Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


politische Anmerkungen
zur italienischen Litteraturgeschichte
(Schluß)

as fünfzehnte Jahrhundert, die Blütezeit der Renaissancekunst,
das Jahrhundert des Masaccio und des Donatello, ist auffallend
arm an italienisch schreibenden Dichtern und Schriftstellern --
weil so viele lateinisch schrieben, sagen die Italiener, und das
ist allerdings eine Erklärung, wenn auch nur eine äußerliche.
Aber für einzelne Männer trifft sie zu wie das Ergebnis einer Rechnung.
Schon Boccaccio war durch seine lateinischen Schriften früher ein berühmter
Mann geworden, als durch seine italienischen, und als Petrarca seine Liebes¬
reime, die doch später für die meisten fast allein seinen Ruhm ausmachten, in
seinem Alter bereute und bedauerte, da tröstete ihn nur die Erwägung, daß
er wenigstens die edle lateinische Sprache nicht dadurch verunehrt habe.
Sannazaro endlich machte in jungen Jahren schöne italienische Gedichte. Seine
Areadia ist 1504 erschienen, aber früher geschrieben, sie enthält, also noch vor
Bembos Asolanen, seit Boccaccio die erste schöne italienische Prosa. Aber
dann wandte sich der Dichter ganz dem Lateinischen zu, und das sechzehnte
Jahrhundert kannte und verehrte ihn fast nur noch als Humanisten. Nicht
als selbständige Erscheinung, sondern nur wegen ihres Verhältnisses zum ita¬
lienischen Geiste und wegen ihrer Wirkung ans italienische Geschichte, Kultur
und Poesie mag uns diese in der That vollkommenste Reproduktion des antiken
Geistes in Poesie und Prosa einen Augenblick beschäftigen. Wer lateinische
Verse und Prosa für langweiligen Schulstanb trübseligen Angedenkens hält,
dem wird ein Brief Petrarcas oder Bembos wohl noch gelegentlichen Beifalls
wert sein, ein Gedicht aber von Bembo oder von seinem Landsmann Navagero
oder von Sannazaro kann ihn an einzelnen Stellen sogar entzücken. Er wird
selbst manchen Geringern in seinen lateinischen Versen und Epigrammen noch
beachtenswert finden, dessen italienische Schriften jetzt nicht mehr angesehen zu
werden verdienen.

Man hat oft gefragt: Hat dieser italienische Klassizismus den Italienern
selbst mehr geschadet oder mehr genützt? Die Antwort ist einfach. Den Pro¬
saikern hat das Lateinische genützt. Man sieht es an der Geschichtschreibung




politische Anmerkungen
zur italienischen Litteraturgeschichte
(Schluß)

as fünfzehnte Jahrhundert, die Blütezeit der Renaissancekunst,
das Jahrhundert des Masaccio und des Donatello, ist auffallend
arm an italienisch schreibenden Dichtern und Schriftstellern —
weil so viele lateinisch schrieben, sagen die Italiener, und das
ist allerdings eine Erklärung, wenn auch nur eine äußerliche.
Aber für einzelne Männer trifft sie zu wie das Ergebnis einer Rechnung.
Schon Boccaccio war durch seine lateinischen Schriften früher ein berühmter
Mann geworden, als durch seine italienischen, und als Petrarca seine Liebes¬
reime, die doch später für die meisten fast allein seinen Ruhm ausmachten, in
seinem Alter bereute und bedauerte, da tröstete ihn nur die Erwägung, daß
er wenigstens die edle lateinische Sprache nicht dadurch verunehrt habe.
Sannazaro endlich machte in jungen Jahren schöne italienische Gedichte. Seine
Areadia ist 1504 erschienen, aber früher geschrieben, sie enthält, also noch vor
Bembos Asolanen, seit Boccaccio die erste schöne italienische Prosa. Aber
dann wandte sich der Dichter ganz dem Lateinischen zu, und das sechzehnte
Jahrhundert kannte und verehrte ihn fast nur noch als Humanisten. Nicht
als selbständige Erscheinung, sondern nur wegen ihres Verhältnisses zum ita¬
lienischen Geiste und wegen ihrer Wirkung ans italienische Geschichte, Kultur
und Poesie mag uns diese in der That vollkommenste Reproduktion des antiken
Geistes in Poesie und Prosa einen Augenblick beschäftigen. Wer lateinische
Verse und Prosa für langweiligen Schulstanb trübseligen Angedenkens hält,
dem wird ein Brief Petrarcas oder Bembos wohl noch gelegentlichen Beifalls
wert sein, ein Gedicht aber von Bembo oder von seinem Landsmann Navagero
oder von Sannazaro kann ihn an einzelnen Stellen sogar entzücken. Er wird
selbst manchen Geringern in seinen lateinischen Versen und Epigrammen noch
beachtenswert finden, dessen italienische Schriften jetzt nicht mehr angesehen zu
werden verdienen.

