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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Brasilien

le Forderung, daß Deutschland Ackerbaukolonisation treiben müsse,
braucht in diesen Blättern Wohl nicht mehr begründet zu werden.
Steht aber ihre Richtigkeit bei uns fest, so soll man auch nicht
zögern, Vorschläge zu machen, wohin man sich zu wenden habe.
Der Versuch, das Interesse wieder für Brasilien zu wecken, wird
vielleicht manchen von vornherein als verfehlt erscheinen, aber gerade weil
dieses Vorurteil so ausgebreitet ist, will ich ihn machen; vielleicht gelingt es,
doch den oder jenen zu überzeugen, daß die Einwände, die man gegen Pläne
erhebt, die sich auf jenes Land richten, auf falschen Voraussetzungen beruhen,
oder vielmehr, daß es ein Leichtes ist, die Hindernisse, die heute thatsächlich
der Einwanderung entgegenstehen, zu beseitigen.

Seit längerer Zeit steht Brasilien sür alle, denen das Wohl und Wehe
der deutschen Volksgenossen im Auslande am Herzen liegt, im Vordergrunde
der Teilnahme. Noch immer ist der Bürgerkrieg nicht beendet, und mitten in
dem Kampfe der Parteien finden wir viele Tausende von deutschen Ackerbauern,
deren taktvolle, besonnene Haltung unsre Bewunderung erwecken müßte, wenn
wir nicht längst wüßten, daß die Deutschbrasilianer wohl ihre Staatsangehörig¬
keit dem Mutterlande gegenüber aufgegeben, aber weder ihre nationale Eigen¬
art verloren, noch ihre Heimat vergessen haben. Unwillkürlich drängt sich der
Gedanke auf, was das deutsche Element in diesem Bürgerkriege für einen
Einfluß hätte gewinnen können, wenn die deutsche Auswanderung nach Bra¬
silien von Anfang an von der deutschen (und früher der preußischen) Regie¬
rung planvoll geleitet, wenn unsre Landsleute wirksam unterstützt und geschützt
worden wären.

Brasilien wird sicher einmal in Südamerika einen entscheidenden politischen,
vielleicht auch einen Kultureinfluß gewinnen, seine bisherige Entwicklung ist in
gewissem Sinne typisch für jene Staatengebilde, und ich gebe die Hoffnung
nicht auf, daß auch für die deutsche Auswanderungspvlitik einmal der
Geburtstag anbrechen wird, da diese Frage hervorragende sozialpolitische
Bedeutung für uns hat und ohne ihre Lösung eine gesunde und kräftige Ko-
lonialpolitik nicht denkbar ist. Daher dürfte eine Betrachtung der Entwicklung


Grenzboten III 1895 51


Brasilien

le Forderung, daß Deutschland Ackerbaukolonisation treiben müsse,
braucht in diesen Blättern Wohl nicht mehr begründet zu werden.
Steht aber ihre Richtigkeit bei uns fest, so soll man auch nicht
zögern, Vorschläge zu machen, wohin man sich zu wenden habe.
Der Versuch, das Interesse wieder für Brasilien zu wecken, wird
vielleicht manchen von vornherein als verfehlt erscheinen, aber gerade weil
dieses Vorurteil so ausgebreitet ist, will ich ihn machen; vielleicht gelingt es,
doch den oder jenen zu überzeugen, daß die Einwände, die man gegen Pläne
erhebt, die sich auf jenes Land richten, auf falschen Voraussetzungen beruhen,
oder vielmehr, daß es ein Leichtes ist, die Hindernisse, die heute thatsächlich
der Einwanderung entgegenstehen, zu beseitigen.

