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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Zwischenhandel

kräfteu auf dem sozialen Gebiete der preußische Staat so vollständig brach
liegen läßt, dann kann man sich eines unwilligen Bedauerns zwar nicht er¬
wehren, aber andrerseits wird man dadurch doch auch in der tröstlichen Über¬
zeugung bestärkt, daß der Staat zur Überwindung der sozialen Gefahren noch
ganz gewaltige Hilfskräfte in Reserve hat, die eben nur rechtzeitig mobil ge¬
macht zu werden brauchen.

Man kann neuerdings in Preußen vielfach in tadelnden Sinne die Be¬
merkung hören, daß die 'Rücksicht auf den persönlichen Einblick und auf das
persönliche Eingreifen des Königs in die einzelnen Fragen immer ausschlag¬
gebender werde. Es liegt darin leider nur zu viel wahres. Wird die Not¬
wendigkeit von Reformen im Beamtentum dadurch nur um so mehr erwiesen,
so wird man andrerseits daraus den Schluß zu ziehen haben, daß zur Er¬
ziehung eines den Anforderungen der Zukunft gewachsenen, von der Mißwirt¬
schaft und den Klassengegensätzen unabhängigen Beamtentums, wie die Sachen
nun einmal liegen, der König von Preußen selbst das Beste thun muß. Dieser
Wahrheit können wir uns auch in der Assessorenfrage nicht verschließen.




Der Zwischenhandel
Anno Hegart von

meer dem Titel "Kaufmann oder Schmarotzer?" ist vor kurzem
eine Broschüre erschienen (Neubrandenburg, Otto Nahmmacher,
1896), die der Verfasser M. Uhlenhorst eine Anklageschrift gegen
den Handelsstand unsrer Zeit nennt. Er sieht das Charakte¬
ristische in dem Handel mit gebrauchsfertiger, sogenannter konfeltio-
nirter Ware in der ungeheuern Konkurrenz und der dadurch verursachten Arbeits-,
Zeit- und Geldverschwendung.

Wer aber die Abhilfe der vom Verfasser gerügten Mängel wünscht, wird
sich zuerst über die Ursachen der heutigen Zustände Klarheit verschaffen müssen,
und dazu wollen die folgenden Auseinandersetzungen beitragen.

Ich führe zunächst zwei Beispiele an, die Uhlenhorst giebt, und zwar im
wesentlichen mit seinen eignen Worten, weil ich dadurch der Schilderung der
bestehenden Zustände überhoben werde:

Die kleine Stadt Wohlburg hatte Anfang der achtziger Jahre 4000 Ein¬
wohner, also etwa 1000 Familien, die ihren Lebensunterhalt aus den ver¬
schiedensten Berufen zogen. Unter andern gab es zwei Kaufleute, die mit


Der Zwischenhandel

kräfteu auf dem sozialen Gebiete der preußische Staat so vollständig brach
liegen läßt, dann kann man sich eines unwilligen Bedauerns zwar nicht er¬
wehren, aber andrerseits wird man dadurch doch auch in der tröstlichen Über¬
zeugung bestärkt, daß der Staat zur Überwindung der sozialen Gefahren noch
ganz gewaltige Hilfskräfte in Reserve hat, die eben nur rechtzeitig mobil ge¬
macht zu werden brauchen.

Man kann neuerdings in Preußen vielfach in tadelnden Sinne die Be¬
merkung hören, daß die 'Rücksicht auf den persönlichen Einblick und auf das
persönliche Eingreifen des Königs in die einzelnen Fragen immer ausschlag¬
gebender werde. Es liegt darin leider nur zu viel wahres. Wird die Not¬
wendigkeit von Reformen im Beamtentum dadurch nur um so mehr erwiesen,
so wird man andrerseits daraus den Schluß zu ziehen haben, daß zur Er¬
ziehung eines den Anforderungen der Zukunft gewachsenen, von der Mißwirt¬
schaft und den Klassengegensätzen unabhängigen Beamtentums, wie die Sachen
nun einmal liegen, der König von Preußen selbst das Beste thun muß. Dieser
Wahrheit können wir uns auch in der Assessorenfrage nicht verschließen.




