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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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von der Schriftsteller"

sich irrte, als er am 12. Februar 1896 die zweite Abteilung seines Reichs¬
amts des Innern sür ein ausreichendes Neichsarbeitsamt erklärte? Hoffentlich
wird die Unzweckmäßigkeit und Zopfigkeit der bestehenden Einrichtungen, die
auch in der Bearbeitung der Konfektionsfrage zu Tage getreten ist, zu ver¬
nünftigen Reformen führen. Wie die Rollen jetzt zwischen dem Reichsamt des
Innern, der Kommission für Arbeiterftatistik und dem statistischen Amte
verteilt sind, das widerspricht einfach dem gesunden Menschenverstande. Der
Zopf muß fort!




Von der Schriftstellern
Th. Brix von(in

es weiß nicht, was ich schreiben soll -- dieser Stoßseufzer entringt
sich oft der Brust derer, die einen Pflichtbrief zu schreiben haben.
Es ist hart, die Gedanken auf etwas richten zu müssen, was einem
fern liegt und wofür das Interesse fehlt. Wo ein äußerer Zwang
zum Schreiben vorliegt, stellt sich eine Schwierigkeit ein, die da
nicht vorhanden ist, wo innere Neigung zum Schreiben antreibt.
Die Gewohnheit, das Denken auf bestimmte Gegenstände zu richten, sich immerfort
mit ihnen zu beschäftigen, zugleich diesen Gedanken die für die Veröffentlichung
bestimmte Form zu geben, charakterisirt den berufsmäßigen Vielschreiber. Hat er
diese Gabe nicht, so taugt er nicht zum Schriftsteller. Über die Entstehungsart
schriftstellerischer Erzeugnisse aber herrschen vielfach unzutreffende Vorstellungen.

Mir hat vor einigen Jahren einmal ein Bekannter sein Erstaunen darüber
ausgesprochen, daß ich immer etwas zu schreiben wisse. Ihm sei das ganz unbe¬
greiflich; wenn er immer schreiben sollte, würde es ihm bald durchaus an Stoff
fehlen. Ich stellte ihm, der ein sehr redseliger Herr war, die Frage, ob er sich
denn nicht darüber wundre, daß es ihm in Freundeskreisen nie an Gesprächsstoff
fehle. Er mußte mir zugeben, daß das Schreiben von dem Plaudern nicht so gar
verschieden, daß es also nicht unerklärlich sei, wo der Schreibende den Stoff her¬
bekomme. In der That ist ja das Vielschreiben nur das Vielschwatzen in einer
andern Form, in einer strengern (so sollte es wenigstens sein), durchweg vornehmern
Form, zu der sich von selbst und ungezwungen in dem Schriftsteller die Gedanken
fügen. In dem einen wie in dem andern Falle aber ist das, was die Gedauken-
äußerungen hervortreibt, eine Gehirnthätigkeit, die durch die ganze Geisteseigen-
tümlichkeit des Menschen bedingt ist, und die auszuüben ihm Bedürfnis ist. Der
Drang zum Aussprechen dessen, was das Gemüt bewegt, ist bei dem Schriftsteller
so gut vorhanden wie bei dem, der sein Herz dem Freunde ausschüttet, oder bei
dem, der sich einen größern Kreis wählt, der in der Wirtshcmsstnbe oder im Ver¬
sammlungslokal seine Weisheit an den Mann bringt. Und damit erledigt sich die
Schwierigkeit, daß man "nichts zu schreiben weiß," ganz von selbst. Wie einen


von der Schriftsteller«

sich irrte, als er am 12. Februar 1896 die zweite Abteilung seines Reichs¬
amts des Innern sür ein ausreichendes Neichsarbeitsamt erklärte? Hoffentlich
wird die Unzweckmäßigkeit und Zopfigkeit der bestehenden Einrichtungen, die
auch in der Bearbeitung der Konfektionsfrage zu Tage getreten ist, zu ver¬
nünftigen Reformen führen. Wie die Rollen jetzt zwischen dem Reichsamt des
Innern, der Kommission für Arbeiterftatistik und dem statistischen Amte
verteilt sind, das widerspricht einfach dem gesunden Menschenverstande. Der
Zopf muß fort!




Von der Schriftstellern
Th. Brix von(in

es weiß nicht, was ich schreiben soll — dieser Stoßseufzer entringt
sich oft der Brust derer, die einen Pflichtbrief zu schreiben haben.
Es ist hart, die Gedanken auf etwas richten zu müssen, was einem
fern liegt und wofür das Interesse fehlt. Wo ein äußerer Zwang
zum Schreiben vorliegt, stellt sich eine Schwierigkeit ein, die da
nicht vorhanden ist, wo innere Neigung zum Schreiben antreibt.
Die Gewohnheit, das Denken auf bestimmte Gegenstände zu richten, sich immerfort
mit ihnen zu beschäftigen, zugleich diesen Gedanken die für die Veröffentlichung
bestimmte Form zu geben, charakterisirt den berufsmäßigen Vielschreiber. Hat er
diese Gabe nicht, so taugt er nicht zum Schriftsteller. Über die Entstehungsart
schriftstellerischer Erzeugnisse aber herrschen vielfach unzutreffende Vorstellungen.

