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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Schulmißhandlmigen

weniger, daß solche Roheiten mit Nachsicht behandelt werden könnten, und
das; eine Schule trotz alledem den Ruf der "besten Schule" für sich beanspruche.
Es folgte dann auch eine Berichtigung, wonach die Sache viel harmloser sein
sollte. Davon konnte man glauben, was man wollte. Vertuscht, beschönigt
wird ja bei solchen Gelegenheiten immer.

Kürzlich hat sich nun hier in der Gemeindeschule ein Vorfall zugetragen,
dessen traurige Folgen den deutlichen Beweis dafür liefern, mit welcher ent¬
setzlichen Roheit mitunter von unwürdigen Menschen das Erzieheramt aus¬
geübt wird. Ein Lehrer steht in dem dringenden Verdacht, durch seine Mi߬
handlungen den Tod eines neunjährigen Schulknaben verschuldet zu haben, da
der Knabe unmittelbar nach der an ihm vorgenommenen Züchtigung schwer
erkrankte und nach einigen Tagen schmerzvollen Leidens starb. Das Ergebnis
der gerichtlichen Obduktion ist zwar noch nicht amtlich veröffentlicht worden,
aber der höchst gewissenhafte Arzt, der den Knaben behandelte, hat die bei der
Züchtigung erlittenen Verletzungen als Todesursache angegeben. Auf alle
Fälle liegt eine schwere Überschreitung des Züchtigungsrechts vor, und in der
Bewohnerschaft Schönebergs herrscht eine begreifliche Erregung. Der Hergang
ist so gewesen, daß starke Nerven dazu gehören, auch nnr den Bericht darüber
zu lesen, besonders wenn man an demselben Ort Kinder in die Schule schicken
muß und nicht weiß, wem sie möglicherweise einmal in die Hände fallen können.
Die barbarische Züchtigungsmethode, die den Tod des unglücklichen Kindes
herbeigeführt hat, und die darin besteht, daß der Knabe in gekrümmter Stellung
oder über eine Bank gelegt mit einem Stock geschlagen wird, ist nicht etwa nur
in diesem eine" Falle, sondern öfter gewohnheitsgemäß geübt worden, und nicht
nur von dem einen Lehrer, sondern von mehreren. Besonders erschwerend ist
der Umstand, daß der getötete Knabe nicht etwa einer der schlechtesten Schüler,
sondern, wie seine Zeugnisse beweisen, im ganzen ein fleißiges und braves
Kind war. Der Anlaß der Züchtigung ist gewesen, daß er eine Rechenaufgabe
nicht lösen konnte. Zwischen dem Lehrer und seinem Opfer hat ein förmlicher
Kampf stattgefunden. Der Knabe hat sich gesträubt, ist aber von dem Lehrer
gewaltsam auf die Bank niedergeworfen worden und hat dabei die schweren
innern Verletzungen erlitten, an denen er wahrscheinlich gestorben ist.

Es wird, was sehr glaubhaft ist, berichtet, daß die Kinder nur mit großer
Furcht zu diesem Lehrer in die Schule gegangen sind. Mehrere namentlich
der jüngern Lehrer haben es aber schon seit längerer Zeit ähnlich getrieben,
ohne daß Beschwerden bei den Lehrern selbst oder beim Rektor etwas halfen.
Die von hohem Selbstbewußtsein erfüllten Lehrer pflegen den in dieser An¬
gelegenheit zu ihnen kommenden Eltern unhöfliche Antworten zu geben. Man
kann den Sinn dieser Antworten ungefähr dahin zusammenfassen, daß es das
Recht der Lehrer sei, ihre Schüler so hart zu züchtigen, da diese es nicht
besser verdient Hütten, daß es ihnen übrigens auch nicht schade, wenn nach-


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weniger, daß solche Roheiten mit Nachsicht behandelt werden könnten, und
das; eine Schule trotz alledem den Ruf der „besten Schule" für sich beanspruche.
Es folgte dann auch eine Berichtigung, wonach die Sache viel harmloser sein
sollte. Davon konnte man glauben, was man wollte. Vertuscht, beschönigt
wird ja bei solchen Gelegenheiten immer.

Kürzlich hat sich nun hier in der Gemeindeschule ein Vorfall zugetragen,
dessen traurige Folgen den deutlichen Beweis dafür liefern, mit welcher ent¬
setzlichen Roheit mitunter von unwürdigen Menschen das Erzieheramt aus¬
geübt wird. Ein Lehrer steht in dem dringenden Verdacht, durch seine Mi߬
handlungen den Tod eines neunjährigen Schulknaben verschuldet zu haben, da
der Knabe unmittelbar nach der an ihm vorgenommenen Züchtigung schwer
erkrankte und nach einigen Tagen schmerzvollen Leidens starb. Das Ergebnis
der gerichtlichen Obduktion ist zwar noch nicht amtlich veröffentlicht worden,
aber der höchst gewissenhafte Arzt, der den Knaben behandelte, hat die bei der
Züchtigung erlittenen Verletzungen als Todesursache angegeben. Auf alle
Fälle liegt eine schwere Überschreitung des Züchtigungsrechts vor, und in der
Bewohnerschaft Schönebergs herrscht eine begreifliche Erregung. Der Hergang
ist so gewesen, daß starke Nerven dazu gehören, auch nnr den Bericht darüber
zu lesen, besonders wenn man an demselben Ort Kinder in die Schule schicken
muß und nicht weiß, wem sie möglicherweise einmal in die Hände fallen können.
Die barbarische Züchtigungsmethode, die den Tod des unglücklichen Kindes
herbeigeführt hat, und die darin besteht, daß der Knabe in gekrümmter Stellung
oder über eine Bank gelegt mit einem Stock geschlagen wird, ist nicht etwa nur
in diesem eine» Falle, sondern öfter gewohnheitsgemäß geübt worden, und nicht
nur von dem einen Lehrer, sondern von mehreren. Besonders erschwerend ist
der Umstand, daß der getötete Knabe nicht etwa einer der schlechtesten Schüler,
sondern, wie seine Zeugnisse beweisen, im ganzen ein fleißiges und braves
Kind war. Der Anlaß der Züchtigung ist gewesen, daß er eine Rechenaufgabe
nicht lösen konnte. Zwischen dem Lehrer und seinem Opfer hat ein förmlicher
Kampf stattgefunden. Der Knabe hat sich gesträubt, ist aber von dem Lehrer
gewaltsam auf die Bank niedergeworfen worden und hat dabei die schweren
innern Verletzungen erlitten, an denen er wahrscheinlich gestorben ist.

