Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Römerstaat

tcigsmitglieder richten: den weitern Ausbau des Koalitionsrechts scharf von
dem Schutz der Arbeitswilligen gegen den Mißbrauch des bestehenden Koalitions-
rcchts zu trennen. Ganz besonders halten wir es für die Pflicht der monarchisch
gesinnten Männer unter den Nationalliberalen und dem Zentrum, alles auf¬
zubieten, daß die zweite Lesung vor der Kommissionsberatung mit dem Ballast
von Initiativanträgen, die die beiden Fragen verquicken, nicht belastet werde.
Dadurch allein können sie das Manko an politischem Takt, zu dem sie sich in
der ersten Lesung haben verleiten lassen, wieder gut machen.

Wenn die Koinmissionsverhandlungen zu einer gründlichen Erörterung
und Revision des Vereinsrechts Anregung geben in das das Koalitions¬
recht doch gehört --, so ist das sehr erwünscht. Revidiert muß das Vereinsrecht
durchaus über kurz oder lang werden. Aber das hat mit dem Entwurf zum
Schutz der Arbeitswilligen so wenig zu thun wie der Mittellandkanal mit den
^ hinterpommerschen Kleinbahnen.




Der Römerstaat
3. vom Stadtstaat zum Weltreich

aß sich die römische Stadtgemeinde zum Weltreich auswachsen
konnte, bleibt für alle Zeiten das Wunder der politischen Ge¬
schichte. Die Entstehung der übrigen großen Reiche hat nichts
wunderbares. Friedliche Ackerbauer lassen sich in einer frucht¬
baren Ebne nieder, vermehren sich darauf und füllen sie, wie
seenbildende Regenwasser, bis zum Sättigungsgrade. Die öffentlichen An¬
gelegenheiten werden gemeindeweise besorgt, und die Gemeinden stehn nur in
euiem losen Zusammenhange mit einander. Eines Tages brechen Neiterhorden
ein, rauben, plündern und morden. Es gefällt ihnen auf diesen Fruchtgefilden
besser als in ihrer Steppe, sie beschließen, sich hier häuslich niederzulassen, die
zweibeinigen Schafe, die sie vorgefunden haben, nicht zu Machten, sondern zu
scheren und zu melken, und zum Zweck steter Ausbeutung organisieren sie ihre
Herrschaft über die zu Unterthanen gemachten Bewohner der Ebne. So sind
die Staaten am Euphrat, um Nil und am Ganges, so das chinesische und
das russische Reich entstanden. Und wie ein kleiner Knabe eine große Herde
weiden kann, nicht bloß von Schafen, sondern auch von Rindern, deren jedes,
wenn es sich seiner Kraft bewußt wäre, hundert Knaben auf die Hörner nehmen
könnte, so macht es einem kriegerischen Herrenvolke nichts ans, ob es ein oder


Grenzboten IV 1899 88
Der Römerstaat

tcigsmitglieder richten: den weitern Ausbau des Koalitionsrechts scharf von
dem Schutz der Arbeitswilligen gegen den Mißbrauch des bestehenden Koalitions-
rcchts zu trennen. Ganz besonders halten wir es für die Pflicht der monarchisch
gesinnten Männer unter den Nationalliberalen und dem Zentrum, alles auf¬
zubieten, daß die zweite Lesung vor der Kommissionsberatung mit dem Ballast
von Initiativanträgen, die die beiden Fragen verquicken, nicht belastet werde.
Dadurch allein können sie das Manko an politischem Takt, zu dem sie sich in
der ersten Lesung haben verleiten lassen, wieder gut machen.

Wenn die Koinmissionsverhandlungen zu einer gründlichen Erörterung
und Revision des Vereinsrechts Anregung geben in das das Koalitions¬
recht doch gehört —, so ist das sehr erwünscht. Revidiert muß das Vereinsrecht
durchaus über kurz oder lang werden. Aber das hat mit dem Entwurf zum
Schutz der Arbeitswilligen so wenig zu thun wie der Mittellandkanal mit den
^ hinterpommerschen Kleinbahnen.