Mir hat vor einigen Jahren einmal ein Bekannter sein Erstaunen darüber
ausgesprochen, daß ich immer etwas zu schreiben wisse. Ihm sei das ganz unbe¬
greiflich; wenn er immer schreiben sollte, würde es ihm bald durchaus an Stoff
fehlen. Ich stellte ihm, der ein sehr redseliger Herr war, die Frage, ob er sich
denn nicht darüber wundre, daß es ihm in Freundeskreisen nie an Gesprächsstoff
fehle. Er mußte mir zugeben, daß das Schreiben von dem Plaudern nicht so gar
verschieden, daß es also nicht unerklärlich sei, wo der Schreibende den Stoff her¬
bekomme. In der That ist ja das Vielschreiben nur das Vielschwatzen in einer
andern Form, in einer strengern (so sollte es wenigstens sein), durchweg vornehmern
Form, zu der sich von selbst und ungezwungen in dem Schriftsteller die Gedanken
fügen. In dem einen wie in dem andern Falle aber ist das, was die Gedauken-
äußerungen hervortreibt, eine Gehirnthätigkeit, die durch die ganze Geisteseigen-
tümlichkeit des Menschen bedingt ist, und die auszuüben ihm Bedürfnis ist. Der
Drang zum Aussprechen dessen, was das Gemüt bewegt, ist bei dem Schriftsteller
so gut vorhanden wie bei dem, der sein Herz dem Freunde ausschüttet, oder bei
dem, der sich einen größern Kreis wählt, der in der Wirtshcmsstnbe oder im Ver¬
sammlungslokal seine Weisheit an den Mann bringt. Und damit erledigt sich die
Schwierigkeit, daß man „nichts zu schreiben weiß," ganz von selbst. Wie einen


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[0146] von der Schriftsteller« sich irrte, als er am 12. Februar 1896 die zweite Abteilung seines Reichs¬ amts des Innern sür ein ausreichendes Neichsarbeitsamt erklärte? Hoffentlich wird die Unzweckmäßigkeit und Zopfigkeit der bestehenden Einrichtungen, die auch in der Bearbeitung der Konfektionsfrage zu Tage getreten ist, zu ver¬ nünftigen Reformen führen. Wie die Rollen jetzt zwischen dem Reichsamt des Innern, der Kommission für Arbeiterftatistik und dem statistischen Amte verteilt sind, das widerspricht einfach dem gesunden Menschenverstande. Der Zopf muß fort! Von der Schriftstellern Th. Brix von(in es weiß nicht, was ich schreiben soll — dieser Stoßseufzer entringt sich oft der Brust derer, die einen Pflichtbrief zu schreiben haben. Es ist hart, die Gedanken auf etwas richten zu müssen, was einem fern liegt und wofür das Interesse fehlt. Wo ein äußerer Zwang zum Schreiben vorliegt, stellt sich eine Schwierigkeit ein, die da nicht vorhanden ist, wo innere Neigung zum Schreiben antreibt. Die Gewohnheit, das Denken auf bestimmte Gegenstände zu richten, sich immerfort mit ihnen zu beschäftigen, zugleich diesen Gedanken die für die Veröffentlichung bestimmte Form zu geben, charakterisirt den berufsmäßigen Vielschreiber. Hat er diese Gabe nicht, so taugt er nicht zum Schriftsteller. Über die Entstehungsart schriftstellerischer Erzeugnisse aber herrschen vielfach unzutreffende Vorstellungen. Mir hat vor einigen Jahren einmal ein Bekannter sein Erstaunen darüber ausgesprochen, daß ich immer etwas zu schreiben wisse. Ihm sei das ganz unbe¬ greiflich; wenn er immer schreiben sollte, würde es ihm bald durchaus an Stoff fehlen. Ich stellte ihm, der ein sehr redseliger Herr war, die Frage, ob er sich denn nicht darüber wundre, daß es ihm in Freundeskreisen nie an Gesprächsstoff fehle. Er mußte mir zugeben, daß das Schreiben von dem Plaudern nicht so gar verschieden, daß es also nicht unerklärlich sei, wo der Schreibende den Stoff her¬ bekomme. In der That ist ja das Vielschreiben nur das Vielschwatzen in einer andern Form, in einer strengern (so sollte es wenigstens sein), durchweg vornehmern Form, zu der sich von selbst und ungezwungen in dem Schriftsteller die Gedanken fügen. In dem einen wie in dem andern Falle aber ist das, was die Gedauken- äußerungen hervortreibt, eine Gehirnthätigkeit, die durch die ganze Geisteseigen- tümlichkeit des Menschen bedingt ist, und die auszuüben ihm Bedürfnis ist. Der Drang zum Aussprechen dessen, was das Gemüt bewegt, ist bei dem Schriftsteller so gut vorhanden wie bei dem, der sein Herz dem Freunde ausschüttet, oder bei dem, der sich einen größern Kreis wählt, der in der Wirtshcmsstnbe oder im Ver¬ sammlungslokal seine Weisheit an den Mann bringt. Und damit erledigt sich die Schwierigkeit, daß man „nichts zu schreiben weiß," ganz von selbst. Wie einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/146>, abgerufen am 01.05.2024.