Man hat oft gefragt: Hat dieser italienische Klassizismus den Italienern
selbst mehr geschadet oder mehr genützt? Die Antwort ist einfach. Den Pro¬
saikern hat das Lateinische genützt. Man sieht es an der Geschichtschreibung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0613" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220939"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341861_220325/figures/grenzboten_341861_220325_220939_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> politische Anmerkungen<lb/>
zur italienischen Litteraturgeschichte<lb/>
(Schluß) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_2279"> as fünfzehnte Jahrhundert, die Blütezeit der Renaissancekunst,<lb/>
das Jahrhundert des Masaccio und des Donatello, ist auffallend<lb/>
arm an italienisch schreibenden Dichtern und Schriftstellern &#x2014;<lb/>
weil so viele lateinisch schrieben, sagen die Italiener, und das<lb/>
ist allerdings eine Erklärung, wenn auch nur eine äußerliche.<lb/>
Aber für einzelne Männer trifft sie zu wie das Ergebnis einer Rechnung.<lb/>
Schon Boccaccio war durch seine lateinischen Schriften früher ein berühmter<lb/>
Mann geworden, als durch seine italienischen, und als Petrarca seine Liebes¬<lb/>
reime, die doch später für die meisten fast allein seinen Ruhm ausmachten, in<lb/>
seinem Alter bereute und bedauerte, da tröstete ihn nur die Erwägung, daß<lb/>
er wenigstens die edle lateinische Sprache nicht dadurch verunehrt habe.<lb/>
Sannazaro endlich machte in jungen Jahren schöne italienische Gedichte. Seine<lb/>
Areadia ist 1504 erschienen, aber früher geschrieben, sie enthält, also noch vor<lb/>
Bembos Asolanen, seit Boccaccio die erste schöne italienische Prosa. Aber<lb/>
dann wandte sich der Dichter ganz dem Lateinischen zu, und das sechzehnte<lb/>
Jahrhundert kannte und verehrte ihn fast nur noch als Humanisten. Nicht<lb/>
als selbständige Erscheinung, sondern nur wegen ihres Verhältnisses zum ita¬<lb/>
lienischen Geiste und wegen ihrer Wirkung ans italienische Geschichte, Kultur<lb/>
und Poesie mag uns diese in der That vollkommenste Reproduktion des antiken<lb/>
Geistes in Poesie und Prosa einen Augenblick beschäftigen. Wer lateinische<lb/>
Verse und Prosa für langweiligen Schulstanb trübseligen Angedenkens hält,<lb/>
dem wird ein Brief Petrarcas oder Bembos wohl noch gelegentlichen Beifalls<lb/>
wert sein, ein Gedicht aber von Bembo oder von seinem Landsmann Navagero<lb/>
oder von Sannazaro kann ihn an einzelnen Stellen sogar entzücken. Er wird<lb/>
selbst manchen Geringern in seinen lateinischen Versen und Epigrammen noch<lb/>
beachtenswert finden, dessen italienische Schriften jetzt nicht mehr angesehen zu<lb/>
werden verdienen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2280" next="#ID_2281"> Man hat oft gefragt: Hat dieser italienische Klassizismus den Italienern<lb/>
selbst mehr geschadet oder mehr genützt? Die Antwort ist einfach. Den Pro¬<lb/>
saikern hat das Lateinische genützt.  Man sieht es an der Geschichtschreibung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0613] [Abbildung] politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte (Schluß) as fünfzehnte Jahrhundert, die Blütezeit der Renaissancekunst, das Jahrhundert des Masaccio und des Donatello, ist auffallend arm an italienisch schreibenden Dichtern und Schriftstellern — weil so viele lateinisch schrieben, sagen die Italiener, und das ist allerdings eine Erklärung, wenn auch nur eine äußerliche. Aber für einzelne Männer trifft sie zu wie das Ergebnis einer Rechnung. Schon Boccaccio war durch seine lateinischen Schriften früher ein berühmter Mann geworden, als durch seine italienischen, und als Petrarca seine Liebes¬ reime, die doch später für die meisten fast allein seinen Ruhm ausmachten, in seinem Alter bereute und bedauerte, da tröstete ihn nur die Erwägung, daß er wenigstens die edle lateinische Sprache nicht dadurch verunehrt habe. Sannazaro endlich machte in jungen Jahren schöne italienische Gedichte. Seine Areadia ist 1504 erschienen, aber früher geschrieben, sie enthält, also noch vor Bembos Asolanen, seit Boccaccio die erste schöne italienische Prosa. Aber dann wandte sich der Dichter ganz dem Lateinischen zu, und das sechzehnte Jahrhundert kannte und verehrte ihn fast nur noch als Humanisten. Nicht als selbständige Erscheinung, sondern nur wegen ihres Verhältnisses zum ita¬ lienischen Geiste und wegen ihrer Wirkung ans italienische Geschichte, Kultur und Poesie mag uns diese in der That vollkommenste Reproduktion des antiken Geistes in Poesie und Prosa einen Augenblick beschäftigen. Wer lateinische Verse und Prosa für langweiligen Schulstanb trübseligen Angedenkens hält, dem wird ein Brief Petrarcas oder Bembos wohl noch gelegentlichen Beifalls wert sein, ein Gedicht aber von Bembo oder von seinem Landsmann Navagero oder von Sannazaro kann ihn an einzelnen Stellen sogar entzücken. Er wird selbst manchen Geringern in seinen lateinischen Versen und Epigrammen noch beachtenswert finden, dessen italienische Schriften jetzt nicht mehr angesehen zu werden verdienen. Man hat oft gefragt: Hat dieser italienische Klassizismus den Italienern selbst mehr geschadet oder mehr genützt? Die Antwort ist einfach. Den Pro¬ saikern hat das Lateinische genützt. Man sieht es an der Geschichtschreibung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/613
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/613>, abgerufen am 28.04.2024.