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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Erfolge der genossenschaftlichen Selbstverwaltung

ist, daß das Reich fortwährend Machtverluste erleiden müßte, ohne die Kurie
befriedigen zu können.

Aber auch aus andern Gründen muß man wünschen, daß die Zeit ferne
bleiben möge, wo sich Kirche und Staat zur Bekämpfung der Umsturzpartei
verbinden. Dann würden wieder solche Gestalten bemerkbar werden, wie wir
sie schon im Kulturkampfe am Werke gesehen haben, Leute, die, sei es wegen
besondrer Beziehungen zur Kirche, sei es wegen vermeintlicher Geschicklichkeit
in Überlistnng der Kurie, dem Staate ihre Dienste als besonders verschmitzte
Unterhändler anbieten würden, Streber nach dem Vorbilde des Urstrebers
Strepsiades in den "Wolken" des Aristophanes. Der selige spitzer in Wien
nannte solche Leute "Emporfrömmlinge." Wir gestehen offen, daß uns bei
Betrachtung der Verhandlungen zwischen Rom und Berlin immer der Zweifel
quält, von dem Montaigne spricht, der Zweifel, ob wir mit der Katze spielen
oder die Katze mit uns.

Das deutsche Reich wird in seinen nationalen Bestrebungen im freien
Bürgertum jederzeit eine Stütze finden und auf diese Art alle Gegner über¬
winden. So allein wird sich die Leitung des Reichs die Führung sichern,
statt in dem Gedränge der Parteien gestoßen und geschoben zu werden. Eine
wahrhaft nationale Führung im Reiche ist zugleich das sicherste Mittel zur
Erhaltung der Monarchie.

In dem Uhrwerke, das durch das Zusammenwirken von Unruhe und
Hemmung den Gang der Zeit darstellt, kann der Staat die Aufgabe der
Hemmung nur insoweit übernehmen, als durch sein Eingreifen das Zeitmaß
richtig bestimmt wird; ließe sich aber das deutsche Reich mit der Partei des
Rückschritts ein, so wäre das ebenso wertlos, als das Zurückdrehen der Zeiger
an einer richtig gehenden Uhr.




Die Erfolge der genossenschaftlichen Selbstverwaltung
im österreichischen Handwerk

le genossenschaftliche Ordnung des Handwerks ist in Österreich
durch Gesetz vom 15. März 1833 eingeführt worden, sodaß man
jetzt dort auf eine mehr als dreizehnjährige Erfahrung auf diesem
Gebiete zurückblickt. Mit Recht hat man in Deutschland, wo
die Absicht besteht, in ähnlicher Weise gesetzgeberisch vorzugehen,
dieser Erfahrung Beachtung geschenkt und, wie seinerzeit bekannt geworden ist,


Grmizboten II 1896 45
Die Erfolge der genossenschaftlichen Selbstverwaltung

ist, daß das Reich fortwährend Machtverluste erleiden müßte, ohne die Kurie
befriedigen zu können.

Aber auch aus andern Gründen muß man wünschen, daß die Zeit ferne
bleiben möge, wo sich Kirche und Staat zur Bekämpfung der Umsturzpartei
verbinden. Dann würden wieder solche Gestalten bemerkbar werden, wie wir
sie schon im Kulturkampfe am Werke gesehen haben, Leute, die, sei es wegen
besondrer Beziehungen zur Kirche, sei es wegen vermeintlicher Geschicklichkeit
in Überlistnng der Kurie, dem Staate ihre Dienste als besonders verschmitzte
Unterhändler anbieten würden, Streber nach dem Vorbilde des Urstrebers
Strepsiades in den „Wolken" des Aristophanes. Der selige spitzer in Wien
nannte solche Leute „Emporfrömmlinge." Wir gestehen offen, daß uns bei
Betrachtung der Verhandlungen zwischen Rom und Berlin immer der Zweifel
quält, von dem Montaigne spricht, der Zweifel, ob wir mit der Katze spielen
oder die Katze mit uns.