Es wird, was sehr glaubhaft ist, berichtet, daß die Kinder nur mit großer
Furcht zu diesem Lehrer in die Schule gegangen sind. Mehrere namentlich
der jüngern Lehrer haben es aber schon seit längerer Zeit ähnlich getrieben,
ohne daß Beschwerden bei den Lehrern selbst oder beim Rektor etwas halfen.
Die von hohem Selbstbewußtsein erfüllten Lehrer pflegen den in dieser An¬
gelegenheit zu ihnen kommenden Eltern unhöfliche Antworten zu geben. Man
kann den Sinn dieser Antworten ungefähr dahin zusammenfassen, daß es das
Recht der Lehrer sei, ihre Schüler so hart zu züchtigen, da diese es nicht
besser verdient Hütten, daß es ihnen übrigens auch nicht schade, wenn nach-


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[0338] Schulmißhandlmigen weniger, daß solche Roheiten mit Nachsicht behandelt werden könnten, und das; eine Schule trotz alledem den Ruf der „besten Schule" für sich beanspruche. Es folgte dann auch eine Berichtigung, wonach die Sache viel harmloser sein sollte. Davon konnte man glauben, was man wollte. Vertuscht, beschönigt wird ja bei solchen Gelegenheiten immer. Kürzlich hat sich nun hier in der Gemeindeschule ein Vorfall zugetragen, dessen traurige Folgen den deutlichen Beweis dafür liefern, mit welcher ent¬ setzlichen Roheit mitunter von unwürdigen Menschen das Erzieheramt aus¬ geübt wird. Ein Lehrer steht in dem dringenden Verdacht, durch seine Mi߬ handlungen den Tod eines neunjährigen Schulknaben verschuldet zu haben, da der Knabe unmittelbar nach der an ihm vorgenommenen Züchtigung schwer erkrankte und nach einigen Tagen schmerzvollen Leidens starb. Das Ergebnis der gerichtlichen Obduktion ist zwar noch nicht amtlich veröffentlicht worden, aber der höchst gewissenhafte Arzt, der den Knaben behandelte, hat die bei der Züchtigung erlittenen Verletzungen als Todesursache angegeben. Auf alle Fälle liegt eine schwere Überschreitung des Züchtigungsrechts vor, und in der Bewohnerschaft Schönebergs herrscht eine begreifliche Erregung. Der Hergang ist so gewesen, daß starke Nerven dazu gehören, auch nnr den Bericht darüber zu lesen, besonders wenn man an demselben Ort Kinder in die Schule schicken muß und nicht weiß, wem sie möglicherweise einmal in die Hände fallen können. Die barbarische Züchtigungsmethode, die den Tod des unglücklichen Kindes herbeigeführt hat, und die darin besteht, daß der Knabe in gekrümmter Stellung oder über eine Bank gelegt mit einem Stock geschlagen wird, ist nicht etwa nur in diesem eine» Falle, sondern öfter gewohnheitsgemäß geübt worden, und nicht nur von dem einen Lehrer, sondern von mehreren. Besonders erschwerend ist der Umstand, daß der getötete Knabe nicht etwa einer der schlechtesten Schüler, sondern, wie seine Zeugnisse beweisen, im ganzen ein fleißiges und braves Kind war. Der Anlaß der Züchtigung ist gewesen, daß er eine Rechenaufgabe nicht lösen konnte. Zwischen dem Lehrer und seinem Opfer hat ein förmlicher Kampf stattgefunden. Der Knabe hat sich gesträubt, ist aber von dem Lehrer gewaltsam auf die Bank niedergeworfen worden und hat dabei die schweren innern Verletzungen erlitten, an denen er wahrscheinlich gestorben ist. Es wird, was sehr glaubhaft ist, berichtet, daß die Kinder nur mit großer Furcht zu diesem Lehrer in die Schule gegangen sind. Mehrere namentlich der jüngern Lehrer haben es aber schon seit längerer Zeit ähnlich getrieben, ohne daß Beschwerden bei den Lehrern selbst oder beim Rektor etwas halfen. Die von hohem Selbstbewußtsein erfüllten Lehrer pflegen den in dieser An¬ gelegenheit zu ihnen kommenden Eltern unhöfliche Antworten zu geben. Man kann den Sinn dieser Antworten ungefähr dahin zusammenfassen, daß es das Recht der Lehrer sei, ihre Schüler so hart zu züchtigen, da diese es nicht besser verdient Hütten, daß es ihnen übrigens auch nicht schade, wenn nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/338>, abgerufen am 18.05.2024.