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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Der Dresdner Kongreß

er siebzehnte Kongreß der ^.LZoemrion art.i8t.iqus et liMraire
intörimtiong-is, der vom 21. bis zum 27. September in Dresden,
somit als der erste ans deutschem Boden, abgehalten worden ist
-- die frühern Kongresse traten in der Schweiz, in Belgien,
SL-""^ .M Italien, Spanien, je einer in London, Paris, Wien, Amsterdam
und Lissabon zusammen hat sich namentlich durch zweierlei als bedeutungsvoll
erwiesen: erstens dadurch, daß er das in dem schreibseligen Deutschland von
jeher bereits rege Interesse sür die Urheberrechtsfrage -- mau braucht nur
an Schriftsteller wie Wächter und .Kohler zu erinnern -- in ungewöhnlichem
Maße neu angefacht hat, zunächst freilich, wie die Tcilnehmerliste zeigt, mehr
bei den Verlegern als bei den Schriftstellern; sodann dadurch, daß er eine
vorwiegend aus Franzosen gebildete Gesellschaft, die freilich meist aus den
tüchtigsten und gediegensten Vertretern jener Nation bestand, mitten ins Herz
von Deutschland geführt und dadurch Fremden wie Einheimischen Gelegenheit
gegeben hat, sich gegenseitig kennen, achten und -- so nahe war man sich gegen
den Schluß des Kongresses getreten -- sogar lieben zu lernen.

An der großen Politik wird ja durch solch ein Ergebnis nichts geändert
werden, solange sich die Machthaber in Frankreich von den Einflüssen der
Masse nicht freimachen können und wollen; die aber, die hier gewesen sind,
werden eine weit richtigere und günstigere Anschauung von Deutschland und
den Deutschen, als sie bisher gehabt haben, in ihre Heimat zurückbringen,
wenn sie auch zunächst wohl nicht werden wagen dürfen, das öffentlich aus¬
zusprechen. Wir wiederum haben diese Rechtsgelehrten -- denn das sind die
avoe,ni,8 im Gegensatz zu den etwa unsern Rechtsanwälten gleichzustellenden
-- als Männer kennen gelernt, die auf der Höhe der Bildung der
Zeit stehend, mit der vollkommnen Beherrschung der gesellschaftlichen Umgangs¬
formen eine Schlichtheit, Herzlichkeit und Natürlichkeit verbinden, die aufs an¬
genehmste berührt und weit abweicht von dem, was wir uns unter französischem
Wesen vorzustellen pflegen.

Der Feste gab es viel während dieser Woche; zu viel wäre es gewesen, wenn
nicht der Himmel durch seinen fortdauernd ungetrübten Glanz sein volles Einver¬
ständnis bekundet, wenn nicht die lebenslustige Bevölkerung des Meißnerlandes




Der Dresdner Kongreß

er siebzehnte Kongreß der ^.LZoemrion art.i8t.iqus et liMraire
intörimtiong-is, der vom 21. bis zum 27. September in Dresden,
somit als der erste ans deutschem Boden, abgehalten worden ist
— die frühern Kongresse traten in der Schweiz, in Belgien,
SL-«»^ .M Italien, Spanien, je einer in London, Paris, Wien, Amsterdam
und Lissabon zusammen hat sich namentlich durch zweierlei als bedeutungsvoll
erwiesen: erstens dadurch, daß er das in dem schreibseligen Deutschland von
jeher bereits rege Interesse sür die Urheberrechtsfrage — mau braucht nur
an Schriftsteller wie Wächter und .Kohler zu erinnern — in ungewöhnlichem
Maße neu angefacht hat, zunächst freilich, wie die Tcilnehmerliste zeigt, mehr
bei den Verlegern als bei den Schriftstellern; sodann dadurch, daß er eine
vorwiegend aus Franzosen gebildete Gesellschaft, die freilich meist aus den
tüchtigsten und gediegensten Vertretern jener Nation bestand, mitten ins Herz
von Deutschland geführt und dadurch Fremden wie Einheimischen Gelegenheit
gegeben hat, sich gegenseitig kennen, achten und — so nahe war man sich gegen
den Schluß des Kongresses getreten — sogar lieben zu lernen.

