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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Börsenkrisis
2. Die Krisis in Österreich

in Bank- und Finanzleutc strebten in Österreich-Ungarn schon
lange darnach, das Beispiel, das Deutschland durch Einführung
der Goldwährung gegeben hatte, nachgeahmt zu sehen. Sie be¬
herrschen den größten Teil der Presse und haben auch sonst noch
viel Einfluß. Ein langer Friede und der Fleiß der Bevölkerung
hob den Landeskredit, die Papierguldennoten stiegen und erreichten 1879 den
vollen Silberguldenwert. Da erklärte das Münzamt, daß es, aus Mangel
an genügenden Prägestöcken, vorläufig die gesetzliche freie Silberprägnng für
Private einstelle. Sie wurde nie wieder gestattet. Die Sache ist nur einmal
kurz darauf in einer Kommission erwähnt worden. Depretis, Dunajewski und
Steinbach folgten einander bis 1892 als Finanzminister. Keiner von ihnen,
auch der Budgetreferent nicht, sprach je von der unerhörten Thatsache, daß
ohne ein Gesetz das ganze österreichische Münzwesen auf den Kopf gestellt war.
Allmählich beschränkten auch die Regierungen von Österreich und Ungarn die
Silbcrausprägung für eigne Rechnung, daher wuchs die Goldmenge nicht so
schnell wie der Bedarf darnach, die Papiergulden erhielten dadurch einen
Seltenheitswert und galten mehr als den Metallwert des Silberguldens. Die
Anweisung auf Kilo Silber war mehr wert als Vg" Kilo Silber! Nun
war der Augenblick gekommen, zur Goldwährung überzugehen. Steinbach, der
letzte Finanzminister Taaffes, einigte sich mit den Ungarn und brachte 1892
eine erste Gesetzvorlage dnrch, im Frühjahr 1894 Pierer das zweite Gold¬
währungsgesetz.

Als England 1818 die Goldwährung gesetzlich einführte, hatte sie that¬
sächlich schon über hundert Jahre bestanden, und alle großen Zahlungen wurden
nur in Gold gemacht, und als Deutschland 1873 dazu überging, schwamm es
in französischem Golde. Österreich hatte keins und mußte das erforderliche
leihen. Das aber kostet Provisionen und Zinsen. Steinbach hatte den genialen
Gedanken, das dazu nötige Geld durch Konvertirnng, durch Herabsetzung des
Zinfußes der österreichischen Staatspapiere, zu ersparen. Das war ver¬
teufelt einfach, und durchgeführt ist es ja, wenn es nur nicht eine so Schauder-




Die Börsenkrisis
2. Die Krisis in Österreich

in Bank- und Finanzleutc strebten in Österreich-Ungarn schon
lange darnach, das Beispiel, das Deutschland durch Einführung
der Goldwährung gegeben hatte, nachgeahmt zu sehen. Sie be¬
herrschen den größten Teil der Presse und haben auch sonst noch
viel Einfluß. Ein langer Friede und der Fleiß der Bevölkerung
hob den Landeskredit, die Papierguldennoten stiegen und erreichten 1879 den
vollen Silberguldenwert. Da erklärte das Münzamt, daß es, aus Mangel
an genügenden Prägestöcken, vorläufig die gesetzliche freie Silberprägnng für
Private einstelle. Sie wurde nie wieder gestattet. Die Sache ist nur einmal
kurz darauf in einer Kommission erwähnt worden. Depretis, Dunajewski und
Steinbach folgten einander bis 1892 als Finanzminister. Keiner von ihnen,
auch der Budgetreferent nicht, sprach je von der unerhörten Thatsache, daß
ohne ein Gesetz das ganze österreichische Münzwesen auf den Kopf gestellt war.
Allmählich beschränkten auch die Regierungen von Österreich und Ungarn die
Silbcrausprägung für eigne Rechnung, daher wuchs die Goldmenge nicht so
schnell wie der Bedarf darnach, die Papiergulden erhielten dadurch einen
Seltenheitswert und galten mehr als den Metallwert des Silberguldens. Die
Anweisung auf Kilo Silber war mehr wert als Vg« Kilo Silber! Nun
war der Augenblick gekommen, zur Goldwährung überzugehen. Steinbach, der
letzte Finanzminister Taaffes, einigte sich mit den Ungarn und brachte 1892
eine erste Gesetzvorlage dnrch, im Frühjahr 1894 Pierer das zweite Gold¬
währungsgesetz.

