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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte

und an der Abhandlung, deren Stil sich zuerst in Italien vollendet zeigt, und
zwar meist im unmittelbaren Anschluß an das Lateinische. Genützt hat es
auch den Dichtern in der Gruppirung der Gedanken sowohl, wie in der Vers¬
kunst und der Form überhaupt. Sie haben an den Lateinern gelernt, wie es
ihnen Dante vorgeschrieben hatte, jeder einzelne von ihnen, selbst der, dem es
noch am wenigsten geschadet hat, Ariost. Denn geschadet hat es ihnen doch
wieder fast allen sicher, am Inhalt nämlich, am Herzen, wo das hätte mit¬
sprechen können. Die Dichtung wurde zu sehr Sache des Nachdenkens und
der poetischen Kunstform. Der Klassizismus also, auf dem unsre ganze heutige
Bildung beruht, und den Italien dem modernen Europa gegeben hat, hat diesem
Lande selbst vor allem den Schaden gebracht, daß er die Litteratur den be¬
vorzugten Kreisen gab und das Volk von ihnen absonderte, daß er sie aber
jenen auch mehr zum Genießen und zur Ausstattung des feinen Lebens für
den höhern Luxus darreichte, nicht als etwas ernstes, was für das thätige
Leben und die Geschichte noch tiefere Folgen haben kaun und muß. Aus
wirklichen Klassikern, d. h. den besten in ihrer Art, aus Taeitus oder Livius,
läßt sich wohl auch noch etwas sür den Patriotismus lernen, wie wir an
Machicivelli sehen, aber nicht, wenn sie höfisch verzerrt sind und in dieser Ver¬
zerrung weiter verarbeitet werden. Schließlich haben die Italiener noch mit
Schmerz erfahren müssen und es selbst offen eingestanden, daß sie, die einstigen
Lehrer und Meister Enropas, nicht einmal in dem bloß wissenschaftlichen Be¬
triebe der klassischen Philologie, abgesehen von lateinischen Inschriften, auf der
Höhe geblieben sind.

Der Luxus der großen und kleinen Höfe und der Glanz des päpstlichen
Roms ernährte Dichter und Schriftsteller -- ich habe sie nicht nötig, aber
sie mich, sagte freundlich und witzig zugleich der Kardinal Jppolito Medici --,
aber hat darum diese Protektion die wahre Poesie hervorgerufen oder sie auch
nnr gefördert? Nicht einmal die Italiener glauben oder glaubten das. Wo
das Volk im bessern Sinne ausgeschlossen ist und der Herr eines Hofes noch
etwas mehr will, als den Dichtern bloß äußerlich zu leben geben, da wird
man vergebens nach einer Nationallitteratur suchen. Ja noch mehr. Hätten
sich diese zahlreichen hohen Gönner, an deren Höfen die Gaben unsrer heutigen
europäischen Kultur gewonnen und zuerst gesammelt worden sind, weniger
um Kunst und Litteratur gekümmert, so wären sie vielleicht bessere Soldaten
und bessere Regenten gewesen, und sie hätten dann Italien jedenfalls mehr
genützt. Wenigstens war das, wie wir sehen, Machiavellis Meinung. Andre
wiesen, was die Litteratur betrifft, auf Florenz hin, wo im fünfzehnten Jahr¬
hundert noch kein eigentlicher Hof bestand und das Bürgertum trotz aller
Vornehmheit des Lebens mehr hervortrat. Dort wußte der prächtige Lorenzo
Medici in seinen Liedern einen volkstümlichen und doch ernsten Ton anzu¬
schlagen, und statt der Virgilschen Schäferpoesie gab er das erste Beispiel


Politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte

und an der Abhandlung, deren Stil sich zuerst in Italien vollendet zeigt, und
zwar meist im unmittelbaren Anschluß an das Lateinische. Genützt hat es
auch den Dichtern in der Gruppirung der Gedanken sowohl, wie in der Vers¬
kunst und der Form überhaupt. Sie haben an den Lateinern gelernt, wie es
ihnen Dante vorgeschrieben hatte, jeder einzelne von ihnen, selbst der, dem es
noch am wenigsten geschadet hat, Ariost. Denn geschadet hat es ihnen doch
wieder fast allen sicher, am Inhalt nämlich, am Herzen, wo das hätte mit¬
sprechen können. Die Dichtung wurde zu sehr Sache des Nachdenkens und
der poetischen Kunstform. Der Klassizismus also, auf dem unsre ganze heutige
Bildung beruht, und den Italien dem modernen Europa gegeben hat, hat diesem
Lande selbst vor allem den Schaden gebracht, daß er die Litteratur den be¬
vorzugten Kreisen gab und das Volk von ihnen absonderte, daß er sie aber
jenen auch mehr zum Genießen und zur Ausstattung des feinen Lebens für
den höhern Luxus darreichte, nicht als etwas ernstes, was für das thätige
Leben und die Geschichte noch tiefere Folgen haben kaun und muß. Aus
wirklichen Klassikern, d. h. den besten in ihrer Art, aus Taeitus oder Livius,
läßt sich wohl auch noch etwas sür den Patriotismus lernen, wie wir an
Machicivelli sehen, aber nicht, wenn sie höfisch verzerrt sind und in dieser Ver¬
zerrung weiter verarbeitet werden. Schließlich haben die Italiener noch mit
Schmerz erfahren müssen und es selbst offen eingestanden, daß sie, die einstigen
Lehrer und Meister Enropas, nicht einmal in dem bloß wissenschaftlichen Be¬
triebe der klassischen Philologie, abgesehen von lateinischen Inschriften, auf der
Höhe geblieben sind.