An der großen Politik wird ja durch solch ein Ergebnis nichts geändert
werden, solange sich die Machthaber in Frankreich von den Einflüssen der
Masse nicht freimachen können und wollen; die aber, die hier gewesen sind,
werden eine weit richtigere und günstigere Anschauung von Deutschland und
den Deutschen, als sie bisher gehabt haben, in ihre Heimat zurückbringen,
wenn sie auch zunächst wohl nicht werden wagen dürfen, das öffentlich aus¬
zusprechen. Wir wiederum haben diese Rechtsgelehrten — denn das sind die
avoe,ni,8 im Gegensatz zu den etwa unsern Rechtsanwälten gleichzustellenden
— als Männer kennen gelernt, die auf der Höhe der Bildung der
Zeit stehend, mit der vollkommnen Beherrschung der gesellschaftlichen Umgangs¬
formen eine Schlichtheit, Herzlichkeit und Natürlichkeit verbinden, die aufs an¬
genehmste berührt und weit abweicht von dem, was wir uns unter französischem
Wesen vorzustellen pflegen.

Der Feste gab es viel während dieser Woche; zu viel wäre es gewesen, wenn
nicht der Himmel durch seinen fortdauernd ungetrübten Glanz sein volles Einver¬
ständnis bekundet, wenn nicht die lebenslustige Bevölkerung des Meißnerlandes


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[0087] [Abbildung] Der Dresdner Kongreß er siebzehnte Kongreß der ^.LZoemrion art.i8t.iqus et liMraire intörimtiong-is, der vom 21. bis zum 27. September in Dresden, somit als der erste ans deutschem Boden, abgehalten worden ist — die frühern Kongresse traten in der Schweiz, in Belgien, SL-«»^ .M Italien, Spanien, je einer in London, Paris, Wien, Amsterdam und Lissabon zusammen hat sich namentlich durch zweierlei als bedeutungsvoll erwiesen: erstens dadurch, daß er das in dem schreibseligen Deutschland von jeher bereits rege Interesse sür die Urheberrechtsfrage — mau braucht nur an Schriftsteller wie Wächter und .Kohler zu erinnern — in ungewöhnlichem Maße neu angefacht hat, zunächst freilich, wie die Tcilnehmerliste zeigt, mehr bei den Verlegern als bei den Schriftstellern; sodann dadurch, daß er eine vorwiegend aus Franzosen gebildete Gesellschaft, die freilich meist aus den tüchtigsten und gediegensten Vertretern jener Nation bestand, mitten ins Herz von Deutschland geführt und dadurch Fremden wie Einheimischen Gelegenheit gegeben hat, sich gegenseitig kennen, achten und — so nahe war man sich gegen den Schluß des Kongresses getreten — sogar lieben zu lernen. An der großen Politik wird ja durch solch ein Ergebnis nichts geändert werden, solange sich die Machthaber in Frankreich von den Einflüssen der Masse nicht freimachen können und wollen; die aber, die hier gewesen sind, werden eine weit richtigere und günstigere Anschauung von Deutschland und den Deutschen, als sie bisher gehabt haben, in ihre Heimat zurückbringen, wenn sie auch zunächst wohl nicht werden wagen dürfen, das öffentlich aus¬ zusprechen. Wir wiederum haben diese Rechtsgelehrten — denn das sind die avoe,ni,8 im Gegensatz zu den etwa unsern Rechtsanwälten gleichzustellenden — als Männer kennen gelernt, die auf der Höhe der Bildung der Zeit stehend, mit der vollkommnen Beherrschung der gesellschaftlichen Umgangs¬ formen eine Schlichtheit, Herzlichkeit und Natürlichkeit verbinden, die aufs an¬ genehmste berührt und weit abweicht von dem, was wir uns unter französischem Wesen vorzustellen pflegen. Der Feste gab es viel während dieser Woche; zu viel wäre es gewesen, wenn nicht der Himmel durch seinen fortdauernd ungetrübten Glanz sein volles Einver¬ ständnis bekundet, wenn nicht die lebenslustige Bevölkerung des Meißnerlandes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/87>, abgerufen am 22.05.2024.