Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Naturgeschichte der Maler

es nötig war, daß der Verfasser die Nächte, die er mit Negermädchen von
Curayao und Sanchez auf San Domingo zugebracht hat, des Vreitern schildert,
lassen wir dahingestellt, für "modern" wird es ja gelten! Einmal sagt er:
"Ein Kind ist der Neger, und die Freiheit des schwarzen Republikaners erscheint
mir nun(?) als die glückliche Freiheit eines Kindes, das sich nicht zu waschen
und seine Schularbeiten nicht zu machen braucht. Das Leben ist hier kein
strenger Lehrer und die Tropennatur eine gütige Mutter, die auch dem Faul¬
pelz aus ihrem Überfluß zu essen giebt. Offen gestanden, im Morgenrot
meines Lebens habe ich mich zuweilen nach solcher Freiheit gesehnt." Offen
gestanden will es uns scheinen, als ob diese Freiheitssehnsucht bei dem Ver¬
fasser das Morgenrot seines Daseins weit überdauert Hütte. Als ihm auf der
Heimfahrt die Küste von England zuerst wieder in Sicht kommt, schreibt er:
"Mein Herz hat aufgejubelt, wie all die andern Herzen. Aber dann beschleicht
mich unüberwindlich ein geheimes Bangen, das sich schwerer und schwerer auf
die Flügel meiner Freude legt. Nun, da das Wiedersehn nahe ist, habe ich
Furcht. Ich sehe das alte Europa vor mir, wie einen wimmelnden Ameisen¬
haufen, mit seinem wüsten, Menschengedränge, mit seinem wilden Kampfe ums
Brot. Unwillkürlich schaue ich zurück auf die weite einsame See. So schon
habe ich dort geträumt, so fern von aller Wirklichkeit." Wenn er dann zuletzt
angesichts des Hafens von Hamburg doch wieder ausruft: "O Heimat, du
kampffrohe und traumselige Heimat, die du so stolz und sicher in eigner Kraft
ruhst -- laß mich deiner würdig werden!" so stimmt man seinem Wunsche
zwar von Herzen zu, sagt sich aber doch, daß Bücher wie "Unter fremder
Sonne" in mehr als einem Sinne für unsre Jugend Danaergeschenke wären.




Zur Naturgeschichte der Maler
von Wolfgang von Vettingen

in Naturgeschichte behandelt den Menschen, obgleich er in seiner
bessern Hälfte die ganze. Schöpfung krönt, doch etwas stief¬
mütterlich. Sie nennt ihn Homo saxiLns liiimiuzi, und schon
das klingt wie ein stichelnder Spott, denn gerade vom Standpunkte
der Natur und von dem der Geschichte aus erscheint er viel öfter
insivisns als s-Mons. So erhält das wissenschaftliche Beiwort eine ironische
Höflichkeit und haftet als eine Art von sittlicher Forderung quälend an uns


Zur Naturgeschichte der Maler

es nötig war, daß der Verfasser die Nächte, die er mit Negermädchen von
Curayao und Sanchez auf San Domingo zugebracht hat, des Vreitern schildert,
lassen wir dahingestellt, für „modern" wird es ja gelten! Einmal sagt er:
„Ein Kind ist der Neger, und die Freiheit des schwarzen Republikaners erscheint
mir nun(?) als die glückliche Freiheit eines Kindes, das sich nicht zu waschen
und seine Schularbeiten nicht zu machen braucht. Das Leben ist hier kein
strenger Lehrer und die Tropennatur eine gütige Mutter, die auch dem Faul¬
pelz aus ihrem Überfluß zu essen giebt. Offen gestanden, im Morgenrot
meines Lebens habe ich mich zuweilen nach solcher Freiheit gesehnt." Offen
gestanden will es uns scheinen, als ob diese Freiheitssehnsucht bei dem Ver¬
fasser das Morgenrot seines Daseins weit überdauert Hütte. Als ihm auf der
Heimfahrt die Küste von England zuerst wieder in Sicht kommt, schreibt er:
„Mein Herz hat aufgejubelt, wie all die andern Herzen. Aber dann beschleicht
mich unüberwindlich ein geheimes Bangen, das sich schwerer und schwerer auf
die Flügel meiner Freude legt. Nun, da das Wiedersehn nahe ist, habe ich
Furcht. Ich sehe das alte Europa vor mir, wie einen wimmelnden Ameisen¬
haufen, mit seinem wüsten, Menschengedränge, mit seinem wilden Kampfe ums
Brot. Unwillkürlich schaue ich zurück auf die weite einsame See. So schon
habe ich dort geträumt, so fern von aller Wirklichkeit." Wenn er dann zuletzt
angesichts des Hafens von Hamburg doch wieder ausruft: „O Heimat, du
kampffrohe und traumselige Heimat, die du so stolz und sicher in eigner Kraft
ruhst — laß mich deiner würdig werden!" so stimmt man seinem Wunsche
zwar von Herzen zu, sagt sich aber doch, daß Bücher wie „Unter fremder
Sonne" in mehr als einem Sinne für unsre Jugend Danaergeschenke wären.