Der Römerstaat
3. vom Stadtstaat zum Weltreich

aß sich die römische Stadtgemeinde zum Weltreich auswachsen
konnte, bleibt für alle Zeiten das Wunder der politischen Ge¬
schichte. Die Entstehung der übrigen großen Reiche hat nichts
wunderbares. Friedliche Ackerbauer lassen sich in einer frucht¬
baren Ebne nieder, vermehren sich darauf und füllen sie, wie
seenbildende Regenwasser, bis zum Sättigungsgrade. Die öffentlichen An¬
gelegenheiten werden gemeindeweise besorgt, und die Gemeinden stehn nur in
euiem losen Zusammenhange mit einander. Eines Tages brechen Neiterhorden
ein, rauben, plündern und morden. Es gefällt ihnen auf diesen Fruchtgefilden
besser als in ihrer Steppe, sie beschließen, sich hier häuslich niederzulassen, die
zweibeinigen Schafe, die sie vorgefunden haben, nicht zu Machten, sondern zu
scheren und zu melken, und zum Zweck steter Ausbeutung organisieren sie ihre
Herrschaft über die zu Unterthanen gemachten Bewohner der Ebne. So sind
die Staaten am Euphrat, um Nil und am Ganges, so das chinesische und
das russische Reich entstanden. Und wie ein kleiner Knabe eine große Herde
weiden kann, nicht bloß von Schafen, sondern auch von Rindern, deren jedes,
wenn es sich seiner Kraft bewußt wäre, hundert Knaben auf die Hörner nehmen
könnte, so macht es einem kriegerischen Herrenvolke nichts ans, ob es ein oder


