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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Gestaltung unsers jDarteiwesens

le große, reich belegte Schüssel, aus der ich täglich meine Neuig¬
keiten aller Art nehme, führt unter ihrer Firma uoch die nähere
Bezeichnung: "Unparteiische Zeitung," was offenbar eine Em¬
pfehlung sein soll. Und in der That, etwas Verlockendes hat
es ja für einen ruheliebenden Menschen, sich jene Speisen einmal
etwas weniger scharf gewürzt vorsetzen zu lassen. Vorher hat man vielleicht
ein Blatt seiner eignen Richtung gelesen und sich mit dessen Hilfe Tag für
Tag über die bodenlose Abscheulichkeit der Gegner geärgert, oder man hat aus
irgend einer Veranlassung ein Blatt einer andern Partei gehalten, und da hat
es einem gewiß kein Vergnügen gemacht, die eignen Ansichten fortwährend mit
Tadel überschüttet zu sehen. Das eine wie das andre hält jemand, der we-
"igstens nach dem Mittagessen gern Ruhe und Frieden haben mochte, auf die
Dauer nicht aus, zumal wenn er älter wird. Das war denn auch mein Grund,
weshalb ich mir vor einer Reihe von Jahren einmal aus einer andern Gar¬
küche die politischen Speisen "unparteiisch" bestellte. Das erste mal hatte ich
dabei kein Glück, denn da wurde mir mein eigner Stand und seine Einrich¬
tungen, an denen ich hänge, in einer Weise schlecht gemacht, daß ich schlie߬
lich doch dachte, ich brauchte mich für mein eignes Geld nicht so schwarz malen
zu lassen, daß sich die Kinder vor mir fürchteten und die Erwachsenen mir aus
dem Wege gingen. So bestellte ich denn das Ding wieder ab und ging zu
Nummer zwei über. Die nahm es mit der Unparteilichkeit gewiß ernst, denn
sie brachte in kurzen Zwischenrüumen die feinsten Nachweise darüber, daß das
Volk des politischen Parteiwesens überdrüssig sei, und daß an die Stelle dieser
offenbar zerfallenden Einrichtung wirtschaftliche Parteien treten müßten, sie
kam auch darüber in Streit mit andern Volksbelchrern, die ans der "zerfallen¬
den" Seite standen, und wurde um natürlich in ihrer Theorie erst recht fest.


Grenzbote" IV 1895 8


Zur Gestaltung unsers jDarteiwesens

le große, reich belegte Schüssel, aus der ich täglich meine Neuig¬
keiten aller Art nehme, führt unter ihrer Firma uoch die nähere
Bezeichnung: „Unparteiische Zeitung," was offenbar eine Em¬
pfehlung sein soll. Und in der That, etwas Verlockendes hat
es ja für einen ruheliebenden Menschen, sich jene Speisen einmal
etwas weniger scharf gewürzt vorsetzen zu lassen. Vorher hat man vielleicht
ein Blatt seiner eignen Richtung gelesen und sich mit dessen Hilfe Tag für
Tag über die bodenlose Abscheulichkeit der Gegner geärgert, oder man hat aus
irgend einer Veranlassung ein Blatt einer andern Partei gehalten, und da hat
es einem gewiß kein Vergnügen gemacht, die eignen Ansichten fortwährend mit
Tadel überschüttet zu sehen. Das eine wie das andre hält jemand, der we-
»igstens nach dem Mittagessen gern Ruhe und Frieden haben mochte, auf die
Dauer nicht aus, zumal wenn er älter wird. Das war denn auch mein Grund,
weshalb ich mir vor einer Reihe von Jahren einmal aus einer andern Gar¬
küche die politischen Speisen „unparteiisch" bestellte. Das erste mal hatte ich
dabei kein Glück, denn da wurde mir mein eigner Stand und seine Einrich¬
tungen, an denen ich hänge, in einer Weise schlecht gemacht, daß ich schlie߬
lich doch dachte, ich brauchte mich für mein eignes Geld nicht so schwarz malen
zu lassen, daß sich die Kinder vor mir fürchteten und die Erwachsenen mir aus
dem Wege gingen. So bestellte ich denn das Ding wieder ab und ging zu
Nummer zwei über. Die nahm es mit der Unparteilichkeit gewiß ernst, denn
sie brachte in kurzen Zwischenrüumen die feinsten Nachweise darüber, daß das
Volk des politischen Parteiwesens überdrüssig sei, und daß an die Stelle dieser
offenbar zerfallenden Einrichtung wirtschaftliche Parteien treten müßten, sie
kam auch darüber in Streit mit andern Volksbelchrern, die ans der „zerfallen¬
den" Seite standen, und wurde um natürlich in ihrer Theorie erst recht fest.


Grenzbote» IV 1895 8
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[0065] [Abbildung] Zur Gestaltung unsers jDarteiwesens le große, reich belegte Schüssel, aus der ich täglich meine Neuig¬ keiten aller Art nehme, führt unter ihrer Firma uoch die nähere Bezeichnung: „Unparteiische Zeitung," was offenbar eine Em¬ pfehlung sein soll. Und in der That, etwas Verlockendes hat es ja für einen ruheliebenden Menschen, sich jene Speisen einmal etwas weniger scharf gewürzt vorsetzen zu lassen. Vorher hat man vielleicht ein Blatt seiner eignen Richtung gelesen und sich mit dessen Hilfe Tag für Tag über die bodenlose Abscheulichkeit der Gegner geärgert, oder man hat aus irgend einer Veranlassung ein Blatt einer andern Partei gehalten, und da hat es einem gewiß kein Vergnügen gemacht, die eignen Ansichten fortwährend mit Tadel überschüttet zu sehen. Das eine wie das andre hält jemand, der we- »igstens nach dem Mittagessen gern Ruhe und Frieden haben mochte, auf die Dauer nicht aus, zumal wenn er älter wird. Das war denn auch mein Grund, weshalb ich mir vor einer Reihe von Jahren einmal aus einer andern Gar¬ küche die politischen Speisen „unparteiisch" bestellte. Das erste mal hatte ich dabei kein Glück, denn da wurde mir mein eigner Stand und seine Einrich¬ tungen, an denen ich hänge, in einer Weise schlecht gemacht, daß ich schlie߬ lich doch dachte, ich brauchte mich für mein eignes Geld nicht so schwarz malen zu lassen, daß sich die Kinder vor mir fürchteten und die Erwachsenen mir aus dem Wege gingen. So bestellte ich denn das Ding wieder ab und ging zu Nummer zwei über. Die nahm es mit der Unparteilichkeit gewiß ernst, denn sie brachte in kurzen Zwischenrüumen die feinsten Nachweise darüber, daß das Volk des politischen Parteiwesens überdrüssig sei, und daß an die Stelle dieser offenbar zerfallenden Einrichtung wirtschaftliche Parteien treten müßten, sie kam auch darüber in Streit mit andern Volksbelchrern, die ans der „zerfallen¬ den" Seite standen, und wurde um natürlich in ihrer Theorie erst recht fest. Grenzbote» IV 1895 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/65>, abgerufen am 22.05.2024.