Seit längerer Zeit steht Brasilien sür alle, denen das Wohl und Wehe
der deutschen Volksgenossen im Auslande am Herzen liegt, im Vordergrunde
der Teilnahme. Noch immer ist der Bürgerkrieg nicht beendet, und mitten in
dem Kampfe der Parteien finden wir viele Tausende von deutschen Ackerbauern,
deren taktvolle, besonnene Haltung unsre Bewunderung erwecken müßte, wenn
wir nicht längst wüßten, daß die Deutschbrasilianer wohl ihre Staatsangehörig¬
keit dem Mutterlande gegenüber aufgegeben, aber weder ihre nationale Eigen¬
art verloren, noch ihre Heimat vergessen haben. Unwillkürlich drängt sich der
Gedanke auf, was das deutsche Element in diesem Bürgerkriege für einen
Einfluß hätte gewinnen können, wenn die deutsche Auswanderung nach Bra¬
silien von Anfang an von der deutschen (und früher der preußischen) Regie¬
rung planvoll geleitet, wenn unsre Landsleute wirksam unterstützt und geschützt
worden wären.

Brasilien wird sicher einmal in Südamerika einen entscheidenden politischen,
vielleicht auch einen Kultureinfluß gewinnen, seine bisherige Entwicklung ist in
gewissem Sinne typisch für jene Staatengebilde, und ich gebe die Hoffnung
nicht auf, daß auch für die deutsche Auswanderungspvlitik einmal der
Geburtstag anbrechen wird, da diese Frage hervorragende sozialpolitische
Bedeutung für uns hat und ohne ihre Lösung eine gesunde und kräftige Ko-
lonialpolitik nicht denkbar ist. Daher dürfte eine Betrachtung der Entwicklung


Grenzboten III 1895 51
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[0409] [Abbildung] Brasilien le Forderung, daß Deutschland Ackerbaukolonisation treiben müsse, braucht in diesen Blättern Wohl nicht mehr begründet zu werden. Steht aber ihre Richtigkeit bei uns fest, so soll man auch nicht zögern, Vorschläge zu machen, wohin man sich zu wenden habe. Der Versuch, das Interesse wieder für Brasilien zu wecken, wird vielleicht manchen von vornherein als verfehlt erscheinen, aber gerade weil dieses Vorurteil so ausgebreitet ist, will ich ihn machen; vielleicht gelingt es, doch den oder jenen zu überzeugen, daß die Einwände, die man gegen Pläne erhebt, die sich auf jenes Land richten, auf falschen Voraussetzungen beruhen, oder vielmehr, daß es ein Leichtes ist, die Hindernisse, die heute thatsächlich der Einwanderung entgegenstehen, zu beseitigen. Seit längerer Zeit steht Brasilien sür alle, denen das Wohl und Wehe der deutschen Volksgenossen im Auslande am Herzen liegt, im Vordergrunde der Teilnahme. Noch immer ist der Bürgerkrieg nicht beendet, und mitten in dem Kampfe der Parteien finden wir viele Tausende von deutschen Ackerbauern, deren taktvolle, besonnene Haltung unsre Bewunderung erwecken müßte, wenn wir nicht längst wüßten, daß die Deutschbrasilianer wohl ihre Staatsangehörig¬ keit dem Mutterlande gegenüber aufgegeben, aber weder ihre nationale Eigen¬ art verloren, noch ihre Heimat vergessen haben. Unwillkürlich drängt sich der Gedanke auf, was das deutsche Element in diesem Bürgerkriege für einen Einfluß hätte gewinnen können, wenn die deutsche Auswanderung nach Bra¬ silien von Anfang an von der deutschen (und früher der preußischen) Regie¬ rung planvoll geleitet, wenn unsre Landsleute wirksam unterstützt und geschützt worden wären. Brasilien wird sicher einmal in Südamerika einen entscheidenden politischen, vielleicht auch einen Kultureinfluß gewinnen, seine bisherige Entwicklung ist in gewissem Sinne typisch für jene Staatengebilde, und ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß auch für die deutsche Auswanderungspvlitik einmal der Geburtstag anbrechen wird, da diese Frage hervorragende sozialpolitische Bedeutung für uns hat und ohne ihre Lösung eine gesunde und kräftige Ko- lonialpolitik nicht denkbar ist. Daher dürfte eine Betrachtung der Entwicklung Grenzboten III 1895 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/409>, abgerufen am 28.04.2024.