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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Schulmißhandlungen

Diese tüchtige deutsche Gesinnung bringen vor allem auch die "Lieder aus
Frankreich" zum Ausdruck, die, seinerzeit ohne des Dichters Namen erschienen,
nun die vorliegende Sammlung abschließen. Sie überflügeln weit alles, was
der große Krieg 1870/71 an Kriegslyrik hervorgebracht hat, jene Entrüstungs¬
schreie und Schlachtgesänge, die seit den Kriegsjahren durch die Schulen
geschleppt werden und noch heute nachtröpfeln. Imsen ist kein Freund des
Krieges mit seinem Morden und Blutvergießen, aber "der Krieg muß sein,
wie der scharfe Ost, der die Welt von Krankheit reinigt! Es muß ja sein,
daß sich unser Volk gegen den Mord verteidigt!" Und dieses Gefühl, daß
wir für das Heiligste, was jeder im Herzen bewahrt, im Felde stehen, giebt
uns die Kraft zum Vollenden, macht uns das Biedre und Rauhe des Krieges
süß und angenehm. Die erduldeten Strapazen wandeln sich in frohe Er¬
innerungen um, und mit köstlichem Humor wird das lustige Soldatenleben
gepriesen. Was diese Jensenschen "Lieder aus Frankreich" ganz besonders
über die neumodische Kriegslyrik erhebt, ist der Takt, mit dem jegliches Ge-
Polter gegen die Franzosen verschmäht wird. Sie sind Menschen wie wir,
und so werden sie, unterliegend, nicht verspottet. Der Jammer des fremden
Landes dringt tief in das Innere des Dichters ein. Er vergleicht Frankreich,
wie es besiegt daliegt, mit der im Leide versteinten kinderlosen Niobe, die
Apollo für ihren Hochmut bestraft hat.

Die Soldatenlieder allein schon sollten dieser Sammlung eine möglichst
große Verbreitung verschaffen. Freilich ein Wunsch, der etwas kühn erscheint
in einer Zeit, wo Gedichtbücher klanglos vorüberzugehen pflegen. Jeder aber,
der sich in diese Lyrik vertieft hat, wird nicht mehr bloß von dem Novellisten
und Romanschriftsteller Imsen sprechen, sondern auch von dem Lyriker. Und
viele werden wahrscheinlich fortan lieber den Lyriker als den Epiker hören
wollen. Ich wenigstens habe diesen Wunsch.


G. M.-P.


Schulmißhandlungen

in vorigen Jahre veröffentlichten die Grenzboten einen Bericht
über Mißhandlungen von Schülern in einer hannoverschen Schule.
Was da erzählt wurde, war so haarsträubend, daß ich, aufrichtig
gesagt, an der Zuverlässigkeit der Berichterstattung zweifelte.
Ich hielt die Schilderung für übertrieben; es schien mir nicht
möglich, daß so etwas in dem Lande der Intelligenz vorkommen könne, noch


Schulmißhandlungen

Diese tüchtige deutsche Gesinnung bringen vor allem auch die „Lieder aus
Frankreich" zum Ausdruck, die, seinerzeit ohne des Dichters Namen erschienen,
nun die vorliegende Sammlung abschließen. Sie überflügeln weit alles, was
der große Krieg 1870/71 an Kriegslyrik hervorgebracht hat, jene Entrüstungs¬
schreie und Schlachtgesänge, die seit den Kriegsjahren durch die Schulen
geschleppt werden und noch heute nachtröpfeln. Imsen ist kein Freund des
Krieges mit seinem Morden und Blutvergießen, aber „der Krieg muß sein,
wie der scharfe Ost, der die Welt von Krankheit reinigt! Es muß ja sein,
daß sich unser Volk gegen den Mord verteidigt!" Und dieses Gefühl, daß
wir für das Heiligste, was jeder im Herzen bewahrt, im Felde stehen, giebt
uns die Kraft zum Vollenden, macht uns das Biedre und Rauhe des Krieges
süß und angenehm. Die erduldeten Strapazen wandeln sich in frohe Er¬
innerungen um, und mit köstlichem Humor wird das lustige Soldatenleben
gepriesen. Was diese Jensenschen „Lieder aus Frankreich" ganz besonders
über die neumodische Kriegslyrik erhebt, ist der Takt, mit dem jegliches Ge-
Polter gegen die Franzosen verschmäht wird. Sie sind Menschen wie wir,
und so werden sie, unterliegend, nicht verspottet. Der Jammer des fremden
Landes dringt tief in das Innere des Dichters ein. Er vergleicht Frankreich,
wie es besiegt daliegt, mit der im Leide versteinten kinderlosen Niobe, die
Apollo für ihren Hochmut bestraft hat.

