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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Wilhelm Zensen als Lyriker
[Beginn Spaltensatz] Und Wogen der Sehnsucht
Durchsinken die Brust mir
Nach dem, was des Weibes
Bestimmung und Glück:
Die Augen zu tauchen
In fragende Augen
Mit stummer Bejahung --
An Lippen der Liebe
Zu hangen, zu trinken
Berauschende Wonne -- [Spaltenumbruch] Ein Kind zu gebären,
Am Busen zu bergen,
Zu nähren mit eigner
Belebender Kraft --In Armen versunken,
Zu ruhn, zu vergehen
In seligem Traum --Bon Armen umschlungen,
Ein Kind zu empfangen, [Ende Spaltensatz]

Überhaupt kennt Imsen alle Triebe, die sich in Menschenherzen regen, die
Naturkräfte, die eine dämonische Gewalt über uns haben und, wenn sie des
Lebens Majestät packt, mit schwellender Kraft den lähmenden Kettenzwang
der Alltäglichkeit zerreißen, wie jene kleinen Mängel und Gebrechen, die Duld¬
samkeit erheischen, und über die es thöricht wäre sich zu ereifern. Die Menschen
sollen nie vergessen, daß sie Menschen sind und ans der Erde leben. Und in
einem humorvollen Gedicht führt Imsen den Satz Blumauers aus: "Wo
Menschen sind, da sind auch Übel! Mit ihrer Zahl wächst ihre Kümmernis."
Er träumt, daß die Menschheit bis auf ihn und die Geliebte ausgestorben sei.

Da reift die Frucht ihrer Liebesblüte heran und bringt selbst schon neue
Blüten; Sekunden werden zu Jahren, Kinder zu Enkel- und Urenkelscharen:

Alle in der Natur des Menschen liegenden Mängel findet der Dichter
entschuldbar; aber er ist ein bitterer Feind alles Unnatürlichen und Gemachtem.
Heuchelei und Konvention, Etiketten- und Schmarotzerwesen ist ihm im Grunde
seiner Seele zuwider. Er bespöttelt den Egoismus, die Vlasirtheit und Selbst¬
gefälligkeit und geht mit der Verlogenheit scharf ins Gericht. Er ist selten
schroff im Ausdruck, aber wenn er der sogenannten guten Gesellschaft beikommen
kann, wird sein Ton hart, schneidend, scharf. Ihm, der ebenso wie seine
Helden mit Verachtung auf Ämter und Titel herabsieht, der vor keinem Götzen
gekniet hat, müssen alle Knixer und Schmeichler widerlich sein, über sie gießt
er seinen Spott aus. Er buhlt nicht um Gunst, ja er sieht das Beifall¬
klatschen der Menge mißtrauisch an. Nur dann und wann aus gutem Munde
ein Freundeswort zu vernehmen, das scheint ihm ein schöner Ehrenpreis.


Wilhelm Zensen als Lyriker
[Beginn Spaltensatz] Und Wogen der Sehnsucht
Durchsinken die Brust mir
Nach dem, was des Weibes
Bestimmung und Glück:
Die Augen zu tauchen
In fragende Augen
Mit stummer Bejahung —
An Lippen der Liebe
Zu hangen, zu trinken
Berauschende Wonne — [Spaltenumbruch] Ein Kind zu gebären,
Am Busen zu bergen,
Zu nähren mit eigner
Belebender Kraft —In Armen versunken,
Zu ruhn, zu vergehen
In seligem Traum —Bon Armen umschlungen,
Ein Kind zu empfangen, [Ende Spaltensatz]

Überhaupt kennt Imsen alle Triebe, die sich in Menschenherzen regen, die
Naturkräfte, die eine dämonische Gewalt über uns haben und, wenn sie des
Lebens Majestät packt, mit schwellender Kraft den lähmenden Kettenzwang
der Alltäglichkeit zerreißen, wie jene kleinen Mängel und Gebrechen, die Duld¬
samkeit erheischen, und über die es thöricht wäre sich zu ereifern. Die Menschen
sollen nie vergessen, daß sie Menschen sind und ans der Erde leben. Und in
einem humorvollen Gedicht führt Imsen den Satz Blumauers aus: „Wo
Menschen sind, da sind auch Übel! Mit ihrer Zahl wächst ihre Kümmernis."
Er träumt, daß die Menschheit bis auf ihn und die Geliebte ausgestorben sei.

