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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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der amerikanischen Volkswchren sprechen, mit Schrecken erkennen, daß der "Mili¬
tarismus" auch das Land erfaßt hat, das bisher mitleidig zu dem unter der
Last des bewaffneten Friedens seufzenden Europa herttberblickte.*)


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Als im Jahre 1848 die deutsche Volksbewaffnung nach den berühmten
Vorbildern der einstigen französischen Nationalgarten von 1739 bis 1794 im
Vordergrunde des Interesses bei der demokratischen Partei stand, tauchte auch
das Verlangen auf. die Offiziere durch die Truppe wählen zu lassen. Diese
Forderung ist von der Sozialdemokratie aufgegriffen worden; vor einiger Zeit
berieten die Delegierten der schweizerischen Partei darüber, ob sie die Osfiziers-
wcchl nicht der eidgenössischen Wehrordnung durch ein Jnitiativbegehren auf¬
nötigen könnten. Die Voraussicht, mit derlei Plänen beim Schweizervolk ein
klägliches Fiasko zu machen, ließ sie davon abstehen. Bei der nordamerikanischen
"Miliz" hingegen besteht die Offizierswahl wirklich, und zwar ganz im sozial¬
demokratischen Sinne. Dagegen werden die höhern Führer der Kriegsfreiwil¬
ligen durch die Staatsgouverneure ernannt. Übrigens ist es im englischen
wie im spanischen Amerika bekanntlich sehr leicht, einen militärischen Titel,
freilich ohne das dazu gehörige Kommando, zu erlangen. General, Col'nel
oder mindestens Capt'n heißt dort jeder Mensch, der nur halbwegs anständige
Kleider besitzt. Andrerseits gab Washington, der doch gewiß etwas vom prak¬
tischen Kriegswesen verstand, seinen Landsleuten den berühmten Rat: Wählt
nur Gentlemen zu Offizieren!

Von den Führern der französischen Volkswehren in der jakobinischen Periode
läßt sich nichts Rühmliches berichte". Nicht ihre militärische Befähigung, ihre
Leistungen entschieden über ihre Wahl oder ihre Beförderung, sondern ihr
politisches Glaubensbekenntnis und die Zungenfertigkeit, mit der sie es vor
allem Volke darzulegen verstanden. Kameradschaft, Ehrgefühl, Pflichterfüllung
suchte man vergebens bei diesen Nichtgentlemen; dafür fanden sich Angeberei,
Roheit, Gemeinheit und Dienstvernachlüssigung in überreichen Maße. Erst
von 1796 ab gelang es der Armee, diese schlimmen Elemente zurückzudrängen;
ganz und gar verschwanden sie niemals.

Es liegt gewiß ein demokratischer Gedanke darin, die Führer durch die
Truppe wählen zu lassen, aber die ideale Theorie steht der brutalen Praxis
auch hier wieder einmal so scharf gegenüber wie Feuer und Wasser. Eine
Truppe, die sich beliebig als Wahlkörper aufthun darf, wird ihren Führern
nur so lange folgen, wie es ihr beliebt. Das Vertrauen, das der Führer



") Und selbst dies ist jetzt schon mit Unrecht geschehen. Man vergleiche nur die bis¬
herigen nordmnerikmnschen Militärausgaben mit den europäischen, der Unterschied ist auffällig/
Nebenbei sei noch bemerkt, daß die Vereinigten Staaten jährlich über 140 Millionen um Pen¬
sionen für die Kriege gegen Mexiko und für die SezessionSfeldzüge zu bezahlen haben.

der amerikanischen Volkswchren sprechen, mit Schrecken erkennen, daß der „Mili¬
tarismus" auch das Land erfaßt hat, das bisher mitleidig zu dem unter der
Last des bewaffneten Friedens seufzenden Europa herttberblickte.*)


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Als im Jahre 1848 die deutsche Volksbewaffnung nach den berühmten
Vorbildern der einstigen französischen Nationalgarten von 1739 bis 1794 im
Vordergrunde des Interesses bei der demokratischen Partei stand, tauchte auch
das Verlangen auf. die Offiziere durch die Truppe wählen zu lassen. Diese
Forderung ist von der Sozialdemokratie aufgegriffen worden; vor einiger Zeit
berieten die Delegierten der schweizerischen Partei darüber, ob sie die Osfiziers-
wcchl nicht der eidgenössischen Wehrordnung durch ein Jnitiativbegehren auf¬
nötigen könnten. Die Voraussicht, mit derlei Plänen beim Schweizervolk ein
klägliches Fiasko zu machen, ließ sie davon abstehen. Bei der nordamerikanischen
„Miliz" hingegen besteht die Offizierswahl wirklich, und zwar ganz im sozial¬
demokratischen Sinne. Dagegen werden die höhern Führer der Kriegsfreiwil¬
ligen durch die Staatsgouverneure ernannt. Übrigens ist es im englischen
wie im spanischen Amerika bekanntlich sehr leicht, einen militärischen Titel,
freilich ohne das dazu gehörige Kommando, zu erlangen. General, Col'nel
oder mindestens Capt'n heißt dort jeder Mensch, der nur halbwegs anständige
Kleider besitzt. Andrerseits gab Washington, der doch gewiß etwas vom prak¬
tischen Kriegswesen verstand, seinen Landsleuten den berühmten Rat: Wählt
nur Gentlemen zu Offizieren!

