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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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beiden sind häusig die Begriffe zu allgemein und unbestimmt gefaßt, sodaß sie
für den Gebrauch unhandlich geworden sind. Dies gilt z. B. von dem Begriff
der Sache im österreichischen Gesetzbuch. Dieser ist so allgemein, daß geradezu
alles und jedes darunter fällt. Es ist das um so mehr ein gesetzgeberischer
Fehler, als sich auf dem Begriff der Sache wieder der Begriff des Besitzes
aufbaut (vgl. Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit zur Gesetzgebung, S. 100).

El" andrer Fehler, zu dem leicht das an sich löbliche Streben nach Kürze
verleitet, ist das Übermaß von Verweisungen aus andre Bestimmungen des
Gesetzbuchs. Es wird hierdurch nicht nur im höchsten Grade unhandlich und
schwer verständlich, sondern oft auch unklar im Ausdruck seines Willens.
Namentlich einige neuere Landesgesetze zeigen diesen Mangel in hohem Grade.

Eine weitere Gefahr des Strebens, die Grundbegriffe herauszuheben und
den Stoff zu systematisiren, besteht darin, in Lehrbuchmäßigkeit zu verfalle"
und blasse Definitionen zu gebe". Ein Gesetzbuch soll aber anordnen, uicht
definiren. Das Definiren hat es der Wissenschaft zu überlassen. Auch für
diesen Fehler bietet uns die Geschichte ein abschreckendes Beispiel in dem von
Coceejus entworfnen Lorxus I'riäöi'iemnunl vom Jahre 1751. Dieses im
echten Kanzleistil geschriebn" Gesetz geht sogar soweit, Besonderheiten aus der
römischen Rechtsgeschichte, wie den geschichtlichen Ursprung der Lueovssio g,d
intsststo ssvoacloMmn, ,des ^us aoorosvvnäi u.a.in. zu erwähnen. Einmal
zitirt sich sogar der Verfasser des Gesetzes, aus der Rolle fallend, selbst: "Wir
haben an einem andern Orte gezeigt, daß" usw., und nun folgt ein Zitat ans
Coceejus Ravum 8MeM!>.!

Ein Gesetzbuch soll also gleich weit entfernt sein von Kasuistik wie lehr¬
buchmäßiger Darstellung allgemeiner Grundbegriffe; hier den richtigen Weg
einzuhalten, zeigt die Kunst des Gesetzgebers. Jedenfalls wird es gut sei",
wenn er neben dem Streben, jede Bestimmung möglichst auf leitende Grund¬
sätze zurückzuführen und diese scharf hervorzuheben, sich zugleich der Durch¬
führung der angenommnen Grundsätze nach einzelnen Richtungen so weit unter¬
zieht, als es nicht nur das Bedürfnis des Richters, sondern auch des gebil¬
deten Volles erheischt, insbesondre dann, wenn über mögliche Folgerungen
Zweifel entstehen können. Hierbei bringen Anführungen von charakteristischen
Beispielen die Vorschriften dem Verständnis näher.


6. Die Sprache der Gesetzgebung

Selbst wenn man mit Georgii und einer großen Anzahl von Juristen
der Meinung sein wollte, daß ein bürgerliches Gesetzbuch für jeden Nicht¬
gelehrten stets "ein unauflösliches Rätsel" bleiben werde, wäre es doch wohl
nicht zu viel verlangt, wenn man forderte, daß das Gesetzbuch in gutem Deutsch
abgefaßt sei. Auch die Rechtsgelehrten, an die sich angeblich das Gesetzbuch
allein wenden soll, pflegen heutzutage einen gewisse" Wert auf gute Ausdrucks-


beiden sind häusig die Begriffe zu allgemein und unbestimmt gefaßt, sodaß sie
für den Gebrauch unhandlich geworden sind. Dies gilt z. B. von dem Begriff
der Sache im österreichischen Gesetzbuch. Dieser ist so allgemein, daß geradezu
alles und jedes darunter fällt. Es ist das um so mehr ein gesetzgeberischer
Fehler, als sich auf dem Begriff der Sache wieder der Begriff des Besitzes
aufbaut (vgl. Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit zur Gesetzgebung, S. 100).

El» andrer Fehler, zu dem leicht das an sich löbliche Streben nach Kürze
verleitet, ist das Übermaß von Verweisungen aus andre Bestimmungen des
Gesetzbuchs. Es wird hierdurch nicht nur im höchsten Grade unhandlich und
schwer verständlich, sondern oft auch unklar im Ausdruck seines Willens.
Namentlich einige neuere Landesgesetze zeigen diesen Mangel in hohem Grade.

Eine weitere Gefahr des Strebens, die Grundbegriffe herauszuheben und
den Stoff zu systematisiren, besteht darin, in Lehrbuchmäßigkeit zu verfalle»
und blasse Definitionen zu gebe». Ein Gesetzbuch soll aber anordnen, uicht
definiren. Das Definiren hat es der Wissenschaft zu überlassen. Auch für
diesen Fehler bietet uns die Geschichte ein abschreckendes Beispiel in dem von
Coceejus entworfnen Lorxus I'riäöi'iemnunl vom Jahre 1751. Dieses im
echten Kanzleistil geschriebn« Gesetz geht sogar soweit, Besonderheiten aus der
römischen Rechtsgeschichte, wie den geschichtlichen Ursprung der Lueovssio g,d
intsststo ssvoacloMmn, ,des ^us aoorosvvnäi u.a.in. zu erwähnen. Einmal
zitirt sich sogar der Verfasser des Gesetzes, aus der Rolle fallend, selbst: „Wir
haben an einem andern Orte gezeigt, daß" usw., und nun folgt ein Zitat ans
Coceejus Ravum 8MeM!>.!

Ein Gesetzbuch soll also gleich weit entfernt sein von Kasuistik wie lehr¬
buchmäßiger Darstellung allgemeiner Grundbegriffe; hier den richtigen Weg
einzuhalten, zeigt die Kunst des Gesetzgebers. Jedenfalls wird es gut sei»,
wenn er neben dem Streben, jede Bestimmung möglichst auf leitende Grund¬
sätze zurückzuführen und diese scharf hervorzuheben, sich zugleich der Durch¬
führung der angenommnen Grundsätze nach einzelnen Richtungen so weit unter¬
zieht, als es nicht nur das Bedürfnis des Richters, sondern auch des gebil¬
deten Volles erheischt, insbesondre dann, wenn über mögliche Folgerungen
Zweifel entstehen können. Hierbei bringen Anführungen von charakteristischen
Beispielen die Vorschriften dem Verständnis näher.


6. Die Sprache der Gesetzgebung

Selbst wenn man mit Georgii und einer großen Anzahl von Juristen
der Meinung sein wollte, daß ein bürgerliches Gesetzbuch für jeden Nicht¬
gelehrten stets „ein unauflösliches Rätsel" bleiben werde, wäre es doch wohl
nicht zu viel verlangt, wenn man forderte, daß das Gesetzbuch in gutem Deutsch
abgefaßt sei. Auch die Rechtsgelehrten, an die sich angeblich das Gesetzbuch
allein wenden soll, pflegen heutzutage einen gewisse« Wert auf gute Ausdrucks-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/278>, abgerufen am 22.05.2024.