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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zur Assessorenfriige in Preußen

nicht blind stellen. Die Charaktererziehung des jüngern Beamtentums ist heute
eine so heilige Pflicht der leitenden Persönlichkeiten, daß sie sich durch keinen
büreaukratischen Schematismus, auch nicht durch das bequeme Rezept möglichster
Unnahbarkeit abhalten lassen sollten, sich ihrer Erfüllung ganz unmittelbar und
unausgesetzt zu widmen.

Auch wird man sich nicht verhehlen dürfen, daß in dem heutigen jungen
Juristenstande die Gefahr des Strebertums durch einen Umstand verschärft
wird, der, so oft auch schon darüber geklagt worden ist, bei der beabsichtigten
Reform des preußischen Assessorentums durchaus nicht unberührt bleiben sollte.
Es ist das die Faulheit auf der Universität. Schwierig ist auch hier eine
durchgreifende Abhilfe gewiß, aber für unmöglich sollte sie weder von der
Justizverwaltung noch von den juristischen Fakultäten angesehen werden. Vor
dreißig Jahren waren die Juristen auch nicht fleißig, aber damals waren die
Herren Kommilitonen, die nur der Repetitorenpresfe die eingepaukte Vor¬
bildung für das erste Examen dankten, doch immer noch Ausnahmen. Heute
ist die Einpaukerei in erschreckendem Maße zur Regel geworden, und wer Ge¬
legenheit hat, die Angst und Not der jungen Herren, die jeder Geistesarbeit
entwöhnt sind, vor dem Examen zu beobachte", der muß sich sagen, daß
sie im zweiten Semester viel befähigter wären, mit Hilfe des Einpaukers sich
für die Prüfung vorzubereiten, als im siebenten. Und gilt denn nicht auch
für die spätern Juristen das Sprichwort: "Müßiggang ist aller Laster An¬
fang"? Insofern leider gilt es ganz gewiß, als durch die klägliche Ode
ihrer akademischen Bildung die jungen Herren am Ende ihrer Universitätszeit
trotz aller "schmisse" des gepriesenen akademischen Selbstvertrauens meist ur¬
plötzlich verlustig gehen und nur zu leicht alles Heil von der Empfehlung
der "Konleur" und von den "A. H. A. H." erwarten, die hie und da in hoher
Stellung sind und ans deren Bedeutung vielleicht schon bei der Wahl der
Konleur "geziemend" Rücksicht genommen wurde. Die Studenten der Rechte,
und gerade die nichtjüdischer, müssen wieder fleißig arbeiten lernen, das lst
eine der unerläßlichsten Bürgschaften, die vom preußischen Justizminister an¬
gesichts der Neuregelung der Assessorenfragc zu verlangen sind. Die Staats-
wissenschaften geben Stoff zum Studium genug, und je wichtiger die soziale
Wirksamkeit der Beamten wird, um so mehr muß auf eine gründliche wissen¬
schaftliche Bildung auf diesem Gebiete gehalten werden -- trotz Herrn von Stumm
und seiner Leute. Diese Bildung fehlt, wie es bei der zur Regel gewordnen
Faulheit aus deu Universitäten auch uicht anders sein kann, den preußischen
Richtern, zumal denen, die draußen in der Provinz ganz besonders zu sozialen
Beobachtungen und Einwirkungen berufen sind, jetzt so gut wie ganz und, was
fast noch mehr zu beklagen ist, erst recht den Gemeindebeamteu, die aus dem
juristischen Vorbereitungsdienst hervorgehen, den Bürgermeistern in den mittlern
und kleinern Städten. Sieht man, welchen Reichtum an wertvollen Arbeits-


Zur Assessorenfriige in Preußen

nicht blind stellen. Die Charaktererziehung des jüngern Beamtentums ist heute
eine so heilige Pflicht der leitenden Persönlichkeiten, daß sie sich durch keinen
büreaukratischen Schematismus, auch nicht durch das bequeme Rezept möglichster
Unnahbarkeit abhalten lassen sollten, sich ihrer Erfüllung ganz unmittelbar und
unausgesetzt zu widmen.

Auch wird man sich nicht verhehlen dürfen, daß in dem heutigen jungen
Juristenstande die Gefahr des Strebertums durch einen Umstand verschärft
wird, der, so oft auch schon darüber geklagt worden ist, bei der beabsichtigten
Reform des preußischen Assessorentums durchaus nicht unberührt bleiben sollte.
Es ist das die Faulheit auf der Universität. Schwierig ist auch hier eine
durchgreifende Abhilfe gewiß, aber für unmöglich sollte sie weder von der
Justizverwaltung noch von den juristischen Fakultäten angesehen werden. Vor
dreißig Jahren waren die Juristen auch nicht fleißig, aber damals waren die
Herren Kommilitonen, die nur der Repetitorenpresfe die eingepaukte Vor¬
bildung für das erste Examen dankten, doch immer noch Ausnahmen. Heute
ist die Einpaukerei in erschreckendem Maße zur Regel geworden, und wer Ge¬
legenheit hat, die Angst und Not der jungen Herren, die jeder Geistesarbeit
entwöhnt sind, vor dem Examen zu beobachte», der muß sich sagen, daß
sie im zweiten Semester viel befähigter wären, mit Hilfe des Einpaukers sich
für die Prüfung vorzubereiten, als im siebenten. Und gilt denn nicht auch
für die spätern Juristen das Sprichwort: „Müßiggang ist aller Laster An¬
fang"? Insofern leider gilt es ganz gewiß, als durch die klägliche Ode
ihrer akademischen Bildung die jungen Herren am Ende ihrer Universitätszeit
trotz aller „schmisse" des gepriesenen akademischen Selbstvertrauens meist ur¬
plötzlich verlustig gehen und nur zu leicht alles Heil von der Empfehlung
der „Konleur" und von den „A. H. A. H." erwarten, die hie und da in hoher
Stellung sind und ans deren Bedeutung vielleicht schon bei der Wahl der
Konleur „geziemend" Rücksicht genommen wurde. Die Studenten der Rechte,
und gerade die nichtjüdischer, müssen wieder fleißig arbeiten lernen, das lst
eine der unerläßlichsten Bürgschaften, die vom preußischen Justizminister an¬
gesichts der Neuregelung der Assessorenfragc zu verlangen sind. Die Staats-
wissenschaften geben Stoff zum Studium genug, und je wichtiger die soziale
Wirksamkeit der Beamten wird, um so mehr muß auf eine gründliche wissen¬
schaftliche Bildung auf diesem Gebiete gehalten werden — trotz Herrn von Stumm
und seiner Leute. Diese Bildung fehlt, wie es bei der zur Regel gewordnen
Faulheit aus deu Universitäten auch uicht anders sein kann, den preußischen
Richtern, zumal denen, die draußen in der Provinz ganz besonders zu sozialen
Beobachtungen und Einwirkungen berufen sind, jetzt so gut wie ganz und, was
fast noch mehr zu beklagen ist, erst recht den Gemeindebeamteu, die aus dem
juristischen Vorbereitungsdienst hervorgehen, den Bürgermeistern in den mittlern
und kleinern Städten. Sieht man, welchen Reichtum an wertvollen Arbeits-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/13>, abgerufen am 12.05.2024.