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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Neue Sprachdummheiten

führen, Kenntnis nehmen, Platz greifen, Wandel schaffen, Dank
wissen, in Kenntnis setzen, zur Verfügung stellen und hundert andre.

Viele solche Redensarten haben nun etwas formelhaftes. Da sie eben
einfache Verbalbegrisfe ersetzen, so werden sie anch wie einfache Verba gefühlt,
wenigstens von Leuten, die Sprachgefühl haben. Daraus folgt aber mit Not¬
wendigkeit zweierlei: erstens, daß sie in passivischen Sätzen und in Nebensätzen,
wo das Verbum am Ende steht, nicht zerrissen werden dürfen; zweitens, daß
sie, ebenso wie wirkliche Verba, nur durch Adverbia näher bestimmt werden
können. Gegen beide Gesetze wird jetzt fort und fort verstoßen.

Da schreibt man z. B.: er wurde in Kenntnis von dem Geschehenen
gesetzt. Falsch! Es muß heißen: er wurde von dem Geschehenen in Kenntnis
gesetzt, denn in Kenntnis setzen vertritt ein einfaches Verbum und darf auf
keinen Fall zerrissen werden. Andre Beispiele solches gefühllosen Zerreißens
formelhafter Redensarten sind: wenn eine der brennenden Fragen in Beziehung
zur technischen Hochschule gesetzt wurde -- es ist nicht mehr als billig, daß
wir einen Begriff von Talenten wie Kjelland, Lie usw. erhalten -- weil
die Negierung nicht die Hand zu einer dauernden Spaltung in den Münchner
Künstlerkreisen bieten wollte -- wenn auch dieser Realismus die Brücke
zwischen der Dichterin und der großen Menge schlug -- wer sich eine Vor¬
stellung von der eigentümlichen Persönlichkeit Stiers, die unsern heutigen
Anschauungen in vieler Beziehung befremdlich erscheint, für ihre Zeit aber
typisch genannt werden darf, machen will. Die Fälle brauchen nicht immer
fo schlimm zu sein, wie der letzte, falsch sind sie doch. Der Fehler ist um so
störender, als durch das Zerreißen einer Redensart ihr Accent vom Haupt¬
wort auf das Verbum verlegt wird (die Hand bieten, anstatt: die Hand
bieten die Brücke schlug, anstatt: die Brücke schlug), auf das Verbum, das
doch in solchen Verbindungen fast ganz bedeutungslos, ein bloßes äußerliches
Hilfsmittel zur Bildung der Redensart ist. Läßt man die Redensart zusammen,
so bleibt auch der Accent an der richtigen Stelle.

Die andre Art, solche Redensarten zu mißhandeln, besteht, wie gesagt,
darin, daß man das Hauptwort herausreißt und durch ein Attribut näher be¬
stimmt, anstatt die Redensart zusammenzulassen und sie als Ganzes durch ein
Adverbium oder einen adverbiellen Ausdruck näher zu bestimmen. Der häufigste
Fall ist der, daß man zu dem Hauptwort ein Adjektivum setzt, z. B. es ist sehr
zu befürchten, daß er dabei ernstlichen Schaden nehmen werde. Schaden
nehmen ist eine Redensart, die einen einfachen passiven Verbalbegriff vertritt
geschädigt werden, beschädigt werden). Man kann weder ernstlichen Schaden
nehmen, noch weniger ernstlichen, man kann nur ernstlich Schaden nehme",
wie man nur ernstlich geschädigt werden kann. Mit andern Worten: nicht
der Schade ist ernstlich, sondern das Schadennehmen, der ganze Begriff.
Der Minister nahm von den Einrichtungen der Schule eingehende


Neue Sprachdummheiten

führen, Kenntnis nehmen, Platz greifen, Wandel schaffen, Dank
wissen, in Kenntnis setzen, zur Verfügung stellen und hundert andre.

Viele solche Redensarten haben nun etwas formelhaftes. Da sie eben
einfache Verbalbegrisfe ersetzen, so werden sie anch wie einfache Verba gefühlt,
wenigstens von Leuten, die Sprachgefühl haben. Daraus folgt aber mit Not¬
wendigkeit zweierlei: erstens, daß sie in passivischen Sätzen und in Nebensätzen,
wo das Verbum am Ende steht, nicht zerrissen werden dürfen; zweitens, daß
sie, ebenso wie wirkliche Verba, nur durch Adverbia näher bestimmt werden
können. Gegen beide Gesetze wird jetzt fort und fort verstoßen.

Da schreibt man z. B.: er wurde in Kenntnis von dem Geschehenen
gesetzt. Falsch! Es muß heißen: er wurde von dem Geschehenen in Kenntnis
gesetzt, denn in Kenntnis setzen vertritt ein einfaches Verbum und darf auf
keinen Fall zerrissen werden. Andre Beispiele solches gefühllosen Zerreißens
formelhafter Redensarten sind: wenn eine der brennenden Fragen in Beziehung
zur technischen Hochschule gesetzt wurde — es ist nicht mehr als billig, daß
wir einen Begriff von Talenten wie Kjelland, Lie usw. erhalten — weil
die Negierung nicht die Hand zu einer dauernden Spaltung in den Münchner
Künstlerkreisen bieten wollte — wenn auch dieser Realismus die Brücke
zwischen der Dichterin und der großen Menge schlug — wer sich eine Vor¬
stellung von der eigentümlichen Persönlichkeit Stiers, die unsern heutigen
Anschauungen in vieler Beziehung befremdlich erscheint, für ihre Zeit aber
typisch genannt werden darf, machen will. Die Fälle brauchen nicht immer
fo schlimm zu sein, wie der letzte, falsch sind sie doch. Der Fehler ist um so
störender, als durch das Zerreißen einer Redensart ihr Accent vom Haupt¬
wort auf das Verbum verlegt wird (die Hand bieten, anstatt: die Hand
bieten die Brücke schlug, anstatt: die Brücke schlug), auf das Verbum, das
doch in solchen Verbindungen fast ganz bedeutungslos, ein bloßes äußerliches
Hilfsmittel zur Bildung der Redensart ist. Läßt man die Redensart zusammen,
so bleibt auch der Accent an der richtigen Stelle.