Zur Naturgeschichte der Maler
von Wolfgang von Vettingen

in Naturgeschichte behandelt den Menschen, obgleich er in seiner
bessern Hälfte die ganze. Schöpfung krönt, doch etwas stief¬
mütterlich. Sie nennt ihn Homo saxiLns liiimiuzi, und schon
das klingt wie ein stichelnder Spott, denn gerade vom Standpunkte
der Natur und von dem der Geschichte aus erscheint er viel öfter
insivisns als s-Mons. So erhält das wissenschaftliche Beiwort eine ironische
Höflichkeit und haftet als eine Art von sittlicher Forderung quälend an uns


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0656" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224902"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Naturgeschichte der Maler</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2151" prev="#ID_2150"> es nötig war, daß der Verfasser die Nächte, die er mit Negermädchen von<lb/>
Curayao und Sanchez auf San Domingo zugebracht hat, des Vreitern schildert,<lb/>
lassen wir dahingestellt, für &#x201E;modern" wird es ja gelten! Einmal sagt er:<lb/>
&#x201E;Ein Kind ist der Neger, und die Freiheit des schwarzen Republikaners erscheint<lb/>
mir nun(?) als die glückliche Freiheit eines Kindes, das sich nicht zu waschen<lb/>
und seine Schularbeiten nicht zu machen braucht. Das Leben ist hier kein<lb/>
strenger Lehrer und die Tropennatur eine gütige Mutter, die auch dem Faul¬<lb/>
pelz aus ihrem Überfluß zu essen giebt. Offen gestanden, im Morgenrot<lb/>
meines Lebens habe ich mich zuweilen nach solcher Freiheit gesehnt." Offen<lb/>
gestanden will es uns scheinen, als ob diese Freiheitssehnsucht bei dem Ver¬<lb/>
fasser das Morgenrot seines Daseins weit überdauert Hütte. Als ihm auf der<lb/>
Heimfahrt die Küste von England zuerst wieder in Sicht kommt, schreibt er:<lb/>
&#x201E;Mein Herz hat aufgejubelt, wie all die andern Herzen. Aber dann beschleicht<lb/>
mich unüberwindlich ein geheimes Bangen, das sich schwerer und schwerer auf<lb/>
die Flügel meiner Freude legt. Nun, da das Wiedersehn nahe ist, habe ich<lb/>
Furcht. Ich sehe das alte Europa vor mir, wie einen wimmelnden Ameisen¬<lb/>
haufen, mit seinem wüsten, Menschengedränge, mit seinem wilden Kampfe ums<lb/>
Brot. Unwillkürlich schaue ich zurück auf die weite einsame See. So schon<lb/>
habe ich dort geträumt, so fern von aller Wirklichkeit." Wenn er dann zuletzt<lb/>
angesichts des Hafens von Hamburg doch wieder ausruft: &#x201E;O Heimat, du<lb/>
kampffrohe und traumselige Heimat, die du so stolz und sicher in eigner Kraft<lb/>
ruhst &#x2014; laß mich deiner würdig werden!" so stimmt man seinem Wunsche<lb/>
zwar von Herzen zu, sagt sich aber doch, daß Bücher wie &#x201E;Unter fremder<lb/>
Sonne" in mehr als einem Sinne für unsre Jugend Danaergeschenke wären.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur Naturgeschichte der Maler<lb/><note type="byline"> von Wolfgang von Vettingen</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_2152" next="#ID_2153"> in Naturgeschichte behandelt den Menschen, obgleich er in seiner<lb/>