Der Zwischenhandel
Anno Hegart von

meer dem Titel „Kaufmann oder Schmarotzer?" ist vor kurzem
eine Broschüre erschienen (Neubrandenburg, Otto Nahmmacher,
1896), die der Verfasser M. Uhlenhorst eine Anklageschrift gegen
den Handelsstand unsrer Zeit nennt. Er sieht das Charakte¬
ristische in dem Handel mit gebrauchsfertiger, sogenannter konfeltio-
nirter Ware in der ungeheuern Konkurrenz und der dadurch verursachten Arbeits-,
Zeit- und Geldverschwendung.

Wer aber die Abhilfe der vom Verfasser gerügten Mängel wünscht, wird
sich zuerst über die Ursachen der heutigen Zustände Klarheit verschaffen müssen,
und dazu wollen die folgenden Auseinandersetzungen beitragen.

Ich führe zunächst zwei Beispiele an, die Uhlenhorst giebt, und zwar im
wesentlichen mit seinen eignen Worten, weil ich dadurch der Schilderung der
bestehenden Zustände überhoben werde:

Die kleine Stadt Wohlburg hatte Anfang der achtziger Jahre 4000 Ein¬
wohner, also etwa 1000 Familien, die ihren Lebensunterhalt aus den ver¬
schiedensten Berufen zogen. Unter andern gab es zwei Kaufleute, die mit


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[0014] Der Zwischenhandel kräfteu auf dem sozialen Gebiete der preußische Staat so vollständig brach liegen läßt, dann kann man sich eines unwilligen Bedauerns zwar nicht er¬ wehren, aber andrerseits wird man dadurch doch auch in der tröstlichen Über¬ zeugung bestärkt, daß der Staat zur Überwindung der sozialen Gefahren noch ganz gewaltige Hilfskräfte in Reserve hat, die eben nur rechtzeitig mobil ge¬ macht zu werden brauchen. Man kann neuerdings in Preußen vielfach in tadelnden Sinne die Be¬ merkung hören, daß die 'Rücksicht auf den persönlichen Einblick und auf das persönliche Eingreifen des Königs in die einzelnen Fragen immer ausschlag¬ gebender werde. Es liegt darin leider nur zu viel wahres. Wird die Not¬ wendigkeit von Reformen im Beamtentum dadurch nur um so mehr erwiesen, so wird man andrerseits daraus den Schluß zu ziehen haben, daß zur Er¬ ziehung eines den Anforderungen der Zukunft gewachsenen, von der Mißwirt¬ schaft und den Klassengegensätzen unabhängigen Beamtentums, wie die Sachen nun einmal liegen, der König von Preußen selbst das Beste thun muß. Dieser Wahrheit können wir uns auch in der Assessorenfrage nicht verschließen. Der Zwischenhandel Anno Hegart von meer dem Titel „Kaufmann oder Schmarotzer?" ist vor kurzem eine Broschüre erschienen (Neubrandenburg, Otto Nahmmacher, 1896), die der Verfasser M. Uhlenhorst eine Anklageschrift gegen den Handelsstand unsrer Zeit nennt. Er sieht das Charakte¬ ristische in dem Handel mit gebrauchsfertiger, sogenannter konfeltio- nirter Ware in der ungeheuern Konkurrenz und der dadurch verursachten Arbeits-, Zeit- und Geldverschwendung. Wer aber die Abhilfe der vom Verfasser gerügten Mängel wünscht, wird sich zuerst über die Ursachen der heutigen Zustände Klarheit verschaffen müssen, und dazu wollen die folgenden Auseinandersetzungen beitragen. Ich führe zunächst zwei Beispiele an, die Uhlenhorst giebt, und zwar im wesentlichen mit seinen eignen Worten, weil ich dadurch der Schilderung der bestehenden Zustände überhoben werde: Die kleine Stadt Wohlburg hatte Anfang der achtziger Jahre 4000 Ein¬ wohner, also etwa 1000 Familien, die ihren Lebensunterhalt aus den ver¬ schiedensten Berufen zogen. Unter andern gab es zwei Kaufleute, die mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/14>, abgerufen am 28.04.2024.