Die Soldatenlieder allein schon sollten dieser Sammlung eine möglichst
große Verbreitung verschaffen. Freilich ein Wunsch, der etwas kühn erscheint
in einer Zeit, wo Gedichtbücher klanglos vorüberzugehen pflegen. Jeder aber,
der sich in diese Lyrik vertieft hat, wird nicht mehr bloß von dem Novellisten
und Romanschriftsteller Imsen sprechen, sondern auch von dem Lyriker. Und
viele werden wahrscheinlich fortan lieber den Lyriker als den Epiker hören
wollen. Ich wenigstens habe diesen Wunsch.


G. M.-P.


Schulmißhandlungen

in vorigen Jahre veröffentlichten die Grenzboten einen Bericht
über Mißhandlungen von Schülern in einer hannoverschen Schule.
Was da erzählt wurde, war so haarsträubend, daß ich, aufrichtig
gesagt, an der Zuverlässigkeit der Berichterstattung zweifelte.
Ich hielt die Schilderung für übertrieben; es schien mir nicht
möglich, daß so etwas in dem Lande der Intelligenz vorkommen könne, noch


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[0337] Schulmißhandlungen Diese tüchtige deutsche Gesinnung bringen vor allem auch die „Lieder aus Frankreich" zum Ausdruck, die, seinerzeit ohne des Dichters Namen erschienen, nun die vorliegende Sammlung abschließen. Sie überflügeln weit alles, was der große Krieg 1870/71 an Kriegslyrik hervorgebracht hat, jene Entrüstungs¬ schreie und Schlachtgesänge, die seit den Kriegsjahren durch die Schulen geschleppt werden und noch heute nachtröpfeln. Imsen ist kein Freund des Krieges mit seinem Morden und Blutvergießen, aber „der Krieg muß sein, wie der scharfe Ost, der die Welt von Krankheit reinigt! Es muß ja sein, daß sich unser Volk gegen den Mord verteidigt!" Und dieses Gefühl, daß wir für das Heiligste, was jeder im Herzen bewahrt, im Felde stehen, giebt uns die Kraft zum Vollenden, macht uns das Biedre und Rauhe des Krieges süß und angenehm. Die erduldeten Strapazen wandeln sich in frohe Er¬ innerungen um, und mit köstlichem Humor wird das lustige Soldatenleben gepriesen. Was diese Jensenschen „Lieder aus Frankreich" ganz besonders über die neumodische Kriegslyrik erhebt, ist der Takt, mit dem jegliches Ge- Polter gegen die Franzosen verschmäht wird. Sie sind Menschen wie wir, und so werden sie, unterliegend, nicht verspottet. Der Jammer des fremden Landes dringt tief in das Innere des Dichters ein. Er vergleicht Frankreich, wie es besiegt daliegt, mit der im Leide versteinten kinderlosen Niobe, die Apollo für ihren Hochmut bestraft hat. Die Soldatenlieder allein schon sollten dieser Sammlung eine möglichst große Verbreitung verschaffen. Freilich ein Wunsch, der etwas kühn erscheint in einer Zeit, wo Gedichtbücher klanglos vorüberzugehen pflegen. Jeder aber, der sich in diese Lyrik vertieft hat, wird nicht mehr bloß von dem Novellisten und Romanschriftsteller Imsen sprechen, sondern auch von dem Lyriker. Und viele werden wahrscheinlich fortan lieber den Lyriker als den Epiker hören wollen. Ich wenigstens habe diesen Wunsch. G. M.-P. Schulmißhandlungen in vorigen Jahre veröffentlichten die Grenzboten einen Bericht über Mißhandlungen von Schülern in einer hannoverschen Schule. Was da erzählt wurde, war so haarsträubend, daß ich, aufrichtig gesagt, an der Zuverlässigkeit der Berichterstattung zweifelte. Ich hielt die Schilderung für übertrieben; es schien mir nicht möglich, daß so etwas in dem Lande der Intelligenz vorkommen könne, noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/337>, abgerufen am 05.05.2024.