bessern Hälfte die ganze. Schöpfung krönt, doch etwas stief¬<lb/>
mütterlich. Sie nennt ihn Homo saxiLns liiimiuzi, und schon<lb/>
das klingt wie ein stichelnder Spott, denn gerade vom Standpunkte<lb/>
der Natur und von dem der Geschichte aus erscheint er viel öfter<lb/>
insivisns als s-Mons. So erhält das wissenschaftliche Beiwort eine ironische<lb/>
Höflichkeit und haftet als eine Art von sittlicher Forderung quälend an uns</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0656] Zur Naturgeschichte der Maler es nötig war, daß der Verfasser die Nächte, die er mit Negermädchen von Curayao und Sanchez auf San Domingo zugebracht hat, des Vreitern schildert, lassen wir dahingestellt, für „modern" wird es ja gelten! Einmal sagt er: „Ein Kind ist der Neger, und die Freiheit des schwarzen Republikaners erscheint mir nun(?) als die glückliche Freiheit eines Kindes, das sich nicht zu waschen und seine Schularbeiten nicht zu machen braucht. Das Leben ist hier kein strenger Lehrer und die Tropennatur eine gütige Mutter, die auch dem Faul¬ pelz aus ihrem Überfluß zu essen giebt. Offen gestanden, im Morgenrot meines Lebens habe ich mich zuweilen nach solcher Freiheit gesehnt." Offen gestanden will es uns scheinen, als ob diese Freiheitssehnsucht bei dem Ver¬ fasser das Morgenrot seines Daseins weit überdauert Hütte. Als ihm auf der Heimfahrt die Küste von England zuerst wieder in Sicht kommt, schreibt er: „Mein Herz hat aufgejubelt, wie all die andern Herzen. Aber dann beschleicht mich unüberwindlich ein geheimes Bangen, das sich schwerer und schwerer auf die Flügel meiner Freude legt. Nun, da das Wiedersehn nahe ist, habe ich Furcht. Ich sehe das alte Europa vor mir, wie einen wimmelnden Ameisen¬ haufen, mit seinem wüsten, Menschengedränge, mit seinem wilden Kampfe ums Brot. Unwillkürlich schaue ich zurück auf die weite einsame See. So schon habe ich dort geträumt, so fern von aller Wirklichkeit." Wenn er dann zuletzt angesichts des Hafens von Hamburg doch wieder ausruft: „O Heimat, du kampffrohe und traumselige Heimat, die du so stolz und sicher in eigner Kraft ruhst — laß mich deiner würdig werden!" so stimmt man seinem Wunsche zwar von Herzen zu, sagt sich aber doch, daß Bücher wie „Unter fremder Sonne" in mehr als einem Sinne für unsre Jugend Danaergeschenke wären. Zur Naturgeschichte der Maler von Wolfgang von Vettingen in Naturgeschichte behandelt den Menschen, obgleich er in seiner bessern Hälfte die ganze. Schöpfung krönt, doch etwas stief¬ mütterlich. Sie nennt ihn Homo saxiLns liiimiuzi, und schon das klingt wie ein stichelnder Spott, denn gerade vom Standpunkte der Natur und von dem der Geschichte aus erscheint er viel öfter insivisns als s-Mons. So erhält das wissenschaftliche Beiwort eine ironische Höflichkeit und haftet als eine Art von sittlicher Forderung quälend an uns

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/656
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/656>, abgerufen am 01.05.2024.