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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

Künstler. Wie soll mein auch bei anders gestellten Aufgaben kopieren können. Ein
oberflächlicherer, lächerlicherer Vorwurf konnte einem Manne, der so ans dem Vollen
schöpfte, der sein Schaffen gewissermaßen überströmend darbot, gar nicht gemacht
werden.

Und selbst wenn es anders, wenn es so wäre, wie sie sagen! Das abgeklärte
Urteil von Jahrhunderten hat Rafael für den größten Maler aller Zeiten erklärt,
für den Genius, in dem sich die Fähigkeit, "gottähnlich" zu schaffen, zu gestalten,
zur höchsten Vollkommenheit entwickelte, und trotzdem ist der Mann, der jenem
nachstrebend ähnliche Bahnen wandelte und, wie zugegeben wird, täuschend ähn¬
liche Wirkungen erzielte wie jener, über die Achsel angesehen und als Nachahmer
geradezu verhöhnt worden von dem nnabgeklärten Urteil unsrer Zeit, von der
berufsmäßigen Tageskritik, den großen Kunstkennern und Kunstgelehrten und -- und
das ist das Schmerzliche -- von den meisten Künstlern! Aber die Kleinen konnten
nicht emporheben zu der Höhe, auf der er stand, wie sie ja auch größtenteils den alten
überlebten Kram, den Rafael schuf, kaum kennen. Es liegt nicht so arg viel an
deren Urteil, und für die Welt ist es am Ende much besser, daß sie sich nicht be¬
mühen, im Sinne Rafaels zu schaffen. Der heimgegangne "Epigone" mag aber
ruhig schlafen nnter der Cestiuspyramide in seinem geliebten Rom: es kommt der¬
einst der Tag, an dem das deutsche Volk in Ehrfurcht vor den Werken Friedrich
Geselschaps stehen wird! Denn das ist das Herrliche, das Gottähuliche an jedem
echten Kunstwerke, daß es unvergänglich ist, und daß seine Feuerkraft erwärmend,
neubelebend und beseligend zur rechten Zeit immer wieder hervorbricht.


Hans Meyer


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders Von
Neue Folge
^. Der fiskalische Wald

as Andenken des alten Oberförsters Schlettan in Bnchcnbeck wird
in der ganzen Gegend des Buchenbecker Forstes bis ans den heutigen
Tag wert gehalten. Als er gestorben war und das Tranergeleite,
an dem sich Stadt und Land der ganzen Umgegend beteiligt hatte,
nnseinanderging, wurde einstimmig die Meinung geäußert: So
einen Oberförster kriegen wir me wieder. Man muß nicht denken,
daß der Oberförster Schlettan ein nachlässiger Beamter gewesen sei, er war jeder¬
zeit auf seinem Posten, und er ließ auch kein Unrecht durchgehen, aber er verstand
die große Kunst, Nebensachen als Nebensachen zu behandeln. Er war kein Bürean-
mensch, er hatte seine Freude an seinem Walde und gönnte diese Freude auch andern
Leuten. Er hatte es gern, Wanderern in seinem Walde zu begegnen, und wenn sie
sich halbwegs zivilisiert betrugen, so dankte er auf einen Gruß mit tiefen Bnßtönen
und freundlichem Nicken.


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

Künstler. Wie soll mein auch bei anders gestellten Aufgaben kopieren können. Ein
oberflächlicherer, lächerlicherer Vorwurf konnte einem Manne, der so ans dem Vollen
schöpfte, der sein Schaffen gewissermaßen überströmend darbot, gar nicht gemacht
werden.

Und selbst wenn es anders, wenn es so wäre, wie sie sagen! Das abgeklärte
Urteil von Jahrhunderten hat Rafael für den größten Maler aller Zeiten erklärt,
für den Genius, in dem sich die Fähigkeit, „gottähnlich" zu schaffen, zu gestalten,
zur höchsten Vollkommenheit entwickelte, und trotzdem ist der Mann, der jenem
nachstrebend ähnliche Bahnen wandelte und, wie zugegeben wird, täuschend ähn¬
liche Wirkungen erzielte wie jener, über die Achsel angesehen und als Nachahmer
geradezu verhöhnt worden von dem nnabgeklärten Urteil unsrer Zeit, von der
berufsmäßigen Tageskritik, den großen Kunstkennern und Kunstgelehrten und — und
das ist das Schmerzliche — von den meisten Künstlern! Aber die Kleinen konnten
nicht emporheben zu der Höhe, auf der er stand, wie sie ja auch größtenteils den alten
überlebten Kram, den Rafael schuf, kaum kennen. Es liegt nicht so arg viel an
deren Urteil, und für die Welt ist es am Ende much besser, daß sie sich nicht be¬
mühen, im Sinne Rafaels zu schaffen. Der heimgegangne „Epigone" mag aber
ruhig schlafen nnter der Cestiuspyramide in seinem geliebten Rom: es kommt der¬
einst der Tag, an dem das deutsche Volk in Ehrfurcht vor den Werken Friedrich
Geselschaps stehen wird! Denn das ist das Herrliche, das Gottähuliche an jedem
echten Kunstwerke, daß es unvergänglich ist, und daß seine Feuerkraft erwärmend,
neubelebend und beseligend zur rechten Zeit immer wieder hervorbricht.


