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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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zu vergrößern, aber man lasse Rittergüter unvernichtet. Die Entwicklung,
die die Grundbesitzverteilnng genommen hat, ist eine günstige trotz der schlechten
Zeiten. Bedenkt man nun noch, daß die bäuerliche Kreditorganisationen in den
letzten Jahren einen geradezu erstaunlichen Aufschwung genommen haben und
bei vernünftiger Unterstützung durch die Negierung noch weiter zu nehmen
versprechen, daß sich auch das sonstige auf Selbsthilfe begründete Genossen¬
schaftswesen bei kleinen und mittlern Landwirten außerordentlich bewährt und
Anklang gefunden hat, so darf man wohl mit Recht verlangen: Laßt die
deutschen Bauern mit euern Rezepten und mit euerm Geschwätz vom Bauer¬
elend und Bauernruin endlich einmal in Ruhe!




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der Mittelstand in Köln und Erfurt.

Mit Bauern und Handwerkern
hat sich sowohl die Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik als der
Nationalsoziale Kongreß beschäftigt. Da es ja eben der Verein für Sozialpolitik
ist, der die Untersuchungen der Lage des Handwerks veranstaltet hat, und da Pro¬
fessor Bücher der Referent war, so wußte man im voraus, wie die Handwerker¬
frage in Köln beurteilt werden würde: nicht anders, als sie schon vor der Ver¬
öffentlichung jener Untersuchungen und dann wieder auf Grund dieser in den
Grenzboten immer beurteilt worden ist. Außer Hitze, der als treuer Katholik
pflichtgemäß für das Mittelalter schwärmen muß, hat niemand der Zünftlerei das
Wort geredet und die ungeheuerliche Zwangsorganisation, mit der die Handwerker
jetzt beglückt werden, verteidigt, im Gegenteil, sie ist aufs schärfste verurteilt worden.
Bücher zählte fünf Arten von Veränderung auf, die das Handwerk unter der ver¬
einigten Einwirkung von Technik und Großkapital erleidet: 1. Das Handwerk
wird, wie bei der Weberei, ganz von der Fabrik verdrängt. 2. Das Handwerk
wird nur geschmälert, indem mehrere Handwerke zu einem Fabrikationszweige ver¬
einigt werden, wie in den Wagenbauanstalten, wobei die verschiednen Handwerker
ihre Selbständigkeit einbüßen, oder indem die Großindustrie dem Handwerke nur
die Fabrikation einzelner Artikel nimmt, wie den Klempnern Lampen und Blech¬
gefäße. 3. Die Großindustrie nimmt dem Handwerk die Vorbereitung des Materials
ab und liefert ihm Halbfabrikate. 4. Ein Handwerk wird an eine Großindustrie
angegliedert wie die Böttcherei an die Brauerei, wobei wiederum der Handwerker
seine Selbständigkeit verliert. 5. Durch die Abhängigkeit vom Handel endlich wird
der Handwerker hie und da zum Schwitzarbeiter herabgedrückt. Das Endergebnis
der Übersicht war, daß das Handwerk eigentlich nur noch auf dem Dorfe lebens¬
fähig sei: "es verliert die Stadt und erobert das Land." Dieses Endergebnis
können wir nicht unbedingt gelten lassen. Eine Reihe von Handwerken ist anch
in der Stadt noch so lebensfähig, daß es mit dem Aussterben vorläufig gute Weile
hat, und die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß Änderungen des Geschmacks


zu vergrößern, aber man lasse Rittergüter unvernichtet. Die Entwicklung,
die die Grundbesitzverteilnng genommen hat, ist eine günstige trotz der schlechten
Zeiten. Bedenkt man nun noch, daß die bäuerliche Kreditorganisationen in den
letzten Jahren einen geradezu erstaunlichen Aufschwung genommen haben und
bei vernünftiger Unterstützung durch die Negierung noch weiter zu nehmen
versprechen, daß sich auch das sonstige auf Selbsthilfe begründete Genossen¬
schaftswesen bei kleinen und mittlern Landwirten außerordentlich bewährt und
Anklang gefunden hat, so darf man wohl mit Recht verlangen: Laßt die
deutschen Bauern mit euern Rezepten und mit euerm Geschwätz vom Bauer¬
elend und Bauernruin endlich einmal in Ruhe!




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der Mittelstand in Köln und Erfurt.

Mit Bauern und Handwerkern
hat sich sowohl die Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik als der
Nationalsoziale Kongreß beschäftigt. Da es ja eben der Verein für Sozialpolitik
ist, der die Untersuchungen der Lage des Handwerks veranstaltet hat, und da Pro¬
fessor Bücher der Referent war, so wußte man im voraus, wie die Handwerker¬
frage in Köln beurteilt werden würde: nicht anders, als sie schon vor der Ver¬
öffentlichung jener Untersuchungen und dann wieder auf Grund dieser in den
Grenzboten immer beurteilt worden ist. Außer Hitze, der als treuer Katholik
pflichtgemäß für das Mittelalter schwärmen muß, hat niemand der Zünftlerei das
Wort geredet und die ungeheuerliche Zwangsorganisation, mit der die Handwerker
jetzt beglückt werden, verteidigt, im Gegenteil, sie ist aufs schärfste verurteilt worden.
Bücher zählte fünf Arten von Veränderung auf, die das Handwerk unter der ver¬
einigten Einwirkung von Technik und Großkapital erleidet: 1. Das Handwerk
wird, wie bei der Weberei, ganz von der Fabrik verdrängt. 2. Das Handwerk
wird nur geschmälert, indem mehrere Handwerke zu einem Fabrikationszweige ver¬
einigt werden, wie in den Wagenbauanstalten, wobei die verschiednen Handwerker
ihre Selbständigkeit einbüßen, oder indem die Großindustrie dem Handwerke nur
die Fabrikation einzelner Artikel nimmt, wie den Klempnern Lampen und Blech¬
gefäße. 3. Die Großindustrie nimmt dem Handwerk die Vorbereitung des Materials
ab und liefert ihm Halbfabrikate. 4. Ein Handwerk wird an eine Großindustrie
angegliedert wie die Böttcherei an die Brauerei, wobei wiederum der Handwerker
seine Selbständigkeit verliert. 5. Durch die Abhängigkeit vom Handel endlich wird
der Handwerker hie und da zum Schwitzarbeiter herabgedrückt. Das Endergebnis
der Übersicht war, daß das Handwerk eigentlich nur noch auf dem Dorfe lebens¬
fähig sei: „es verliert die Stadt und erobert das Land." Dieses Endergebnis
können wir nicht unbedingt gelten lassen. Eine Reihe von Handwerken ist anch
in der Stadt noch so lebensfähig, daß es mit dem Aussterben vorläufig gute Weile
hat, und die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß Änderungen des Geschmacks


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/60>, abgerufen am 05.05.2024.