere Einwanderung.
Gegen 30000 Polen mußten damals das deutsche Reich verlassen. Es half
nichts, daß die Großgrundbesitzer nach billigen Arbeitskräften jammerten, daß
die jüdisch-liberalen Zeitungen, die dadurch eine Stärkung des deutschen Be-


Grenzboten III 1895 SO
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[0401] [Abbildung] Ist die jetzige preußische Regierung national? in Mai d. I. berichteten die Zeitungen, die Ermittlungen durch die preußische Regierung hätten ergeben, daß im Interesse der Landwirtschaft auf die Zulassung von Arbeitern aus Rußland und Galizien zur Beschäftigung in landwirtschaftlichen und in¬ dustriellen Betrieben des Inlandes noch nicht verzichtet werden könne. Die Oberpräsidenten seien daher ermächtigt worden, solche Arbeiter zu vorübergehender oder dauernder Beschäftigung zuzulassen, und zwar nicht bloß wie bisher als einzelne, sondern auch mit ihren Familien. Von einer zeit¬ lichen Begrenzung der Ermächtigung sei abgesehen worden. Große Nachteile auf nationalem Gebiete hätte die Regierung in der Zulassung ausländischer Arbeiter bisher nicht entdecken können. Diese Erklärung brachten auch halbamtliche und amtliche Blätter. Die Preußische Regierung hat nicht widersprochen. Also muß die Erklärung von ihr ausgegangen sein. Sie wurde gebracht, als handelte es sich um etwas ganz Nebensächliches. Nicht ein einziges Blatt, auch kein nationales, hat sich irgendwie darüber ausgelassen. Und doch welche schwerwiegende Folgen muß diese Maßregel der preußischen Regierung für das Deutschtum, insbesondre für seine räumliche Ausdehnung haben, wenn sie nicht bald wieder aufgehoben wird! Als Fürst Bismarck die Gefahren erkannt hatte, die die über die Grenze flutenden slawischen Arbeiter dem Deutschtum brachten, ließ er diese Arbeiter rücksichtslos ausweisen und verbot ausnahmslos ihre fernere Einwanderung. Gegen 30000 Polen mußten damals das deutsche Reich verlassen. Es half nichts, daß die Großgrundbesitzer nach billigen Arbeitskräften jammerten, daß die jüdisch-liberalen Zeitungen, die dadurch eine Stärkung des deutschen Be- Grenzboten III 1895 SO

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/401>, abgerufen am 28.04.2024.