Hans Meyer


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders Von
Neue Folge
^. Der fiskalische Wald

as Andenken des alten Oberförsters Schlettan in Bnchcnbeck wird
in der ganzen Gegend des Buchenbecker Forstes bis ans den heutigen
Tag wert gehalten. Als er gestorben war und das Tranergeleite,
an dem sich Stadt und Land der ganzen Umgegend beteiligt hatte,
nnseinanderging, wurde einstimmig die Meinung geäußert: So
einen Oberförster kriegen wir me wieder. Man muß nicht denken,
daß der Oberförster Schlettan ein nachlässiger Beamter gewesen sei, er war jeder¬
zeit auf seinem Posten, und er ließ auch kein Unrecht durchgehen, aber er verstand
die große Kunst, Nebensachen als Nebensachen zu behandeln. Er war kein Bürean-
mensch, er hatte seine Freude an seinem Walde und gönnte diese Freude auch andern
Leuten. Er hatte es gern, Wanderern in seinem Walde zu begegnen, und wenn sie
sich halbwegs zivilisiert betrugen, so dankte er auf einen Gruß mit tiefen Bnßtönen
und freundlichem Nicken.


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[0052] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Künstler. Wie soll mein auch bei anders gestellten Aufgaben kopieren können. Ein oberflächlicherer, lächerlicherer Vorwurf konnte einem Manne, der so ans dem Vollen schöpfte, der sein Schaffen gewissermaßen überströmend darbot, gar nicht gemacht werden. Und selbst wenn es anders, wenn es so wäre, wie sie sagen! Das abgeklärte Urteil von Jahrhunderten hat Rafael für den größten Maler aller Zeiten erklärt, für den Genius, in dem sich die Fähigkeit, „gottähnlich" zu schaffen, zu gestalten, zur höchsten Vollkommenheit entwickelte, und trotzdem ist der Mann, der jenem nachstrebend ähnliche Bahnen wandelte und, wie zugegeben wird, täuschend ähn¬ liche Wirkungen erzielte wie jener, über die Achsel angesehen und als Nachahmer geradezu verhöhnt worden von dem nnabgeklärten Urteil unsrer Zeit, von der berufsmäßigen Tageskritik, den großen Kunstkennern und Kunstgelehrten und — und das ist das Schmerzliche — von den meisten Künstlern! Aber die Kleinen konnten nicht emporheben zu der Höhe, auf der er stand, wie sie ja auch größtenteils den alten überlebten Kram, den Rafael schuf, kaum kennen. Es liegt nicht so arg viel an deren Urteil, und für die Welt ist es am Ende much besser, daß sie sich nicht be¬ mühen, im Sinne Rafaels zu schaffen. Der heimgegangne „Epigone" mag aber ruhig schlafen nnter der Cestiuspyramide in seinem geliebten Rom: es kommt der¬ einst der Tag, an dem das deutsche Volk in Ehrfurcht vor den Werken Friedrich Geselschaps stehen wird! Denn das ist das Herrliche, das Gottähuliche an jedem echten Kunstwerke, daß es unvergänglich ist, und daß seine Feuerkraft erwärmend, neubelebend und beseligend zur rechten Zeit immer wieder hervorbricht. Hans Meyer Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Fritz Anders Von Neue Folge ^. Der fiskalische Wald as Andenken des alten Oberförsters Schlettan in Bnchcnbeck wird in der ganzen Gegend des Buchenbecker Forstes bis ans den heutigen Tag wert gehalten. Als er gestorben war und das Tranergeleite, an dem sich Stadt und Land der ganzen Umgegend beteiligt hatte, nnseinanderging, wurde einstimmig die Meinung geäußert: So einen Oberförster kriegen wir me wieder. Man muß nicht denken, daß der Oberförster Schlettan ein nachlässiger Beamter gewesen sei, er war jeder¬ zeit auf seinem Posten, und er ließ auch kein Unrecht durchgehen, aber er verstand die große Kunst, Nebensachen als Nebensachen zu behandeln. Er war kein Bürean- mensch, er hatte seine Freude an seinem Walde und gönnte diese Freude auch andern Leuten. Er hatte es gern, Wanderern in seinem Walde zu begegnen, und wenn sie sich halbwegs zivilisiert betrugen, so dankte er auf einen Gruß mit tiefen Bnßtönen und freundlichem Nicken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/52>, abgerufen am 06.05.2024.