Das deutsche Reich wird in seinen nationalen Bestrebungen im freien
Bürgertum jederzeit eine Stütze finden und auf diese Art alle Gegner über¬
winden. So allein wird sich die Leitung des Reichs die Führung sichern,
statt in dem Gedränge der Parteien gestoßen und geschoben zu werden. Eine
wahrhaft nationale Führung im Reiche ist zugleich das sicherste Mittel zur
Erhaltung der Monarchie.

In dem Uhrwerke, das durch das Zusammenwirken von Unruhe und
Hemmung den Gang der Zeit darstellt, kann der Staat die Aufgabe der
Hemmung nur insoweit übernehmen, als durch sein Eingreifen das Zeitmaß
richtig bestimmt wird; ließe sich aber das deutsche Reich mit der Partei des
Rückschritts ein, so wäre das ebenso wertlos, als das Zurückdrehen der Zeiger
an einer richtig gehenden Uhr.




Die Erfolge der genossenschaftlichen Selbstverwaltung
im österreichischen Handwerk

le genossenschaftliche Ordnung des Handwerks ist in Österreich
durch Gesetz vom 15. März 1833 eingeführt worden, sodaß man
jetzt dort auf eine mehr als dreizehnjährige Erfahrung auf diesem
Gebiete zurückblickt. Mit Recht hat man in Deutschland, wo
die Absicht besteht, in ähnlicher Weise gesetzgeberisch vorzugehen,
dieser Erfahrung Beachtung geschenkt und, wie seinerzeit bekannt geworden ist,


Grmizboten II 1896 45
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[0361] Die Erfolge der genossenschaftlichen Selbstverwaltung ist, daß das Reich fortwährend Machtverluste erleiden müßte, ohne die Kurie befriedigen zu können. Aber auch aus andern Gründen muß man wünschen, daß die Zeit ferne bleiben möge, wo sich Kirche und Staat zur Bekämpfung der Umsturzpartei verbinden. Dann würden wieder solche Gestalten bemerkbar werden, wie wir sie schon im Kulturkampfe am Werke gesehen haben, Leute, die, sei es wegen besondrer Beziehungen zur Kirche, sei es wegen vermeintlicher Geschicklichkeit in Überlistnng der Kurie, dem Staate ihre Dienste als besonders verschmitzte Unterhändler anbieten würden, Streber nach dem Vorbilde des Urstrebers Strepsiades in den „Wolken" des Aristophanes. Der selige spitzer in Wien nannte solche Leute „Emporfrömmlinge." Wir gestehen offen, daß uns bei Betrachtung der Verhandlungen zwischen Rom und Berlin immer der Zweifel quält, von dem Montaigne spricht, der Zweifel, ob wir mit der Katze spielen oder die Katze mit uns. Das deutsche Reich wird in seinen nationalen Bestrebungen im freien Bürgertum jederzeit eine Stütze finden und auf diese Art alle Gegner über¬ winden. So allein wird sich die Leitung des Reichs die Führung sichern, statt in dem Gedränge der Parteien gestoßen und geschoben zu werden. Eine wahrhaft nationale Führung im Reiche ist zugleich das sicherste Mittel zur Erhaltung der Monarchie. In dem Uhrwerke, das durch das Zusammenwirken von Unruhe und Hemmung den Gang der Zeit darstellt, kann der Staat die Aufgabe der Hemmung nur insoweit übernehmen, als durch sein Eingreifen das Zeitmaß richtig bestimmt wird; ließe sich aber das deutsche Reich mit der Partei des Rückschritts ein, so wäre das ebenso wertlos, als das Zurückdrehen der Zeiger an einer richtig gehenden Uhr. Die Erfolge der genossenschaftlichen Selbstverwaltung im österreichischen Handwerk le genossenschaftliche Ordnung des Handwerks ist in Österreich durch Gesetz vom 15. März 1833 eingeführt worden, sodaß man jetzt dort auf eine mehr als dreizehnjährige Erfahrung auf diesem Gebiete zurückblickt. Mit Recht hat man in Deutschland, wo die Absicht besteht, in ähnlicher Weise gesetzgeberisch vorzugehen, dieser Erfahrung Beachtung geschenkt und, wie seinerzeit bekannt geworden ist, Grmizboten II 1896 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/361>, abgerufen am 28.04.2024.