Der Luxus der großen und kleinen Höfe und der Glanz des päpstlichen
Roms ernährte Dichter und Schriftsteller — ich habe sie nicht nötig, aber
sie mich, sagte freundlich und witzig zugleich der Kardinal Jppolito Medici —,
aber hat darum diese Protektion die wahre Poesie hervorgerufen oder sie auch
nnr gefördert? Nicht einmal die Italiener glauben oder glaubten das. Wo
das Volk im bessern Sinne ausgeschlossen ist und der Herr eines Hofes noch
etwas mehr will, als den Dichtern bloß äußerlich zu leben geben, da wird
man vergebens nach einer Nationallitteratur suchen. Ja noch mehr. Hätten
sich diese zahlreichen hohen Gönner, an deren Höfen die Gaben unsrer heutigen
europäischen Kultur gewonnen und zuerst gesammelt worden sind, weniger
um Kunst und Litteratur gekümmert, so wären sie vielleicht bessere Soldaten
und bessere Regenten gewesen, und sie hätten dann Italien jedenfalls mehr
genützt. Wenigstens war das, wie wir sehen, Machiavellis Meinung. Andre
wiesen, was die Litteratur betrifft, auf Florenz hin, wo im fünfzehnten Jahr¬
hundert noch kein eigentlicher Hof bestand und das Bürgertum trotz aller
Vornehmheit des Lebens mehr hervortrat. Dort wußte der prächtige Lorenzo
Medici in seinen Liedern einen volkstümlichen und doch ernsten Ton anzu¬
schlagen, und statt der Virgilschen Schäferpoesie gab er das erste Beispiel


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[0614] Politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte und an der Abhandlung, deren Stil sich zuerst in Italien vollendet zeigt, und zwar meist im unmittelbaren Anschluß an das Lateinische. Genützt hat es auch den Dichtern in der Gruppirung der Gedanken sowohl, wie in der Vers¬ kunst und der Form überhaupt. Sie haben an den Lateinern gelernt, wie es ihnen Dante vorgeschrieben hatte, jeder einzelne von ihnen, selbst der, dem es noch am wenigsten geschadet hat, Ariost. Denn geschadet hat es ihnen doch wieder fast allen sicher, am Inhalt nämlich, am Herzen, wo das hätte mit¬ sprechen können. Die Dichtung wurde zu sehr Sache des Nachdenkens und der poetischen Kunstform. Der Klassizismus also, auf dem unsre ganze heutige Bildung beruht, und den Italien dem modernen Europa gegeben hat, hat diesem Lande selbst vor allem den Schaden gebracht, daß er die Litteratur den be¬ vorzugten Kreisen gab und das Volk von ihnen absonderte, daß er sie aber jenen auch mehr zum Genießen und zur Ausstattung des feinen Lebens für den höhern Luxus darreichte, nicht als etwas ernstes, was für das thätige Leben und die Geschichte noch tiefere Folgen haben kaun und muß. Aus wirklichen Klassikern, d. h. den besten in ihrer Art, aus Taeitus oder Livius, läßt sich wohl auch noch etwas sür den Patriotismus lernen, wie wir an Machicivelli sehen, aber nicht, wenn sie höfisch verzerrt sind und in dieser Ver¬ zerrung weiter verarbeitet werden. Schließlich haben die Italiener noch mit Schmerz erfahren müssen und es selbst offen eingestanden, daß sie, die einstigen Lehrer und Meister Enropas, nicht einmal in dem bloß wissenschaftlichen Be¬ triebe der klassischen Philologie, abgesehen von lateinischen Inschriften, auf der Höhe geblieben sind. Der Luxus der großen und kleinen Höfe und der Glanz des päpstlichen Roms ernährte Dichter und Schriftsteller — ich habe sie nicht nötig, aber sie mich, sagte freundlich und witzig zugleich der Kardinal Jppolito Medici —, aber hat darum diese Protektion die wahre Poesie hervorgerufen oder sie auch nnr gefördert? Nicht einmal die Italiener glauben oder glaubten das. Wo das Volk im bessern Sinne ausgeschlossen ist und der Herr eines Hofes noch etwas mehr will, als den Dichtern bloß äußerlich zu leben geben, da wird man vergebens nach einer Nationallitteratur suchen. Ja noch mehr. Hätten sich diese zahlreichen hohen Gönner, an deren Höfen die Gaben unsrer heutigen europäischen Kultur gewonnen und zuerst gesammelt worden sind, weniger um Kunst und Litteratur gekümmert, so wären sie vielleicht bessere Soldaten und bessere Regenten gewesen, und sie hätten dann Italien jedenfalls mehr genützt. Wenigstens war das, wie wir sehen, Machiavellis Meinung. Andre wiesen, was die Litteratur betrifft, auf Florenz hin, wo im fünfzehnten Jahr¬ hundert noch kein eigentlicher Hof bestand und das Bürgertum trotz aller Vornehmheit des Lebens mehr hervortrat. Dort wußte der prächtige Lorenzo Medici in seinen Liedern einen volkstümlichen und doch ernsten Ton anzu¬ schlagen, und statt der Virgilschen Schäferpoesie gab er das erste Beispiel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/614>, abgerufen am 12.05.2024.