Da reift die Frucht ihrer Liebesblüte heran und bringt selbst schon neue
Blüten; Sekunden werden zu Jahren, Kinder zu Enkel- und Urenkelscharen:

Alle in der Natur des Menschen liegenden Mängel findet der Dichter
entschuldbar; aber er ist ein bitterer Feind alles Unnatürlichen und Gemachtem.
Heuchelei und Konvention, Etiketten- und Schmarotzerwesen ist ihm im Grunde
seiner Seele zuwider. Er bespöttelt den Egoismus, die Vlasirtheit und Selbst¬
gefälligkeit und geht mit der Verlogenheit scharf ins Gericht. Er ist selten
schroff im Ausdruck, aber wenn er der sogenannten guten Gesellschaft beikommen
kann, wird sein Ton hart, schneidend, scharf. Ihm, der ebenso wie seine
Helden mit Verachtung auf Ämter und Titel herabsieht, der vor keinem Götzen
gekniet hat, müssen alle Knixer und Schmeichler widerlich sein, über sie gießt
er seinen Spott aus. Er buhlt nicht um Gunst, ja er sieht das Beifall¬
klatschen der Menge mißtrauisch an. Nur dann und wann aus gutem Munde
ein Freundeswort zu vernehmen, das scheint ihm ein schöner Ehrenpreis.


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[0336] Wilhelm Zensen als Lyriker Und Wogen der Sehnsucht Durchsinken die Brust mir Nach dem, was des Weibes Bestimmung und Glück: Die Augen zu tauchen In fragende Augen Mit stummer Bejahung — An Lippen der Liebe Zu hangen, zu trinken Berauschende Wonne — Ein Kind zu gebären, Am Busen zu bergen, Zu nähren mit eigner Belebender Kraft —In Armen versunken, Zu ruhn, zu vergehen In seligem Traum —Bon Armen umschlungen, Ein Kind zu empfangen, Überhaupt kennt Imsen alle Triebe, die sich in Menschenherzen regen, die Naturkräfte, die eine dämonische Gewalt über uns haben und, wenn sie des Lebens Majestät packt, mit schwellender Kraft den lähmenden Kettenzwang der Alltäglichkeit zerreißen, wie jene kleinen Mängel und Gebrechen, die Duld¬ samkeit erheischen, und über die es thöricht wäre sich zu ereifern. Die Menschen sollen nie vergessen, daß sie Menschen sind und ans der Erde leben. Und in einem humorvollen Gedicht führt Imsen den Satz Blumauers aus: „Wo Menschen sind, da sind auch Übel! Mit ihrer Zahl wächst ihre Kümmernis." Er träumt, daß die Menschheit bis auf ihn und die Geliebte ausgestorben sei. Da reift die Frucht ihrer Liebesblüte heran und bringt selbst schon neue Blüten; Sekunden werden zu Jahren, Kinder zu Enkel- und Urenkelscharen: Alle in der Natur des Menschen liegenden Mängel findet der Dichter entschuldbar; aber er ist ein bitterer Feind alles Unnatürlichen und Gemachtem. Heuchelei und Konvention, Etiketten- und Schmarotzerwesen ist ihm im Grunde seiner Seele zuwider. Er bespöttelt den Egoismus, die Vlasirtheit und Selbst¬ gefälligkeit und geht mit der Verlogenheit scharf ins Gericht. Er ist selten schroff im Ausdruck, aber wenn er der sogenannten guten Gesellschaft beikommen kann, wird sein Ton hart, schneidend, scharf. Ihm, der ebenso wie seine Helden mit Verachtung auf Ämter und Titel herabsieht, der vor keinem Götzen gekniet hat, müssen alle Knixer und Schmeichler widerlich sein, über sie gießt er seinen Spott aus. Er buhlt nicht um Gunst, ja er sieht das Beifall¬ klatschen der Menge mißtrauisch an. Nur dann und wann aus gutem Munde ein Freundeswort zu vernehmen, das scheint ihm ein schöner Ehrenpreis.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/336>, abgerufen am 25.05.2024.