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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

daß dich deine Heiterkeit viel besser kleidet, als deine Amtsmiene von gestern
und heute morgen?

So? sagte Heinrich. Und weißt dn auch, daß ich dich jetzt ganz allein
leben lassen werde, nur für dich und mich, weil du eine so° famose kleine
Kousine bist, und wenn du nicht gleich mit mir anstoßt, stehe ich auf und
halte eine Rede auf deine Talente.

Um Gottes willen nicht, Heinrich! Lieber will ich mit dir allein anstoßen.
Also auf dein Wohl!

Nein, auf tems. Du kannst mich ja nachher anch leben lassen.

(Schlich folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Verlegenheiten.

Es sei für das Gemeinwohl gleichgiltig, wie die Figuren
auf dem innerpolitischen Schachbrett stehen, meinten wir vor vierzehn Tagen; aber
zuweilen schaut man dem Spiel doch gern ein wenig zu, weit es Augenblicke giebt,
wo die Partie interessant wird. Ein solcher ist jetzt eingetreten; die Mitspieler
zur Rechten sind in arge Verlegenheit geraten und wissen nicht recht, wie sie ziehen
sollen. Zwar wegen Hammersteins und Stöckers bleibts bei dem, was wir gesagt
haben: jener hat den Konservativen nichts geschadet, und dieser, indem er der
Partei Gelegenheit giebt, ihre Festigkeit zu erproben, sogar genützt; die paar Er¬
klärungen gegen Stöcker von Professor Brecher, dem Freiherrn von Plettenberg
u. f. w. verschwinden in dem hunderttausendstimmigen Zustimmungschor. Die konser¬
vative Partei steht, soweit sie Agrarierpartei ist, fest geschlossen da, und die
Zentrumspartei fährt fort, sich ihr als Bundesgenossin anzubieten. Die Zentrums¬
blätter überbieten sich in Liebenswürdigkeit und Dienstbcflissenheit; sie sind nicht
allein in den Affären Hammerstein und Stöcker den Konservativen gegen die bösen
Liberalen zu Hilfe geeilt, sie finden jetzt anch in schroffem Widerspruch zu ihrer
früher" Haltung den Bund der Landwirte und den Antrag Kanitz gar nicht mehr
so übel, ° und sie hauen ans die Sozialdemokraten los, als hätten sie niemals
"Schulter an Schulter" mit ihnen gegen Bismarck und die rheinisch-westfälischen
Eisenbarvne gekämpft.

Aber zwei Strömungen im eignen Lager, die mit Skandalgeschichten und
Tageskintsch nichts zu thun haben, die aus tiefen und vollen Quellen hervor¬
brechen, bringen die Herren in Verlegenheit: die antisemitische und die christlich¬
soziale. Zuerst in Sachsen haben sich die Konservativen gezwungen gesehen, den
Deutschsozialen das Kartell zu kündigen und ihnen geradeheraus zu sagen, daß
der Antisemitismus nichts andres sei, als die Sozialdemokratie der -- unklaren
Köpfe, und mit Entsetzen bemerken die preußischen Konservativen, wie Naumann
und Göhre Schule gemacht haben. Die Zahl der Pastoren, die dem Flügel der
Jungen in der christlich-sozialen Partei angehören, scheint nicht unbedeutend zu sein,
und die mittelparteilicheu Blätter fordern stürmisch, daß Männer wie Naumann,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

daß dich deine Heiterkeit viel besser kleidet, als deine Amtsmiene von gestern
und heute morgen?

So? sagte Heinrich. Und weißt dn auch, daß ich dich jetzt ganz allein
leben lassen werde, nur für dich und mich, weil du eine so° famose kleine
Kousine bist, und wenn du nicht gleich mit mir anstoßt, stehe ich auf und
halte eine Rede auf deine Talente.

Um Gottes willen nicht, Heinrich! Lieber will ich mit dir allein anstoßen.
Also auf dein Wohl!

Nein, auf tems. Du kannst mich ja nachher anch leben lassen.

(Schlich folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Verlegenheiten.

Es sei für das Gemeinwohl gleichgiltig, wie die Figuren
auf dem innerpolitischen Schachbrett stehen, meinten wir vor vierzehn Tagen; aber
zuweilen schaut man dem Spiel doch gern ein wenig zu, weit es Augenblicke giebt,
wo die Partie interessant wird. Ein solcher ist jetzt eingetreten; die Mitspieler
zur Rechten sind in arge Verlegenheit geraten und wissen nicht recht, wie sie ziehen
sollen. Zwar wegen Hammersteins und Stöckers bleibts bei dem, was wir gesagt
haben: jener hat den Konservativen nichts geschadet, und dieser, indem er der
Partei Gelegenheit giebt, ihre Festigkeit zu erproben, sogar genützt; die paar Er¬
klärungen gegen Stöcker von Professor Brecher, dem Freiherrn von Plettenberg
u. f. w. verschwinden in dem hunderttausendstimmigen Zustimmungschor. Die konser¬
vative Partei steht, soweit sie Agrarierpartei ist, fest geschlossen da, und die
Zentrumspartei fährt fort, sich ihr als Bundesgenossin anzubieten. Die Zentrums¬
blätter überbieten sich in Liebenswürdigkeit und Dienstbcflissenheit; sie sind nicht
allein in den Affären Hammerstein und Stöcker den Konservativen gegen die bösen
Liberalen zu Hilfe geeilt, sie finden jetzt anch in schroffem Widerspruch zu ihrer
früher» Haltung den Bund der Landwirte und den Antrag Kanitz gar nicht mehr
so übel, ° und sie hauen ans die Sozialdemokraten los, als hätten sie niemals
„Schulter an Schulter" mit ihnen gegen Bismarck und die rheinisch-westfälischen
Eisenbarvne gekämpft.

Aber zwei Strömungen im eignen Lager, die mit Skandalgeschichten und
Tageskintsch nichts zu thun haben, die aus tiefen und vollen Quellen hervor¬
brechen, bringen die Herren in Verlegenheit: die antisemitische und die christlich¬
soziale. Zuerst in Sachsen haben sich die Konservativen gezwungen gesehen, den
Deutschsozialen das Kartell zu kündigen und ihnen geradeheraus zu sagen, daß
der Antisemitismus nichts andres sei, als die Sozialdemokratie der — unklaren
Köpfe, und mit Entsetzen bemerken die preußischen Konservativen, wie Naumann
und Göhre Schule gemacht haben. Die Zahl der Pastoren, die dem Flügel der
Jungen in der christlich-sozialen Partei angehören, scheint nicht unbedeutend zu sein,
und die mittelparteilicheu Blätter fordern stürmisch, daß Männer wie Naumann,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/101>, abgerufen am 22.05.2024.