Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Diktaturparagraph und das Sozialistengesetz

Geltung bringen, aber, obwohl die Lage schon längst drohend war, hatten wir
dort kein einziges brauchbares Kriegsschiff, und mußten es erleben, was einer
Großmacht geradezu unwürdig war, daß bei der Besetzung der drei Häfen
Deutschland zunächst ganz unvertreten blieb. Während England, Rußland,
Frankreich hundert Mann ausschifften, setzte zwar Italien auch hundert Mann
ans Land, aber Österreich nur fünfzig Mann und Deutschland -- keinen! Und
auch wenn die "Kaiserin Augusta" ihr Ziel erreicht hat, so werden wir dort
eben nur durch dies eine Schiff vertreten sein, während alle andern Mächte
dort ganze Geschwader haben, England allein vierzig zum Teil schwere Schiffe.
Das ist der Dreibund im Mittelmeer! Die Schamröte sollte uns ins Gesicht
steigen, daß es so ist! Und es wird so bleiben, bis wir die Flotte haben, die
wir brauchen, um unsre Zukunft zu retten. Denn kommt es irgendwo zum
Bruche, dann wird uns erst die Flotte bündnisfähig machen, nicht das Landheer
allein, und uns den Anteil an der Welt sichern, den wir brauchen, wenn wir
nicht verkümmern wollen. An der Spitze des Reichs steht ein entschlossener
und klarer Wille; es ist jetzt die drängendste nationale Pflicht, dem Kaiser
zu geben, was des Kaisers ist, und das ist heute eine leistungsfähige, starke
Flotte.




Der Diktaturparagraph und das ^ozialistengesetz
Linn Kühn von

eher den Diktaturparagraphen ist schon sehr viel gesprochen und
geschrieben worden, aber die wenigsten seiner Verfechter oder seiner
Gegner kennen ihn wirklich. Bei einer Debatte über seinen Wert
ist es vorgekommen, daß auf die Frage, wer ihn gelesen habe,
keiner bejahend antworten konnte, obgleich mancher reichsländische
Jurist anwesend war. Ich möchte daher die Erörterung damit beginnen, daß
ich das "Streitobjekt" feststelle.

Die ursprüngliche und vollständige Fassung findet sich im Z 10 des Ge¬
setzes vom 3V. Dezember 1871 und lautet: "Bei Gefahr für die öffentliche
Sicherheit ist der Oberpräsident ermächtigt, alle Maßregeln ungesäumt zu
treffen, die er zur Abwendung der Gefahr für erforderlich erachtet. Er ist
insbesondre befugt, innerhalb des der Gefahr ausgesetzten Bezirks diejenigen
Gewalten auszuüben, welche der 9 des Gesetzes vom 9. August 184'"


Der Diktaturparagraph und das Sozialistengesetz

Geltung bringen, aber, obwohl die Lage schon längst drohend war, hatten wir
dort kein einziges brauchbares Kriegsschiff, und mußten es erleben, was einer
Großmacht geradezu unwürdig war, daß bei der Besetzung der drei Häfen
Deutschland zunächst ganz unvertreten blieb. Während England, Rußland,
Frankreich hundert Mann ausschifften, setzte zwar Italien auch hundert Mann
ans Land, aber Österreich nur fünfzig Mann und Deutschland — keinen! Und
auch wenn die „Kaiserin Augusta" ihr Ziel erreicht hat, so werden wir dort
eben nur durch dies eine Schiff vertreten sein, während alle andern Mächte
dort ganze Geschwader haben, England allein vierzig zum Teil schwere Schiffe.
Das ist der Dreibund im Mittelmeer! Die Schamröte sollte uns ins Gesicht
steigen, daß es so ist! Und es wird so bleiben, bis wir die Flotte haben, die
wir brauchen, um unsre Zukunft zu retten. Denn kommt es irgendwo zum
Bruche, dann wird uns erst die Flotte bündnisfähig machen, nicht das Landheer
allein, und uns den Anteil an der Welt sichern, den wir brauchen, wenn wir
nicht verkümmern wollen. An der Spitze des Reichs steht ein entschlossener
und klarer Wille; es ist jetzt die drängendste nationale Pflicht, dem Kaiser
zu geben, was des Kaisers ist, und das ist heute eine leistungsfähige, starke
Flotte.




Der Diktaturparagraph und das ^ozialistengesetz
Linn Kühn von

eher den Diktaturparagraphen ist schon sehr viel gesprochen und
geschrieben worden, aber die wenigsten seiner Verfechter oder seiner
Gegner kennen ihn wirklich. Bei einer Debatte über seinen Wert
ist es vorgekommen, daß auf die Frage, wer ihn gelesen habe,
keiner bejahend antworten konnte, obgleich mancher reichsländische
Jurist anwesend war. Ich möchte daher die Erörterung damit beginnen, daß
ich das „Streitobjekt" feststelle.