Von den Führern der französischen Volkswehren in der jakobinischen Periode
läßt sich nichts Rühmliches berichte». Nicht ihre militärische Befähigung, ihre
Leistungen entschieden über ihre Wahl oder ihre Beförderung, sondern ihr
politisches Glaubensbekenntnis und die Zungenfertigkeit, mit der sie es vor
allem Volke darzulegen verstanden. Kameradschaft, Ehrgefühl, Pflichterfüllung
suchte man vergebens bei diesen Nichtgentlemen; dafür fanden sich Angeberei,
Roheit, Gemeinheit und Dienstvernachlüssigung in überreichen Maße. Erst
von 1796 ab gelang es der Armee, diese schlimmen Elemente zurückzudrängen;
ganz und gar verschwanden sie niemals.

Es liegt gewiß ein demokratischer Gedanke darin, die Führer durch die
Truppe wählen zu lassen, aber die ideale Theorie steht der brutalen Praxis
auch hier wieder einmal so scharf gegenüber wie Feuer und Wasser. Eine
Truppe, die sich beliebig als Wahlkörper aufthun darf, wird ihren Führern
nur so lange folgen, wie es ihr beliebt. Das Vertrauen, das der Führer



") Und selbst dies ist jetzt schon mit Unrecht geschehen. Man vergleiche nur die bis¬
herigen nordmnerikmnschen Militärausgaben mit den europäischen, der Unterschied ist auffällig/
Nebenbei sei noch bemerkt, daß die Vereinigten Staaten jährlich über 140 Millionen um Pen¬
sionen für die Kriege gegen Mexiko und für die SezessionSfeldzüge zu bezahlen haben.
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[0191] der amerikanischen Volkswchren sprechen, mit Schrecken erkennen, daß der „Mili¬ tarismus" auch das Land erfaßt hat, das bisher mitleidig zu dem unter der Last des bewaffneten Friedens seufzenden Europa herttberblickte.*) 3 Als im Jahre 1848 die deutsche Volksbewaffnung nach den berühmten Vorbildern der einstigen französischen Nationalgarten von 1739 bis 1794 im Vordergrunde des Interesses bei der demokratischen Partei stand, tauchte auch das Verlangen auf. die Offiziere durch die Truppe wählen zu lassen. Diese Forderung ist von der Sozialdemokratie aufgegriffen worden; vor einiger Zeit berieten die Delegierten der schweizerischen Partei darüber, ob sie die Osfiziers- wcchl nicht der eidgenössischen Wehrordnung durch ein Jnitiativbegehren auf¬ nötigen könnten. Die Voraussicht, mit derlei Plänen beim Schweizervolk ein klägliches Fiasko zu machen, ließ sie davon abstehen. Bei der nordamerikanischen „Miliz" hingegen besteht die Offizierswahl wirklich, und zwar ganz im sozial¬ demokratischen Sinne. Dagegen werden die höhern Führer der Kriegsfreiwil¬ ligen durch die Staatsgouverneure ernannt. Übrigens ist es im englischen wie im spanischen Amerika bekanntlich sehr leicht, einen militärischen Titel, freilich ohne das dazu gehörige Kommando, zu erlangen. General, Col'nel oder mindestens Capt'n heißt dort jeder Mensch, der nur halbwegs anständige Kleider besitzt. Andrerseits gab Washington, der doch gewiß etwas vom prak¬ tischen Kriegswesen verstand, seinen Landsleuten den berühmten Rat: Wählt nur Gentlemen zu Offizieren! Von den Führern der französischen Volkswehren in der jakobinischen Periode läßt sich nichts Rühmliches berichte». Nicht ihre militärische Befähigung, ihre Leistungen entschieden über ihre Wahl oder ihre Beförderung, sondern ihr politisches Glaubensbekenntnis und die Zungenfertigkeit, mit der sie es vor allem Volke darzulegen verstanden. Kameradschaft, Ehrgefühl, Pflichterfüllung suchte man vergebens bei diesen Nichtgentlemen; dafür fanden sich Angeberei, Roheit, Gemeinheit und Dienstvernachlüssigung in überreichen Maße. Erst von 1796 ab gelang es der Armee, diese schlimmen Elemente zurückzudrängen; ganz und gar verschwanden sie niemals. Es liegt gewiß ein demokratischer Gedanke darin, die Führer durch die Truppe wählen zu lassen, aber die ideale Theorie steht der brutalen Praxis auch hier wieder einmal so scharf gegenüber wie Feuer und Wasser. Eine Truppe, die sich beliebig als Wahlkörper aufthun darf, wird ihren Führern nur so lange folgen, wie es ihr beliebt. Das Vertrauen, das der Führer ") Und selbst dies ist jetzt schon mit Unrecht geschehen. Man vergleiche nur die bis¬ herigen nordmnerikmnschen Militärausgaben mit den europäischen, der Unterschied ist auffällig/ Nebenbei sei noch bemerkt, daß die Vereinigten Staaten jährlich über 140 Millionen um Pen¬ sionen für die Kriege gegen Mexiko und für die SezessionSfeldzüge zu bezahlen haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/191>, abgerufen am 06.05.2024.