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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Jacke ausgespannt hatte, ließ es sich nicht nehmen, zu den Herren in die Herren¬
stube zu treten.

Vorsicht, Markus, sagte der Wirt, der bei allen Streichen die Hauptrolle zu
spielen pflegte, wir Pannewitzer schießen. Damit griff er in seine Brusttasche und
holte eine halbe Bratwurst heraus, mit der er wie mit einer Pistole auf Markus
anschlug.

Gott der Gerechte! rief dieser erschrocken, machen Se keine Dummheiten, wie
leicht kann so ein Ding losgehen.

Das gab ein großes Hallo, und die Geschichte wurde gleich in der ganzen
Stadt weiter erzählt. Aber der Witz fand keinen rechten Anklang. Das Tages¬
ereignis war zum Scherzen zu ernst.

Man hätte den Scherz ruhig gelten lassen können, denn das Duell hatte keine
schlimmen Folgen. Für Schlegel gab es ein paar unbequeme Wochen im Privat-
krankenhause zu M. und eine gesalzne Rechnung. Schlegel zahlte ganz gern, als
Handgeld darauf, wieder in sein Erbrecht eintreten zu können. Auch Springstucke
trat in seine Würden wieder ein. Man wählte ihn, wie früher, wieder zum Vor¬
stande der Zuckerfabrik. Ja man hält es für wahrscheinlich, daß er, wenn der alte
Reimberg sein Amt niederlegt, zum unbesoldeten Stadtrat gewählt werden wird.
Wird er doch dann zu seinen bisherigen Verdiensten auch deu Lorbeer des Helden
und die Auszeichnung eines Mannes, der zwei Monate auf der Festung gesessen
hat, hinzufügen können.




^Maßgebliches und Unmaßgebliches
Agrarier-, Arbeiter- und Häudlersorgen.

Der arme preußische Laud-
wirtschaftsminister! Wie haben ihn doch seine guten Freunde und Mitagrarier
wieder gepeinigt! Daß es Pflicht der Regierung ist, der Einschleppung von Vieh-
und Menschenseucheu nach Möglichkeit vorzubeugen, versteht sich jn von selbst; aber
daß in Fällen, wo es sich um das liebe Vieh handelt, eine mit dem agrarischen
Interesse so unlöslich verbundne Regierung wie die preußische uicht schon ans freien
Stücken das Menschenmögliche gethan haben sollte, das glaubt doch wohl niemand.
Zunächst denkt mau bei jeder Viehseuchendebatte an das Wort eines englischen
Ministers, das Hasbach anführt! "'s ist doch merkwürdig; jedesmal, wenn in Eng¬
land das Rindfleisch abschlägt, bricht auf dem Kontinent die Rinderpest aus."
Dann aber, wenn man erwägt, daß seit Jahrzehnten jeder Staat den andern der
Verseuchung anklagt, fühlt mau sich zu einer Frage an die Wissenschaft ge¬
drängt, die wir schou vor einigen Jahren einmal ausgesprochen haben. Müssen
denn die Viehkrankheiten eingeschleppt sein? Wenn sie in allen Ländern wüten,
liegt da nicht die Vermutung nahe, daß sie an dem Orte entstehen, wo sie aus-
brechen? Und sollte uicht gerade die rationelle, d. h. mit der Rücksicht auf den
größten möglichen Geldertrag betriebne Landwirtschaft daran schuld sein, daß das
Vieh so leicht krank wird? Sollten nicht für die Gesundheit des Viehes dieselben
Bedingungen gelten wie für die Menschen? Würden Menschen gesund bleiben,
die zeitlebens in den Stall gesperrt und in einer Weise behandelt würden, die ihren
Körper zu einer übermäßigen Fleisch- oder Fett- oder Milchprodukten zwänge?


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Jacke ausgespannt hatte, ließ es sich nicht nehmen, zu den Herren in die Herren¬
stube zu treten.

Vorsicht, Markus, sagte der Wirt, der bei allen Streichen die Hauptrolle zu
spielen pflegte, wir Pannewitzer schießen. Damit griff er in seine Brusttasche und
holte eine halbe Bratwurst heraus, mit der er wie mit einer Pistole auf Markus
anschlug.

Gott der Gerechte! rief dieser erschrocken, machen Se keine Dummheiten, wie
leicht kann so ein Ding losgehen.

Das gab ein großes Hallo, und die Geschichte wurde gleich in der ganzen
Stadt weiter erzählt. Aber der Witz fand keinen rechten Anklang. Das Tages¬
ereignis war zum Scherzen zu ernst.

Man hätte den Scherz ruhig gelten lassen können, denn das Duell hatte keine
schlimmen Folgen. Für Schlegel gab es ein paar unbequeme Wochen im Privat-
krankenhause zu M. und eine gesalzne Rechnung. Schlegel zahlte ganz gern, als
Handgeld darauf, wieder in sein Erbrecht eintreten zu können. Auch Springstucke
trat in seine Würden wieder ein. Man wählte ihn, wie früher, wieder zum Vor¬
stande der Zuckerfabrik. Ja man hält es für wahrscheinlich, daß er, wenn der alte
Reimberg sein Amt niederlegt, zum unbesoldeten Stadtrat gewählt werden wird.
Wird er doch dann zu seinen bisherigen Verdiensten auch deu Lorbeer des Helden
und die Auszeichnung eines Mannes, der zwei Monate auf der Festung gesessen
hat, hinzufügen können.




^Maßgebliches und Unmaßgebliches
Agrarier-, Arbeiter- und Häudlersorgen.

