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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Neue Sprachdummheiten

des Martin Hahneeeius Komödie Hans Pfriem, oder er setze statt des
Genetivs die Präposition von: die Komödie Hans Pfriem von Martin
Hahneeeius. Und wem es nicht gefällt, zu sagen: die Ortsgruppe des
Allgemeinen deutschen Schulvereins Zeitz -- mir gefüllt es auch nicht --,
der sage doch: die Zeitzer Ortsgruppe des A. d. sah. Das ist deutsch.

Streng genommen ist es natürlich auch falsch, zu sagen: der Wetter¬
bericht Ur. 200 des Meteorologischer Instituts. Hier drängt sich
Ur. 200 eben so störend zwischen die beiden untrennbaren Glieder, wie in den
vorher angeführten Beispielen die Eigennamen; deutsch wäre: der 200. Wetter¬
bericht des Meteorologischer Instituts. Ebenso falsch ist: eine Stif-
tung von 7000 Mark des Herrn Landgerichtsrat N. -- eine Hand¬
schrist von 240 Blatt der Münchner Hof- und Staatsbibliothek --
die Abteilung für Kriegsgeschichte des Großen Generalstabes --
die Adreßbücher für 1896 der Städte Berlin, Bremen und Breslau --
der Oberarzt für Hautkrankheiten des städtischen Krankenhauses --
das Promemoria an die kurfürstliche Bücherkommission des Pro¬
fessors Ernesti -- der Mangel an Selbstbewußtsein und Selbständig¬
keit der deutschen Mädchen usw. Auch in allen diesen Beispielen sind
zwei Konstruktionen, und zwar beidemal ein Hauptwort mit Attribut (z. V. der
Oberarzt des städtischen Krankenhauses und der Oberarzt für Haut¬
krankheiten), in ganz unerträglicher Weise in einander geschoben, unerträg¬
lich deshalb, weil dadurch der Genitiv von dem Wort abgerissen ist, zu dem
er gehört. Freilich läßt sich auch in solchen Fällen nicht immer durch bloße
Umstellung helfen. Schreibt mau: der Oberarzt des städtischen Kranken¬
hauses sür Hautkrankheiten, so ist allerdings die unsinnige Verbindung:
Hautkrankheiten des städtischen Krankenhauses beseitigt; aber dafür
wird nun das Mißverständnis möglich, daß es ein besondres städtisches Kranken¬
haus für Hautkrankheiten gebe. In solchen Fällen bleibt eben nichts weiter
übrig, als ein Partizip zu Hilfe zu nehmen und zu schreiben: Der am
städtischen Krankenhaus angestellte Oberarzt für Hautkrankheiten.
Solche Partizipien werden so oft ganz überflüssigerweise gesetzt, daß man sie
schon auch einmal setzen kann, wo es notwendig ist.


^. Mißhandelte Redensarten

Für eine große Anzahl von Thätigkeitsbegriffen fehlt es uns im Deutschen
an einem geeigneten Verbum; wir können sie nur durch Redensarten aus¬
drücken, die aus einem Verbum und einem Hauptwort bestehen. Oft ist aber
auch ein geeignetes Verbum vorhanden, und doch geben viele, weil sie die
Neigung haben, sich möglichst breit auszudrücken, einer umschreibenden Redens¬
art den Vorzug. Solche Redensarten -- unentbehrliche und entbehrliche --
sind z. B. Fühlung haben, Gebrauch macheu, Rechnung tragen, Klage


Neue Sprachdummheiten

des Martin Hahneeeius Komödie Hans Pfriem, oder er setze statt des
Genetivs die Präposition von: die Komödie Hans Pfriem von Martin
Hahneeeius. Und wem es nicht gefällt, zu sagen: die Ortsgruppe des
Allgemeinen deutschen Schulvereins Zeitz — mir gefüllt es auch nicht —,
der sage doch: die Zeitzer Ortsgruppe des A. d. sah. Das ist deutsch.

Streng genommen ist es natürlich auch falsch, zu sagen: der Wetter¬
bericht Ur. 200 des Meteorologischer Instituts. Hier drängt sich
Ur. 200 eben so störend zwischen die beiden untrennbaren Glieder, wie in den
vorher angeführten Beispielen die Eigennamen; deutsch wäre: der 200. Wetter¬
bericht des Meteorologischer Instituts. Ebenso falsch ist: eine Stif-
tung von 7000 Mark des Herrn Landgerichtsrat N. — eine Hand¬
schrist von 240 Blatt der Münchner Hof- und Staatsbibliothek —
die Abteilung für Kriegsgeschichte des Großen Generalstabes —
die Adreßbücher für 1896 der Städte Berlin, Bremen und Breslau —
der Oberarzt für Hautkrankheiten des städtischen Krankenhauses —
das Promemoria an die kurfürstliche Bücherkommission des Pro¬
fessors Ernesti — der Mangel an Selbstbewußtsein und Selbständig¬
keit der deutschen Mädchen usw. Auch in allen diesen Beispielen sind
zwei Konstruktionen, und zwar beidemal ein Hauptwort mit Attribut (z. V. der
Oberarzt des städtischen Krankenhauses und der Oberarzt für Haut¬
krankheiten), in ganz unerträglicher Weise in einander geschoben, unerträg¬
lich deshalb, weil dadurch der Genitiv von dem Wort abgerissen ist, zu dem
er gehört. Freilich läßt sich auch in solchen Fällen nicht immer durch bloße
Umstellung helfen. Schreibt mau: der Oberarzt des städtischen Kranken¬
hauses sür Hautkrankheiten, so ist allerdings die unsinnige Verbindung:
Hautkrankheiten des städtischen Krankenhauses beseitigt; aber dafür
wird nun das Mißverständnis möglich, daß es ein besondres städtisches Kranken¬
haus für Hautkrankheiten gebe. In solchen Fällen bleibt eben nichts weiter
übrig, als ein Partizip zu Hilfe zu nehmen und zu schreiben: Der am
städtischen Krankenhaus angestellte Oberarzt für Hautkrankheiten.
Solche Partizipien werden so oft ganz überflüssigerweise gesetzt, daß man sie
schon auch einmal setzen kann, wo es notwendig ist.