Als England 1818 die Goldwährung gesetzlich einführte, hatte sie that¬
sächlich schon über hundert Jahre bestanden, und alle großen Zahlungen wurden
nur in Gold gemacht, und als Deutschland 1873 dazu überging, schwamm es
in französischem Golde. Österreich hatte keins und mußte das erforderliche
leihen. Das aber kostet Provisionen und Zinsen. Steinbach hatte den genialen
Gedanken, das dazu nötige Geld durch Konvertirnng, durch Herabsetzung des
Zinfußes der österreichischen Staatspapiere, zu ersparen. Das war ver¬
teufelt einfach, und durchgeführt ist es ja, wenn es nur nicht eine so Schauder-


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[0474] [Abbildung] Die Börsenkrisis 2. Die Krisis in Österreich in Bank- und Finanzleutc strebten in Österreich-Ungarn schon lange darnach, das Beispiel, das Deutschland durch Einführung der Goldwährung gegeben hatte, nachgeahmt zu sehen. Sie be¬ herrschen den größten Teil der Presse und haben auch sonst noch viel Einfluß. Ein langer Friede und der Fleiß der Bevölkerung hob den Landeskredit, die Papierguldennoten stiegen und erreichten 1879 den vollen Silberguldenwert. Da erklärte das Münzamt, daß es, aus Mangel an genügenden Prägestöcken, vorläufig die gesetzliche freie Silberprägnng für Private einstelle. Sie wurde nie wieder gestattet. Die Sache ist nur einmal kurz darauf in einer Kommission erwähnt worden. Depretis, Dunajewski und Steinbach folgten einander bis 1892 als Finanzminister. Keiner von ihnen, auch der Budgetreferent nicht, sprach je von der unerhörten Thatsache, daß ohne ein Gesetz das ganze österreichische Münzwesen auf den Kopf gestellt war. Allmählich beschränkten auch die Regierungen von Österreich und Ungarn die Silbcrausprägung für eigne Rechnung, daher wuchs die Goldmenge nicht so schnell wie der Bedarf darnach, die Papiergulden erhielten dadurch einen Seltenheitswert und galten mehr als den Metallwert des Silberguldens. Die Anweisung auf Kilo Silber war mehr wert als Vg« Kilo Silber! Nun war der Augenblick gekommen, zur Goldwährung überzugehen. Steinbach, der letzte Finanzminister Taaffes, einigte sich mit den Ungarn und brachte 1892 eine erste Gesetzvorlage dnrch, im Frühjahr 1894 Pierer das zweite Gold¬ währungsgesetz. Als England 1818 die Goldwährung gesetzlich einführte, hatte sie that¬ sächlich schon über hundert Jahre bestanden, und alle großen Zahlungen wurden nur in Gold gemacht, und als Deutschland 1873 dazu überging, schwamm es in französischem Golde. Österreich hatte keins und mußte das erforderliche leihen. Das aber kostet Provisionen und Zinsen. Steinbach hatte den genialen Gedanken, das dazu nötige Geld durch Konvertirnng, durch Herabsetzung des Zinfußes der österreichischen Staatspapiere, zu ersparen. Das war ver¬ teufelt einfach, und durchgeführt ist es ja, wenn es nur nicht eine so Schauder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/474>, abgerufen am 22.05.2024.