Der arme preußische Laud-
wirtschaftsminister! Wie haben ihn doch seine guten Freunde und Mitagrarier
wieder gepeinigt! Daß es Pflicht der Regierung ist, der Einschleppung von Vieh-
und Menschenseucheu nach Möglichkeit vorzubeugen, versteht sich jn von selbst; aber
daß in Fällen, wo es sich um das liebe Vieh handelt, eine mit dem agrarischen
Interesse so unlöslich verbundne Regierung wie die preußische uicht schon ans freien
Stücken das Menschenmögliche gethan haben sollte, das glaubt doch wohl niemand.
Zunächst denkt mau bei jeder Viehseuchendebatte an das Wort eines englischen
Ministers, das Hasbach anführt! „'s ist doch merkwürdig; jedesmal, wenn in Eng¬
land das Rindfleisch abschlägt, bricht auf dem Kontinent die Rinderpest aus."
Dann aber, wenn man erwägt, daß seit Jahrzehnten jeder Staat den andern der
Verseuchung anklagt, fühlt mau sich zu einer Frage an die Wissenschaft ge¬
drängt, die wir schou vor einigen Jahren einmal ausgesprochen haben. Müssen
denn die Viehkrankheiten eingeschleppt sein? Wenn sie in allen Ländern wüten,
liegt da nicht die Vermutung nahe, daß sie an dem Orte entstehen, wo sie aus-
brechen? Und sollte uicht gerade die rationelle, d. h. mit der Rücksicht auf den
größten möglichen Geldertrag betriebne Landwirtschaft daran schuld sein, daß das
Vieh so leicht krank wird? Sollten nicht für die Gesundheit des Viehes dieselben
Bedingungen gelten wie für die Menschen? Würden Menschen gesund bleiben,
die zeitlebens in den Stall gesperrt und in einer Weise behandelt würden, die ihren
Körper zu einer übermäßigen Fleisch- oder Fett- oder Milchprodukten zwänge?


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[0323] Maßgebliches und Unmaßgebliches Jacke ausgespannt hatte, ließ es sich nicht nehmen, zu den Herren in die Herren¬ stube zu treten. Vorsicht, Markus, sagte der Wirt, der bei allen Streichen die Hauptrolle zu spielen pflegte, wir Pannewitzer schießen. Damit griff er in seine Brusttasche und holte eine halbe Bratwurst heraus, mit der er wie mit einer Pistole auf Markus anschlug. Gott der Gerechte! rief dieser erschrocken, machen Se keine Dummheiten, wie leicht kann so ein Ding losgehen. Das gab ein großes Hallo, und die Geschichte wurde gleich in der ganzen Stadt weiter erzählt. Aber der Witz fand keinen rechten Anklang. Das Tages¬ ereignis war zum Scherzen zu ernst. Man hätte den Scherz ruhig gelten lassen können, denn das Duell hatte keine schlimmen Folgen. Für Schlegel gab es ein paar unbequeme Wochen im Privat- krankenhause zu M. und eine gesalzne Rechnung. Schlegel zahlte ganz gern, als Handgeld darauf, wieder in sein Erbrecht eintreten zu können. Auch Springstucke trat in seine Würden wieder ein. Man wählte ihn, wie früher, wieder zum Vor¬ stande der Zuckerfabrik. Ja man hält es für wahrscheinlich, daß er, wenn der alte Reimberg sein Amt niederlegt, zum unbesoldeten Stadtrat gewählt werden wird. Wird er doch dann zu seinen bisherigen Verdiensten auch deu Lorbeer des Helden und die Auszeichnung eines Mannes, der zwei Monate auf der Festung gesessen hat, hinzufügen können. ^Maßgebliches und Unmaßgebliches Agrarier-, Arbeiter- und Häudlersorgen. Der arme preußische Laud- wirtschaftsminister! Wie haben ihn doch seine guten Freunde und Mitagrarier wieder gepeinigt! Daß es Pflicht der Regierung ist, der Einschleppung von Vieh- und Menschenseucheu nach Möglichkeit vorzubeugen, versteht sich jn von selbst; aber daß in Fällen, wo es sich um das liebe Vieh handelt, eine mit dem agrarischen Interesse so unlöslich verbundne Regierung wie die preußische uicht schon ans freien Stücken das Menschenmögliche gethan haben sollte, das glaubt doch wohl niemand. Zunächst denkt mau bei jeder Viehseuchendebatte an das Wort eines englischen Ministers, das Hasbach anführt! „'s ist doch merkwürdig; jedesmal, wenn in Eng¬ land das Rindfleisch abschlägt, bricht auf dem Kontinent die Rinderpest aus." Dann aber, wenn man erwägt, daß seit Jahrzehnten jeder Staat den andern der Verseuchung anklagt, fühlt mau sich zu einer Frage an die Wissenschaft ge¬ drängt, die wir schou vor einigen Jahren einmal ausgesprochen haben. Müssen denn die Viehkrankheiten eingeschleppt sein? Wenn sie in allen Ländern wüten, liegt da nicht die Vermutung nahe, daß sie an dem Orte entstehen, wo sie aus- brechen? Und sollte uicht gerade die rationelle, d. h. mit der Rücksicht auf den größten möglichen Geldertrag betriebne Landwirtschaft daran schuld sein, daß das Vieh so leicht krank wird? Sollten nicht für die Gesundheit des Viehes dieselben Bedingungen gelten wie für die Menschen? Würden Menschen gesund bleiben, die zeitlebens in den Stall gesperrt und in einer Weise behandelt würden, die ihren Körper zu einer übermäßigen Fleisch- oder Fett- oder Milchprodukten zwänge?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/323>, abgerufen am 01.05.2024.