^. Mißhandelte Redensarten

Für eine große Anzahl von Thätigkeitsbegriffen fehlt es uns im Deutschen
an einem geeigneten Verbum; wir können sie nur durch Redensarten aus¬
drücken, die aus einem Verbum und einem Hauptwort bestehen. Oft ist aber
auch ein geeignetes Verbum vorhanden, und doch geben viele, weil sie die
Neigung haben, sich möglichst breit auszudrücken, einer umschreibenden Redens¬
art den Vorzug. Solche Redensarten — unentbehrliche und entbehrliche —
sind z. B. Fühlung haben, Gebrauch macheu, Rechnung tragen, Klage


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[0412] Neue Sprachdummheiten des Martin Hahneeeius Komödie Hans Pfriem, oder er setze statt des Genetivs die Präposition von: die Komödie Hans Pfriem von Martin Hahneeeius. Und wem es nicht gefällt, zu sagen: die Ortsgruppe des Allgemeinen deutschen Schulvereins Zeitz — mir gefüllt es auch nicht —, der sage doch: die Zeitzer Ortsgruppe des A. d. sah. Das ist deutsch. Streng genommen ist es natürlich auch falsch, zu sagen: der Wetter¬ bericht Ur. 200 des Meteorologischer Instituts. Hier drängt sich Ur. 200 eben so störend zwischen die beiden untrennbaren Glieder, wie in den vorher angeführten Beispielen die Eigennamen; deutsch wäre: der 200. Wetter¬ bericht des Meteorologischer Instituts. Ebenso falsch ist: eine Stif- tung von 7000 Mark des Herrn Landgerichtsrat N. — eine Hand¬ schrist von 240 Blatt der Münchner Hof- und Staatsbibliothek — die Abteilung für Kriegsgeschichte des Großen Generalstabes — die Adreßbücher für 1896 der Städte Berlin, Bremen und Breslau — der Oberarzt für Hautkrankheiten des städtischen Krankenhauses — das Promemoria an die kurfürstliche Bücherkommission des Pro¬ fessors Ernesti — der Mangel an Selbstbewußtsein und Selbständig¬ keit der deutschen Mädchen usw. Auch in allen diesen Beispielen sind zwei Konstruktionen, und zwar beidemal ein Hauptwort mit Attribut (z. V. der Oberarzt des städtischen Krankenhauses und der Oberarzt für Haut¬ krankheiten), in ganz unerträglicher Weise in einander geschoben, unerträg¬ lich deshalb, weil dadurch der Genitiv von dem Wort abgerissen ist, zu dem er gehört. Freilich läßt sich auch in solchen Fällen nicht immer durch bloße Umstellung helfen. Schreibt mau: der Oberarzt des städtischen Kranken¬ hauses sür Hautkrankheiten, so ist allerdings die unsinnige Verbindung: Hautkrankheiten des städtischen Krankenhauses beseitigt; aber dafür wird nun das Mißverständnis möglich, daß es ein besondres städtisches Kranken¬ haus für Hautkrankheiten gebe. In solchen Fällen bleibt eben nichts weiter übrig, als ein Partizip zu Hilfe zu nehmen und zu schreiben: Der am städtischen Krankenhaus angestellte Oberarzt für Hautkrankheiten. Solche Partizipien werden so oft ganz überflüssigerweise gesetzt, daß man sie schon auch einmal setzen kann, wo es notwendig ist. ^. Mißhandelte Redensarten Für eine große Anzahl von Thätigkeitsbegriffen fehlt es uns im Deutschen an einem geeigneten Verbum; wir können sie nur durch Redensarten aus¬ drücken, die aus einem Verbum und einem Hauptwort bestehen. Oft ist aber auch ein geeignetes Verbum vorhanden, und doch geben viele, weil sie die Neigung haben, sich möglichst breit auszudrücken, einer umschreibenden Redens¬ art den Vorzug. Solche Redensarten — unentbehrliche und entbehrliche — sind z. B. Fühlung haben, Gebrauch macheu, Rechnung tragen, Klage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/412>, abgerufen am 28.04.2024.