Die ursprüngliche und vollständige Fassung findet sich im Z 10 des Ge¬
setzes vom 3V. Dezember 1871 und lautet: „Bei Gefahr für die öffentliche
Sicherheit ist der Oberpräsident ermächtigt, alle Maßregeln ungesäumt zu
treffen, die er zur Abwendung der Gefahr für erforderlich erachtet. Er ist
insbesondre befugt, innerhalb des der Gefahr ausgesetzten Bezirks diejenigen
Gewalten auszuüben, welche der 9 des Gesetzes vom 9. August 184'»


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0381" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224627"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Diktaturparagraph und das Sozialistengesetz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1136" prev="#ID_1135"> Geltung bringen, aber, obwohl die Lage schon längst drohend war, hatten wir<lb/>
dort kein einziges brauchbares Kriegsschiff, und mußten es erleben, was einer<lb/>
Großmacht geradezu unwürdig war, daß bei der Besetzung der drei Häfen<lb/>
Deutschland zunächst ganz unvertreten blieb. Während England, Rußland,<lb/>
Frankreich hundert Mann ausschifften, setzte zwar Italien auch hundert Mann<lb/>
ans Land, aber Österreich nur fünfzig Mann und Deutschland &#x2014; keinen! Und<lb/>
auch wenn die &#x201E;Kaiserin Augusta" ihr Ziel erreicht hat, so werden wir dort<lb/>
eben nur durch dies eine Schiff vertreten sein, während alle andern Mächte<lb/>
dort ganze Geschwader haben, England allein vierzig zum Teil schwere Schiffe.<lb/>
Das ist der Dreibund im Mittelmeer! Die Schamröte sollte uns ins Gesicht<lb/>
steigen, daß es so ist! Und es wird so bleiben, bis wir die Flotte haben, die<lb/>
wir brauchen, um unsre Zukunft zu retten. Denn kommt es irgendwo zum<lb/>
Bruche, dann wird uns erst die Flotte bündnisfähig machen, nicht das Landheer<lb/>
allein, und uns den Anteil an der Welt sichern, den wir brauchen, wenn wir<lb/>
nicht verkümmern wollen. An der Spitze des Reichs steht ein entschlossener<lb/>
und klarer Wille; es ist jetzt die drängendste nationale Pflicht, dem Kaiser<lb/>
zu geben, was des Kaisers ist, und das ist heute eine leistungsfähige, starke<lb/>
Flotte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Diktaturparagraph und das ^ozialistengesetz<lb/><note type="byline"> Linn Kühn</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1137"> eher den Diktaturparagraphen ist schon sehr viel gesprochen und<lb/>
geschrieben worden, aber die wenigsten seiner Verfechter oder seiner<lb/>
Gegner kennen ihn wirklich. Bei einer Debatte über seinen Wert<lb/>
ist es vorgekommen, daß auf die Frage, wer ihn gelesen habe,<lb/>
keiner bejahend antworten konnte, obgleich mancher reichsländische<lb/>
Jurist anwesend war. Ich möchte daher die Erörterung damit beginnen, daß<lb/>
ich das &#x201E;Streitobjekt" feststelle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1138" next="#ID_1139"> Die ursprüngliche und vollständige Fassung findet sich im Z 10 des Ge¬<lb/>
setzes vom 3V. Dezember 1871 und lautet: &#x201E;Bei Gefahr für die öffentliche<lb/>
Sicherheit ist der Oberpräsident ermächtigt, alle Maßregeln ungesäumt zu<lb/>
treffen, die er zur Abwendung der Gefahr für erforderlich erachtet. Er ist<lb/>
insbesondre befugt, innerhalb des der Gefahr ausgesetzten Bezirks diejenigen<lb/>
Gewalten auszuüben, welche der   9 des Gesetzes vom 9. August 184'»</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0381] Der Diktaturparagraph und das Sozialistengesetz Geltung bringen, aber, obwohl die Lage schon längst drohend war, hatten wir dort kein einziges brauchbares Kriegsschiff, und mußten es erleben, was einer Großmacht geradezu unwürdig war, daß bei der Besetzung der drei Häfen Deutschland zunächst ganz unvertreten blieb. Während England, Rußland, Frankreich hundert Mann ausschifften, setzte zwar Italien auch hundert Mann ans Land, aber Österreich nur fünfzig Mann und Deutschland — keinen! Und auch wenn die „Kaiserin Augusta" ihr Ziel erreicht hat, so werden wir dort eben nur durch dies eine Schiff vertreten sein, während alle andern Mächte dort ganze Geschwader haben, England allein vierzig zum Teil schwere Schiffe. Das ist der Dreibund im Mittelmeer! Die Schamröte sollte uns ins Gesicht steigen, daß es so ist! Und es wird so bleiben, bis wir die Flotte haben, die wir brauchen, um unsre Zukunft zu retten. Denn kommt es irgendwo zum Bruche, dann wird uns erst die Flotte bündnisfähig machen, nicht das Landheer allein, und uns den Anteil an der Welt sichern, den wir brauchen, wenn wir nicht verkümmern wollen. An der Spitze des Reichs steht ein entschlossener und klarer Wille; es ist jetzt die drängendste nationale Pflicht, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und das ist heute eine leistungsfähige, starke Flotte. Der Diktaturparagraph und das ^ozialistengesetz Linn Kühn von eher den Diktaturparagraphen ist schon sehr viel gesprochen und geschrieben worden, aber die wenigsten seiner Verfechter oder seiner Gegner kennen ihn wirklich. Bei einer Debatte über seinen Wert ist es vorgekommen, daß auf die Frage, wer ihn gelesen habe, keiner bejahend antworten konnte, obgleich mancher reichsländische Jurist anwesend war. Ich möchte daher die Erörterung damit beginnen, daß ich das „Streitobjekt" feststelle. Die ursprüngliche und vollständige Fassung findet sich im Z 10 des Ge¬ setzes vom 3V. Dezember 1871 und lautet: „Bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist der Oberpräsident ermächtigt, alle Maßregeln ungesäumt zu treffen, die er zur Abwendung der Gefahr für erforderlich erachtet. Er ist insbesondre befugt, innerhalb des der Gefahr ausgesetzten Bezirks diejenigen Gewalten auszuüben, welche der 9 des Gesetzes vom 9. August 184'»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/381
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/381>, abgerufen am 01.05.2024.