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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik
". Rußland gegen England am l)indukufch und in Afghanistan
3

er auf einer Kurle von Vorderasien die Entwicklung dieses merk¬
würdigste" und spannendsten Problems der asiatischen Politik
verfolgt, den erinnert es an das Zusammenziehen der Heere vor
einer Entscheidungsschlacht. Langsam und mit vielen Unter¬
brechungen sind sie herangerückt, endlich stehen sie auf einem
engen Felde, das von der einen Seite gesucht und der andern aufgedrungen
worden ist. Sie stehen einander so nahe gegenüber, daß ein Ausweichen gar
nicht mehr denkbar ist. Dieses Feld ist Afghanistan, wohin Rußland den
Kampfplatz verlegt hat, der früher in Persien gesucht wurde. Je mehr die
britisch-russischen Gegensätze im Gebiet des Hindukusch Gestalt gewonnen haben,
umso mehr trat Persien zur Seite und Afghanistan als Durchgangsland für
Frieden und Krieg in den Vordergrund. Der Konflikt wanderte ostwärts, dem
Herzen Indiens zu. England mußte seinem Gegner ans dieses nähere und
gefährlichere Gebiet folgen, wenn auch widerwillig, und arbeitet nun mit aller
Macht darauf hin, Afghanistan uuter seinen Einfluß zu bringen, ohne es doch
militärisch besetzen zu müssen. Was man als thatsächlich nnter die Herrschaft
des in Kabul residirenden Emirs fallend ansehen kann, ist nicht größer als
Deutschland und hat etwa vier Millionen Einwohner. Das ist ein für asia¬
tische Verhältnisse enges Gebiet. Aber immer noch streben beide Mächte dahin,
es weiter zu verengern und von allen Seiten zu umfassen. Endlich müssen sie
notwendig aufeinandertreffen. Die Aufrichtung "einer starken, freundlichen und
unabhängigen Macht in Afghanistan als einer dauernden Schranke gegen Angriffe
auf unsre Nordwestgrenze" war das Ziel der englischen Politik seit den Nieder¬
lagen seiner ersten übereilten Kriegszüge. Sie fand aber von Anfang um Schwierig-


Grenzboten IV 18SS 2Y


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik
». Rußland gegen England am l)indukufch und in Afghanistan
3

er auf einer Kurle von Vorderasien die Entwicklung dieses merk¬
würdigste» und spannendsten Problems der asiatischen Politik
verfolgt, den erinnert es an das Zusammenziehen der Heere vor
einer Entscheidungsschlacht. Langsam und mit vielen Unter¬
brechungen sind sie herangerückt, endlich stehen sie auf einem
engen Felde, das von der einen Seite gesucht und der andern aufgedrungen
worden ist. Sie stehen einander so nahe gegenüber, daß ein Ausweichen gar
nicht mehr denkbar ist. Dieses Feld ist Afghanistan, wohin Rußland den
Kampfplatz verlegt hat, der früher in Persien gesucht wurde. Je mehr die
britisch-russischen Gegensätze im Gebiet des Hindukusch Gestalt gewonnen haben,
umso mehr trat Persien zur Seite und Afghanistan als Durchgangsland für
Frieden und Krieg in den Vordergrund. Der Konflikt wanderte ostwärts, dem
Herzen Indiens zu. England mußte seinem Gegner ans dieses nähere und
gefährlichere Gebiet folgen, wenn auch widerwillig, und arbeitet nun mit aller
Macht darauf hin, Afghanistan uuter seinen Einfluß zu bringen, ohne es doch
militärisch besetzen zu müssen. Was man als thatsächlich nnter die Herrschaft
des in Kabul residirenden Emirs fallend ansehen kann, ist nicht größer als
Deutschland und hat etwa vier Millionen Einwohner. Das ist ein für asia¬
tische Verhältnisse enges Gebiet. Aber immer noch streben beide Mächte dahin,
es weiter zu verengern und von allen Seiten zu umfassen. Endlich müssen sie
notwendig aufeinandertreffen. Die Aufrichtung „einer starken, freundlichen und
unabhängigen Macht in Afghanistan als einer dauernden Schranke gegen Angriffe
auf unsre Nordwestgrenze" war das Ziel der englischen Politik seit den Nieder¬
lagen seiner ersten übereilten Kriegszüge. Sie fand aber von Anfang um Schwierig-


Grenzboten IV 18SS 2Y
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[0161] [Abbildung] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik ». Rußland gegen England am l)indukufch und in Afghanistan 3 er auf einer Kurle von Vorderasien die Entwicklung dieses merk¬ würdigste» und spannendsten Problems der asiatischen Politik verfolgt, den erinnert es an das Zusammenziehen der Heere vor einer Entscheidungsschlacht. Langsam und mit vielen Unter¬ brechungen sind sie herangerückt, endlich stehen sie auf einem engen Felde, das von der einen Seite gesucht und der andern aufgedrungen worden ist. Sie stehen einander so nahe gegenüber, daß ein Ausweichen gar nicht mehr denkbar ist. Dieses Feld ist Afghanistan, wohin Rußland den Kampfplatz verlegt hat, der früher in Persien gesucht wurde. Je mehr die britisch-russischen Gegensätze im Gebiet des Hindukusch Gestalt gewonnen haben, umso mehr trat Persien zur Seite und Afghanistan als Durchgangsland für Frieden und Krieg in den Vordergrund. Der Konflikt wanderte ostwärts, dem Herzen Indiens zu. England mußte seinem Gegner ans dieses nähere und gefährlichere Gebiet folgen, wenn auch widerwillig, und arbeitet nun mit aller Macht darauf hin, Afghanistan uuter seinen Einfluß zu bringen, ohne es doch militärisch besetzen zu müssen. Was man als thatsächlich nnter die Herrschaft des in Kabul residirenden Emirs fallend ansehen kann, ist nicht größer als Deutschland und hat etwa vier Millionen Einwohner. Das ist ein für asia¬ tische Verhältnisse enges Gebiet. Aber immer noch streben beide Mächte dahin, es weiter zu verengern und von allen Seiten zu umfassen. Endlich müssen sie notwendig aufeinandertreffen. Die Aufrichtung „einer starken, freundlichen und unabhängigen Macht in Afghanistan als einer dauernden Schranke gegen Angriffe auf unsre Nordwestgrenze" war das Ziel der englischen Politik seit den Nieder¬ lagen seiner ersten übereilten Kriegszüge. Sie fand aber von Anfang um Schwierig- Grenzboten IV 18SS 2Y

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/161>, abgerufen am 22.05.2024.