Die andre Art, solche Redensarten zu mißhandeln, besteht, wie gesagt,
darin, daß man das Hauptwort herausreißt und durch ein Attribut näher be¬
stimmt, anstatt die Redensart zusammenzulassen und sie als Ganzes durch ein
Adverbium oder einen adverbiellen Ausdruck näher zu bestimmen. Der häufigste
Fall ist der, daß man zu dem Hauptwort ein Adjektivum setzt, z. B. es ist sehr
zu befürchten, daß er dabei ernstlichen Schaden nehmen werde. Schaden
nehmen ist eine Redensart, die einen einfachen passiven Verbalbegriff vertritt
geschädigt werden, beschädigt werden). Man kann weder ernstlichen Schaden
nehmen, noch weniger ernstlichen, man kann nur ernstlich Schaden nehme»,
wie man nur ernstlich geschädigt werden kann. Mit andern Worten: nicht
der Schade ist ernstlich, sondern das Schadennehmen, der ganze Begriff.
Der Minister nahm von den Einrichtungen der Schule eingehende


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[0413] Neue Sprachdummheiten führen, Kenntnis nehmen, Platz greifen, Wandel schaffen, Dank wissen, in Kenntnis setzen, zur Verfügung stellen und hundert andre. Viele solche Redensarten haben nun etwas formelhaftes. Da sie eben einfache Verbalbegrisfe ersetzen, so werden sie anch wie einfache Verba gefühlt, wenigstens von Leuten, die Sprachgefühl haben. Daraus folgt aber mit Not¬ wendigkeit zweierlei: erstens, daß sie in passivischen Sätzen und in Nebensätzen, wo das Verbum am Ende steht, nicht zerrissen werden dürfen; zweitens, daß sie, ebenso wie wirkliche Verba, nur durch Adverbia näher bestimmt werden können. Gegen beide Gesetze wird jetzt fort und fort verstoßen. Da schreibt man z. B.: er wurde in Kenntnis von dem Geschehenen gesetzt. Falsch! Es muß heißen: er wurde von dem Geschehenen in Kenntnis gesetzt, denn in Kenntnis setzen vertritt ein einfaches Verbum und darf auf keinen Fall zerrissen werden. Andre Beispiele solches gefühllosen Zerreißens formelhafter Redensarten sind: wenn eine der brennenden Fragen in Beziehung zur technischen Hochschule gesetzt wurde — es ist nicht mehr als billig, daß wir einen Begriff von Talenten wie Kjelland, Lie usw. erhalten — weil die Negierung nicht die Hand zu einer dauernden Spaltung in den Münchner Künstlerkreisen bieten wollte — wenn auch dieser Realismus die Brücke zwischen der Dichterin und der großen Menge schlug — wer sich eine Vor¬ stellung von der eigentümlichen Persönlichkeit Stiers, die unsern heutigen Anschauungen in vieler Beziehung befremdlich erscheint, für ihre Zeit aber typisch genannt werden darf, machen will. Die Fälle brauchen nicht immer fo schlimm zu sein, wie der letzte, falsch sind sie doch. Der Fehler ist um so störender, als durch das Zerreißen einer Redensart ihr Accent vom Haupt¬ wort auf das Verbum verlegt wird (die Hand bieten, anstatt: die Hand bieten die Brücke schlug, anstatt: die Brücke schlug), auf das Verbum, das doch in solchen Verbindungen fast ganz bedeutungslos, ein bloßes äußerliches Hilfsmittel zur Bildung der Redensart ist. Läßt man die Redensart zusammen, so bleibt auch der Accent an der richtigen Stelle. Die andre Art, solche Redensarten zu mißhandeln, besteht, wie gesagt, darin, daß man das Hauptwort herausreißt und durch ein Attribut näher be¬ stimmt, anstatt die Redensart zusammenzulassen und sie als Ganzes durch ein Adverbium oder einen adverbiellen Ausdruck näher zu bestimmen. Der häufigste Fall ist der, daß man zu dem Hauptwort ein Adjektivum setzt, z. B. es ist sehr zu befürchten, daß er dabei ernstlichen Schaden nehmen werde. Schaden nehmen ist eine Redensart, die einen einfachen passiven Verbalbegriff vertritt geschädigt werden, beschädigt werden). Man kann weder ernstlichen Schaden nehmen, noch weniger ernstlichen, man kann nur ernstlich Schaden nehme», wie man nur ernstlich geschädigt werden kann. Mit andern Worten: nicht der Schade ist ernstlich, sondern das Schadennehmen, der ganze Begriff. Der Minister nahm von den Einrichtungen der Schule eingehende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/413>, abgerufen am 13.05.2024.