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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Arbeitsverhältnisse in der Ronfektionsindustrie

ausbreitenden "Volksaberglauben" wieder wirkungslos Verhalten wird, wenn
nicht alle ehrlichen Freunde der Wahrheit, Gerechtigkeit und Nächstenliebe
ihre Schuldigkeit thun.

Es ist zu wünschen, daß der schwerfällige Apparat der Kommission für
Arbeiterstatistik die Ausarbeitung klar und bestimmt formulirter Vorschläge nicht
allzusehr verlangsame, die die unerläßlichen staatlichen Maßnahmen zur Be¬
seitigung der Mißstände in der Konfektionsindustrie anzubahnen haben. Wie
die Verhältnisse liegen, ist kaum Monatsfrist dazu nötig, da, wie es scheint,
auf weitere Erhebungen, die zur Vervollständigung des Materials an sich,
wenigstens vom wissenschaftlichen Standpunkte aus, erwünscht wären, verzichtet
worden ist. Sehr zu empfehlen wäre dabei auch die Veröffentlichung der
Berichte der zuständigen Aufsichtsbehörden, die neben dem Vernehmungs¬
protokoll dem Bericht des statistischen Amts zu Grunde gelegen haben.

Die Verhandlungen des Reichstags in seiner Sitzung am 13. Januar
über den Gehalt des Staatssekretärs des Innern haben es, soweit sie sich mit
den Mißständen in der Konfektionsindustrie beschäftigten, als einen sehr störenden
Mangel empfinden lassen, daß die Punkte, in denen sich die Kommission für
Arbeiterstatistik grundsätzlich über gesetzliche oder doch staatliche Abhilfemaßregeln
geeinigt hatte, auch nicht einmal am Bundesratstische bekannt waren. Daß
das nicht anders hätte sein können, nachdem die Beratungen und Beschlu߬
fassungen der genannten Kommission schon um 11. Januar zu Ende geführt
worden waren, und zwar, so viel bekannt, im Reichsamt des Innern selbst
unter der Teilnahme von Kommissarien dieses Amts, wird wohl niemand be¬
haupten können. Wären die Ergebnisse dieser Kommisstvnsverhandlungen, ja
überhaupt die Ergebnisse der Erhebungen am 13. Januar am Bundesratstische
bekannt gewesen, so Hütte unmöglich der Staatssekretär des Innern dem Ab¬
geordneten Heyl zu Herrnsheim die Versicherung geben können, daß im allge¬
meinen die Vorschläge, die dieser Abgeordnete gemacht habe -- er hatte aus¬
drücklich die Aufrechterhaltung des ganz verfehlten nationalliberalen Antrags
vom 11. Februar 1896 erklärt --, "demnächst als solche anzusehen sein würden,
die wir dem Bundesrat zu machen beabsichtigten." Nach dem veröffentlichten
Bericht des statistischen Amts und nach dessen Ergänzung in der Norddeutschen
Allgemeinen Zeitung paßt der Antrag des Freiherrn Heyl zu Herrnsheim und
Genossen zu den Ergebnissen der amtlichen Ermittlungen wie die Faust aufs Auge.
Dieser Antrag steht, wie wir seinerzeit bereits nachdrücklich betont haben, ganz
und gar unter dem Bann der aus Amerika und England herübergeholten Weisheit
ohne alle Rücksicht auf die in Deutschland ebenso wie in Frankreich ganz anders
gestalteten Verhältnisse. Wir sehen hier wieder eine mangelhafte Orientirung
am Bundesratstisch über brennende Fragen der sogenannten Arbeiterstatistik,
wie wir sie bei den Verhandlungen über den hamburgischen Aufstand zu be¬
klagen hatten. Sollte Herr von Bötticher jetzt nicht endlich einsehen, daß er


Grenzboten I 1M7 18
Die Arbeitsverhältnisse in der Ronfektionsindustrie

ausbreitenden „Volksaberglauben" wieder wirkungslos Verhalten wird, wenn
nicht alle ehrlichen Freunde der Wahrheit, Gerechtigkeit und Nächstenliebe
ihre Schuldigkeit thun.

Es ist zu wünschen, daß der schwerfällige Apparat der Kommission für
Arbeiterstatistik die Ausarbeitung klar und bestimmt formulirter Vorschläge nicht
allzusehr verlangsame, die die unerläßlichen staatlichen Maßnahmen zur Be¬
seitigung der Mißstände in der Konfektionsindustrie anzubahnen haben. Wie
die Verhältnisse liegen, ist kaum Monatsfrist dazu nötig, da, wie es scheint,
auf weitere Erhebungen, die zur Vervollständigung des Materials an sich,
wenigstens vom wissenschaftlichen Standpunkte aus, erwünscht wären, verzichtet
worden ist. Sehr zu empfehlen wäre dabei auch die Veröffentlichung der
Berichte der zuständigen Aufsichtsbehörden, die neben dem Vernehmungs¬
protokoll dem Bericht des statistischen Amts zu Grunde gelegen haben.

Die Verhandlungen des Reichstags in seiner Sitzung am 13. Januar
über den Gehalt des Staatssekretärs des Innern haben es, soweit sie sich mit
den Mißständen in der Konfektionsindustrie beschäftigten, als einen sehr störenden
Mangel empfinden lassen, daß die Punkte, in denen sich die Kommission für
Arbeiterstatistik grundsätzlich über gesetzliche oder doch staatliche Abhilfemaßregeln
geeinigt hatte, auch nicht einmal am Bundesratstische bekannt waren. Daß
das nicht anders hätte sein können, nachdem die Beratungen und Beschlu߬
fassungen der genannten Kommission schon um 11. Januar zu Ende geführt
worden waren, und zwar, so viel bekannt, im Reichsamt des Innern selbst
unter der Teilnahme von Kommissarien dieses Amts, wird wohl niemand be¬
haupten können. Wären die Ergebnisse dieser Kommisstvnsverhandlungen, ja
überhaupt die Ergebnisse der Erhebungen am 13. Januar am Bundesratstische
bekannt gewesen, so Hütte unmöglich der Staatssekretär des Innern dem Ab¬
geordneten Heyl zu Herrnsheim die Versicherung geben können, daß im allge¬
meinen die Vorschläge, die dieser Abgeordnete gemacht habe — er hatte aus¬
drücklich die Aufrechterhaltung des ganz verfehlten nationalliberalen Antrags
vom 11. Februar 1896 erklärt —, „demnächst als solche anzusehen sein würden,
die wir dem Bundesrat zu machen beabsichtigten." Nach dem veröffentlichten
Bericht des statistischen Amts und nach dessen Ergänzung in der Norddeutschen
Allgemeinen Zeitung paßt der Antrag des Freiherrn Heyl zu Herrnsheim und
Genossen zu den Ergebnissen der amtlichen Ermittlungen wie die Faust aufs Auge.
Dieser Antrag steht, wie wir seinerzeit bereits nachdrücklich betont haben, ganz
und gar unter dem Bann der aus Amerika und England herübergeholten Weisheit
ohne alle Rücksicht auf die in Deutschland ebenso wie in Frankreich ganz anders
gestalteten Verhältnisse. Wir sehen hier wieder eine mangelhafte Orientirung
am Bundesratstisch über brennende Fragen der sogenannten Arbeiterstatistik,
wie wir sie bei den Verhandlungen über den hamburgischen Aufstand zu be¬
klagen hatten. Sollte Herr von Bötticher jetzt nicht endlich einsehen, daß er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/145>, abgerufen am 21.05.2024.