Grenzboten IV 1899 88
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232121"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Römerstaat</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1109" prev="#ID_1108"> tcigsmitglieder richten: den weitern Ausbau des Koalitionsrechts scharf von<lb/>
dem Schutz der Arbeitswilligen gegen den Mißbrauch des bestehenden Koalitions-<lb/>
rcchts zu trennen. Ganz besonders halten wir es für die Pflicht der monarchisch<lb/>
gesinnten Männer unter den Nationalliberalen und dem Zentrum, alles auf¬<lb/>
zubieten, daß die zweite Lesung vor der Kommissionsberatung mit dem Ballast<lb/>
von Initiativanträgen, die die beiden Fragen verquicken, nicht belastet werde.<lb/>
Dadurch allein können sie das Manko an politischem Takt, zu dem sie sich in<lb/>
der ersten Lesung haben verleiten lassen, wieder gut machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1110"> Wenn die Koinmissionsverhandlungen zu einer gründlichen Erörterung<lb/>
und Revision des Vereinsrechts Anregung geben in das das Koalitions¬<lb/>
recht doch gehört &#x2014;, so ist das sehr erwünscht. Revidiert muß das Vereinsrecht<lb/>
durchaus über kurz oder lang werden. Aber das hat mit dem Entwurf zum<lb/>
Schutz der Arbeitswilligen so wenig zu thun wie der Mittellandkanal mit den<lb/><note type="byline"> ^</note> hinterpommerschen Kleinbahnen. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Römerstaat<lb/>
3. vom Stadtstaat zum Weltreich</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1111" next="#ID_1112"> aß sich die römische Stadtgemeinde zum Weltreich auswachsen<lb/>
konnte, bleibt für alle Zeiten das Wunder der politischen Ge¬<lb/>
schichte. Die Entstehung der übrigen großen Reiche hat nichts<lb/>
wunderbares. Friedliche Ackerbauer lassen sich in einer frucht¬<lb/>
baren Ebne nieder, vermehren sich darauf und füllen sie, wie<lb/>
seenbildende Regenwasser, bis zum Sättigungsgrade. Die öffentlichen An¬<lb/>
gelegenheiten werden gemeindeweise besorgt, und die Gemeinden stehn nur in<lb/>
euiem losen Zusammenhange mit einander. Eines Tages brechen Neiterhorden<lb/>
ein, rauben, plündern und morden. Es gefällt ihnen auf diesen Fruchtgefilden<lb/>
besser als in ihrer Steppe, sie beschließen, sich hier häuslich niederzulassen, die<lb/>
zweibeinigen Schafe, die sie vorgefunden haben, nicht zu Machten, sondern zu<lb/>
scheren und zu melken, und zum Zweck steter Ausbeutung organisieren sie ihre<lb/>
Herrschaft über die zu Unterthanen gemachten Bewohner der Ebne. So sind<lb/>
die Staaten am Euphrat, um Nil und am Ganges, so das chinesische und<lb/>
das russische Reich entstanden. Und wie ein kleiner Knabe eine große Herde<lb/>
weiden kann, nicht bloß von Schafen, sondern auch von Rindern, deren jedes,<lb/>
wenn es sich seiner Kraft bewußt wäre, hundert Knaben auf die Hörner nehmen<lb/>
könnte, so macht es einem kriegerischen Herrenvolke nichts ans, ob es ein oder</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1899 88</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0309] Der Römerstaat tcigsmitglieder richten: den weitern Ausbau des Koalitionsrechts scharf von dem Schutz der Arbeitswilligen gegen den Mißbrauch des bestehenden Koalitions- rcchts zu trennen. Ganz besonders halten wir es für die Pflicht der monarchisch gesinnten Männer unter den Nationalliberalen und dem Zentrum, alles auf¬ zubieten, daß die zweite Lesung vor der Kommissionsberatung mit dem Ballast von Initiativanträgen, die die beiden Fragen verquicken, nicht belastet werde. Dadurch allein können sie das Manko an politischem Takt, zu dem sie sich in der ersten Lesung haben verleiten lassen, wieder gut machen. Wenn die Koinmissionsverhandlungen zu einer gründlichen Erörterung und Revision des Vereinsrechts Anregung geben in das das Koalitions¬ recht doch gehört —, so ist das sehr erwünscht. Revidiert muß das Vereinsrecht durchaus über kurz oder lang werden. Aber das hat mit dem Entwurf zum Schutz der Arbeitswilligen so wenig zu thun wie der Mittellandkanal mit den ^ hinterpommerschen Kleinbahnen. Der Römerstaat 3. vom Stadtstaat zum Weltreich aß sich die römische Stadtgemeinde zum Weltreich auswachsen konnte, bleibt für alle Zeiten das Wunder der politischen Ge¬ schichte. Die Entstehung der übrigen großen Reiche hat nichts wunderbares. Friedliche Ackerbauer lassen sich in einer frucht¬ baren Ebne nieder, vermehren sich darauf und füllen sie, wie seenbildende Regenwasser, bis zum Sättigungsgrade. Die öffentlichen An¬ gelegenheiten werden gemeindeweise besorgt, und die Gemeinden stehn nur in euiem losen Zusammenhange mit einander. Eines Tages brechen Neiterhorden ein, rauben, plündern und morden. Es gefällt ihnen auf diesen Fruchtgefilden besser als in ihrer Steppe, sie beschließen, sich hier häuslich niederzulassen, die zweibeinigen Schafe, die sie vorgefunden haben, nicht zu Machten, sondern zu scheren und zu melken, und zum Zweck steter Ausbeutung organisieren sie ihre Herrschaft über die zu Unterthanen gemachten Bewohner der Ebne. So sind die Staaten am Euphrat, um Nil und am Ganges, so das chinesische und das russische Reich entstanden. Und wie ein kleiner Knabe eine große Herde weiden kann, nicht bloß von Schafen, sondern auch von Rindern, deren jedes, wenn es sich seiner Kraft bewußt wäre, hundert Knaben auf die Hörner nehmen könnte, so macht es einem kriegerischen Herrenvolke nichts ans, ob es ein oder Grenzboten IV 1899 88

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/309
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/309>, abgerufen am 07.05.2024.